Berlin. Das geht aus einer von der Hans-Böckler-Stiftung im Juni veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zu Trends und Verbreitung atypischer Arbeitsverhältnisse hervor. Danach waren 2017 bundesweit ca. 30,9 Prozent aller kernerwerbstätigen, d.h. nicht in Bildung oder Ausbildung befindlichen Frauen zwischen 15 und 64 Jahren atypisch beschäftigt, im Vergleich mit nur 12,2 Prozent bei den Männern. Bei den Frauen herrschen dabei Teilzeitarbeit und Minijobs vor, bei den Männern hingegen Leiharbeit und befristete Tätigkeiten.
Mehr Zeit für Familien und Kinder
Vor allem die jüngeren, 15- bis 24-jährigen Arbeitnehmer*innen greifen auf die atypischen Beschäftigungsmodelle zurück; die hohe Quote von 30,9 Prozent (32,5 Prozent bei den Frauen versus 29,6 Prozent bei den Männern) hängt überwiegend mit dem in diese Zeit fallenden Berufsstart und vielfach damit verbundenen vorerst befristeten Verträgen zusammen. Bei der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen sinken die Zahlen bis auf 22 Prozent (27,21 Prozent Frauen versus 17,8 Prozent Männer) und steigen bei den 35- bis 44-jährigen Frauen drastisch wieder auf 34,1 Prozent an, während die Quote bei den Männern auf nur 11 Prozent (Gesamtquote: 21,7 Prozent) abfällt. Der Anstieg der Rate bei den Frauen in dieser Lebensphase ist vornehmlich auf die sich meist zeitgleich vollziehende Gründung von Familien zurückzuführen. Bei den über 55-Jährigen erhöht sich der Anteil der in atypischen Jobs Beschäftigten wieder auf 19,9 Prozent (30,7 Prozent Frauen, 10,2 Prozent Männer).
Teilzeitarbeit bei westdeutschen Frauen weit verbreitet
Insgesamt arbeiten in der Bundesrepublik mehr als 20 Prozent der Kernerwerbstätigen in Teilzeit oder Zeitarbeit, befristet oder in geringfügigen Jobs, mit auffälligen Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland. 21,8 Prozent der westdeutschen Kernerwerbstätigen waren 2017 in atypischen Jobs beschäftigt, gegenüber lediglich 16,3 Prozent in den ostdeutschen Bundesländern. Zwei Drittel der Zuwachsrate seit der Wende sind laut einer weiteren Datenanalyse des WSI auf die vermehrt in Teilzeit angestellten westdeutschen Frauen zurückzuführen. Der hohe Anteil von Frauen an den Arbeitstätigen mit atypischen Jobs lässt sich besonders dadurch erklären, dass sie immer noch an erster Stelle die Pflichten in Haushalt und Familie übernehmen.
Den Angaben des WSI zufolge ist die Menge der in Teilzeit arbeitenden Frauen seit der deutschen Einheit von 30,2 (1991) auf 47 Prozent (2017) aller abhängig beschäftigten weiblichen Personen angewachsen, was nach Einschätzung der Forscher*innen auf den Wandel des in den späten 1990er Jahren noch vorherrschenden „Modells des männlichen Alleinverdieners“, bei dem Frauen überwiegend nicht erwerbstätig waren, hin zu dem seit dem Anfang des Jahrhunderts dominierenden „Zuverdiener-Modell“, bei dem die Frauen bei fortgesetzter männlicher Vollzeit-Arbeit in Teilzeitjobs tätig sind, um neben dem Beruf den unbezahlten Aufgaben im Haushalt oder der Pflege von Kindern und Angehörigen nachkommen zu können. Die Diskrepanzen in den Zahlen bei den west- und ostdeutschen atypischen Beschäftigungen bringt die Studie damit in Zusammenhang, dass die Frauen in Ostdeutschland seit vielen Jahren in der großen Mehrheit in Vollzeit beschäftigt und im Osten mehr Angebote zur Kinderbetreuung vorhanden sind.
Neueinstieg in Vollzeitarbeit erschwert, eingeschränkte Karriere- und Einkommenschancen
Sabine Zimmermann (Linke), Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, führte strukturelle Probleme wie fehlende Stätten zur Kinderbetreuung als Ursache für den hohen Anteil von Frauen bei der Teilzeitarbeit an und sagte dazu der ARD: „Wenn Paare entscheiden, wer zugunsten von Kindererziehung oder Pflege im Beruf kürzer tritt, entscheidet meist das Einkommen." Das wären aufgrund ihrer niedrigeren Löhne meist die Frauen, was auch ihre Karriere- und Einkommenschancen einschränkt. Einerseits ermöglichen Tätigkeiten der Analyse von WSI gemäß mit weniger als 35 Wochenstunden den Frauen, Kinder oder Angehörige zu betreuen, und ihren Männern, für die Familien in Vollzeit zu arbeiten. Andererseits haben ausgedehnte Phasen von Teilzeitarbeit ungünstige Effekte auf die Erwerbsbiographien von Frauen, da sie den Neueinstieg in Vollzeit-Arbeit erschweren. Mehr als die Hälfte der Frauen können durch Teilzeit-Anstellungen nicht selbstständig ihren Lebensunterhalt bestreiten, was auch die im deutschen Gender Pension Gap erkennbaren deutlich niedrigeren Alterseinkommen als bei den Männern zur Folge hat. „Im Berufsleben werden sie (die Frauen - Red.) benachteiligt durch niedrige Löhne und unfreiwillige Teilzeit, was wiederum zu niedrigen Renten führt", kommentierte Zimmermann. Daher sei es „schon lange überfällig, dass für die Frauen der Abstand zwischen den Löhnen, der Arbeitszeit und der Rente geschlossen wird.“
Menschen ohne Berufsausbildung und Ausländer*innen verstärkt betroffen
Ebenfalls Einfluss auf die Quote der in atypischen Jobs tätigen Personen haben der Bildungsgrad und der "Status" als deutsche Staatsbürger*innen, EU- (Europäische Union) oder Nicht-EU-Ausländer*innen. 38,6 Prozent der Arbeitnehmer*innen ohne anerkannte Berufsausbildung sind in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijob tätig, während nur 20,7 Prozent der Personen mit absolvierter Lehre oder Berufsfachschule und sogar bloß 14,3 Prozent der Menschen mit Hochschulzeugnis in atypischen Jobs arbeiten. Von den Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist ein überdurchschnittlich großer Anteil atypisch beschäftigt, 30,21 Prozent der EU-Ausländer*innen und 35,3 Prozent von Menschen aus Staaten außerhalb der EU, wobei Frauen aus Nicht-EU-Ländern mit 48,5 Prozent (Frauen aus EU-Ländern 42,8) das größte Risiko tragen, atypische Tätigkeiten auszuüben. Seit 2011 haben die gute wirtschaftliche Konjunktur und die Einwanderung bis 2016 zu einem Rückgang der Quote atypisch beschäftigter Frauen und Männer in der deutschen Bevölkerung geführt, während die Anzahl von Ausländer*innen in solchen Jobs stark anstieg. Wie aus Statistiken des statistischen Amtes der EU Eurostat zur Teilzeitarbeit ersichtlich wird, liegen die Raten der in atypischen Tätigkeiten arbeitenden 15-46-jährigen Frauen in Deutschland mit 46,3 Prozent aller weiblichen Beschäftigten erheblich über dem europaweiten Mittelwert von 31,3 Prozent. Lediglich in Österreich (46,9 Prozent) und den Niederlanden (75,6 Prozent) wurden für das Jahr 2018 höhere Zahlen festgestellt.