BILDUNGSSTUDIEN IGLU/TIMSS : Jedes fünfte Grundschulkind kann nur unzulänglich lesen

11. Dezember 2012 // zwd Berlin (sb).

Versprechen der Chancengleichheit erhält Prädikat mangelhaft

Das deutsche Bildungssystem ist, wie die jüngsten internationalen Bildungsstudien belegen, nach wie vor stark von Chancenungleichheit geprägt. Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung 2011 (IGLU) sowie die internationale Schulleistungsstudie ‚Trends in International Mathematics and Science Study 21011“ (TIMSS) haben aufgezeigt, dass jedes fünfte Grundschulkind die Leistungsanforderungen nur unzureichend erfüllen kann und demnach als "Risikoschüler" gilt. Damit seien Probleme in der Sekundarstufe I vorprogrammiert, warnte der renommierte Bildungsforscher und Leiter des IGLU-Wissenschaftlerteams, Prof. Wilfried Bos.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse am 11. Dezember in Berlin durch das Kultusministerium und das Bundesministerium für Bildung und Forschung zeigte sich, dass nur jede/r zehnte GrundschülerIn in Deutschland eine fortgeschrittene Leseleistung erreichen konnte. Dagegen erlangte jeder sechste Sprössling kein ausreichendes Kompetenzniveau im Lesen. In Mathematik waren es sogar nur 5,2 Prozent an Kindern, welche die höchste Kompetenzstufe erreichen konnten.

Auch der Anteil der Kinder mit Spitzenleistungen verzeichnete seit 2006 beziehungsweise 2007 nur einen leichten Anstieg. Zusätzlich konnte der Anteil von Kindern, denen eine unzureichende Leseleistung bescheinigt wurde, nur einen leichten Rückgang verbuchen. Jeder siebte Penäler verfügte demnach im vergangenen Jahr über ein so schlechtes Textverständnis, dass ihnen einen „nicht ausreichendes Leistungsniveau“ bescheinigt wurde.

Soziales Milieu ist ausschlaggebend

Allein die Leistungssteigerung von Migrantenkindern sowohl im Lesen als auch in den Naturwissenschaften und besonders in der Mathematik wurde von den Autoren der Studie als vorerst optimistisch gewertet. Die Zuwanderernachkommen holten gegenüber ihren heimischen Mitschülern in den vergangenen fünf Jahren zwar auf, schneiden aber immer noch deutlich schlechter ab.

Auch sind die beiden internationalen Vergleichsstudien erneut Beleg für die Abhängigkeit der sozialen Herkunft zu der Chance, sich für eine höhere Schule zu qualifizieren. Akademikerkinder haben eine rund 3,5 Mal höhere Präferenz auf eine Gymnasialempfehlung als ihre Mitschüler aus Arbeiterfamilien. Zudem kommen nach den Untersuchungsergebnissen Penäler aus bildungsfernen Familien nur langsamer voran und fallen im Leistungsstand mit bis zu einem Jahr hinter ihren Mitschülern zurück. „Wir vergeuden unsere jungen Talente“, mahnte Bos.

Rolltreppe abwärts

Zwar liegen Deutschlands Grundschulkinder im internationalen Vergleich mit 45 OECD-Staaten nach wie vor im oberen Drittel, eine Abwärtstendenz zeichnete sich dennoch ab. Im internationalen Ranking stieg Deutschland beim Lesen von Platz neun auf Platz 17 herab, während sich andere Staaten, wie beispielsweise Italien, Schweden oder die Niederlande, deutlich verbessern konnten und vorbeizogen. In Mathematik gab Deutschland vier Plätze ab und liegt dort nur noch auf Platz 16 und auch in den Naturwissenschaften findet sich die „Bildungsrepublik“ nur noch auf Platz 17 wieder und muss Staaten – beispielsweise die Tschechische Republik – passieren lassen.

Angesichts der Tatsache, dass heute mit 27 Prozent fast ein Viertel mehr aus Migrationsfamilien stammt als im Vergleichsjahr 2007, sprach der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Ties Rabe (SPD) dennoch von einem Erfolg. Dagegen wollte die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, von einer solchen „Schönrederei“ nichts wissen. Sie warnte davor, diese Entwicklungen auf einen leicht gestiegenen Migrantenanteil zurückzuführen. Auch für die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) müssen die Ergebnisse ein Ansporn sein, für mehr Bildungsgerechtigkeit Sorge zu tragen.

Ziele der Bildungsuntersuchungen

Die internationalen Bildungsstudien IGLU und TIMSS sind Bestandteile der Gemeinschaftsausgabe ‚Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalenVergleich’ von Bund und Ländern. Deutschland nimmt seit 2001 an IGLU und seit 2007 an TIMSS teil, mit dem Ziel das Leseverständnis sowie die mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen von SchülerInnen am Ende ihrer Grundschulzeit zu erfassen. Für beide Erhebungen wurden 2011 jeweils 4000 deutsche GrundschülerInnen berücksichtigt. Die nächste Testreihe wird 2016 (IGLU) beziehungsweise 2015 (TIMSS) angestrebt.

Artikel als E-Mail versenden