DEUTSCHES STUDENTENWERK : Studieren mit nicht-sichtbarer Behinderung ein Tabu

3. Juni 2012 // zwd Berlin (er).

Häufig nutzen Studierende mit nicht-sichtbaren Beeinträchtigungen weder Nachteilsausgleiche im Studium noch Beratungsangebote für Behinderte oder chronische Kranke. Dies geht aus einer Studie des Deutschen Studentenwerks (DSW) hervor, die dessen Präsident, Prof. Dieter Timmermann, am 4. Juni in Berlin vorgestellt hat. Obwohl er ihnen rechtlich zusteht, beantragt laut Studie nur ein Viertel der Betroffenen einen Nachteilsausgleich bei Lehr- und Prüfungssituationen, wie eine Verlängerung der zeitlichen Vorgaben oder besonders aufbereitetes Lehr- und Lernmaterial.

Nach Angaben von Präsident Timmermann haben die StudentInnen dafür verschiedene Gründe. Einige wüssten gar nicht, dass sie durch ihre chronische Erkrankung oder Behinderung anspruchsberechtigt seien. Andere bevorzugten, dass ihre Krankheit nicht bekannt werde. Diese Einstellung ist für Timmermann sehr bedenklich. Er glaubt, dass Studierende, denen man ihre Beeinträchtigung nicht ansieht, häufig mit Vorurteilen kämpfen müssen und deshalb auf eine Sonderbehandlung meist verzichten wollen. Aus dem gleichen Beweggrund nähmen auch viele die Beratungsangebote nicht wahr. „Mit einer nicht-sichtbaren Behinderung oder chronischen Krankheit zu studieren, scheint ein Tabu zu sein an deutschen Hochschulen“, bemängelte Timmermann.

Staatliche Zuschüsse an Studentenwerke mehr als halbiert

Um an dieser Situation etwas zu ändern, fordert der DSW-Präsident einen Ausbau der Beratungsstellen und eine stärkere Sensibilisierung aller Beschäftigten an Hochschulen und Studentenwerken. Er will Studierende ermutigen, die Beratungsangebote und die rechtlichen Kompensationsmöglichkeiten in Zukunft doch zu nutzen. Es ginge darum, allen Studierenden mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerecht zu werden, hob Timmermann hervor.

Das geht aus seiner Sicht aber nicht ohne die Länder. Auch sie müssten ihre soziale Verantwortung wahrnehmen. In diesem Zusammenhang verwies Timmermann darauf, dass die Länder-Zuschüsse an die Studentenwerke mit 140,6 Millionen Euro im Jahr 2010 nur noch 10,3 Prozent der Gesamteinnahmen der Studentenwerke ausmachten. Im Vergleich waren es Anfang der 1990er noch mehr als 24 Prozent gewesen.

Erste bundesweite Umfrage unter Studierende mit Behinderungen

Insgesamt haben rund 175.000 der Studierenden in Deutschland eine Behinderung oder eine chronische Krankheit. Bei 94 Prozent von ihnen ist sie nicht auf Anhieb erkennbar. Das DSW-Forschungsergebnis basiert auf der ersten bundesweiten Studie über StudentInnen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dafür hatte das DSW im Sommer 2011 mehr als 15.000 behinderte und chronisch kranke Studierende an 160 Hochschulen in Deutschland online befragt. Die wissenschaftliche Leitung oblag dem Institut für Höhere Studien Wien. Finanziert hatte die Studie das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

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