CHANCENGLEICHHEIT IN DER WISSENSCHAFT : Experten einig: Die Quote in der Wissenschaft muss kommen

10. Juni 2012 // zwd Berlin (mhh).

Die Festlegung verbindlicher Zielquoten ist nötig, um den Frauenanteil in Spitzenpositionen der Wissenschaft endlich zu erhöhen. So lautet das einhellige Urteil der Sachverständigen, die am 11. Juni in eine Anhörung des Bildungsausschusses im Bundestag geladen waren, um über das Thema „Frauen in Wissenschaft und Forschung“ zu beraten. Die ExpertInnen sprachen sich allesamt für eine flexible Quote nach dem Kaskadenmodell aus. Uneinigkeit herrschte lediglich bei der Frage der Sanktionsmöglichkeiten.

Der Frauenanteil unter Bachelor-AbsolventInnen lag im Jahr 2009 bei 51,7 Prozent. Bei Promotionen waren es nur noch 44,1 Prozent und unter den gut dotierten C4- und W3-Professuren lag der weibliche Anteil gerade einmal bei 13,6 Prozent. Diese gegenwärtige Personalstruktur käme einer Aufforderung an die jungen Frauen gleich, das Wissenschaftssystem schleunigst wieder zu verlassen, stellte Edit Kirsch-Auwärter von der Universität Göttingen in der Bundestagsanhörung fest. Hauptgrund für die Unterrepräsentanz ist neben nach wie vor existierenden Männernetzwerken – auch hier waren sich die geladenen Expertinnen und Experten einig – die schlechte Planbarkeit der wissenschaftlichen Karrierewege, die besonders Frauen von einer wissenschaftlichen Laufbahn abhält.

Deutschland im internationalen Vergleich hinten

Um an der gegenwärtigen Lage – die auch im internationalen Vergleich äußerst schlecht aussieht – endlich etwas zu ändern, sprach sich Kirsch-Auwärter dafür aus, mit der Festlegung von flexiblen Zielquoten mehr Verbindlichkeit zu schaffen. „Mit Selbstverpflichtungen kommen wir nicht weiter“, erklärte Kirsch-Auwärter und wies darauf hin, dass die bisherigen Selbstverpflichtungen mancherorts sogar einen negativen Effekt gehabt hätten, da sie zur Selbst- und Fremdtäuschung beitrügen. Die gefühlte Gleichstellungsleistung sei sehr groß, verwies die Sachverständige. Dabei hatte der Wissenschaftsrat in seiner Evaluation der Offensive für Chancengleichheit vor zwei Wochen erst festgestellt, dass die Gleichstellungserfolge der Wissenschaftseinrichtungen weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind (der zwd berichtete am 29. Mai).

„Alle Appelle und Selbstverpflichtungen haben bisher nicht geholfen. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen müssen daher gesetzlich dazu verpflichtet werden, Zielquoten zu bestimmen“, betonte auch die Vorsitzende des Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), im Anschluss an die zweieinhalbstündige Anhörung. Die Vorsitzende plädiert wie die Sachverständigen für das Kaskadenmodell, nach dem die Zielquoten individuell für jedes Institut festgelegt werden und sich an dem Anteil der Frauen in der jeweils niedrigeren Qualifikationsstufe orientieren. Im Falle der Nichterfüllung der verbindlichen Zielquoten – die nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates ambitioniert und realistisch sein müssen – fordert Burchardt auch finanzielle Konsequenzen für die Wissenschaftseinrichtungen. Wie diese aussehen könnten, ist allerdings umstritten.

Hochschulen wollen mehr Geld für Gleichstellung

Während der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Prof. Wolfgang Marquardt, und der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Joybrato Mukherjee, finanzielle Anreize gegenüber Sanktionen befürworten, wollen Kirsch-Auwärter und die Leiterin des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS), Jutta Dalhoff, auch auf Sanktionen zurückgreifen können. So sprechen sich die beiden Frauen dafür aus, Teile der Forschungsförderung von Bund und Ländern von der Erfüllung von Gleichstellungszielen abhängig zu machen.

Mukherjee verwehrte sich gegen einen solchen Schritt mit dem Verweis auf die Autonomie der Hochschulen. Zudem hält er Anreize für das wirkungsvollere Instrument, da diese unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – die es alle mitzunehmen gelte – sicher größere Akzeptanz fänden als Sanktionen. Es käme nicht sehr gut an, die ohnehin sinkenden Grundmittel mit Verweis auf die Gleichstellung weiter zu reduzieren, erklärte Mukherjee. Anreize hingegen könnten einen sozialen und wissenschafts-getriebenen Druck auslösen, der nachhaltig wirke.

Skeptisch bezüglich einer Ausklammerung von Sanktionsmöglichkeiten äußerte sich die forschungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Krista Sager. Die Erfüllung von Gleichstellungszielen an die Ausschüttung zusätzlicher Fördergelder zu knüpfen, sei ein sicherer Weg, um die vereinbarten Ziele nicht umsetzen zu müssen, befand Sager.

Eine ausführliche Berichtererstattung zum Thema folgt im kommenden BGP mit einem Schwerpunkt „Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung“

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