GLEICHSTELLUNGSPOLITIK : Eigenständiges Politikfeld - keine Unterordnung unter die Familienpolitik

28. Oktober 2013 // zwd Berlin (ig).

Appell von Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft | "Forschungszentrum für Gleichstellung"

Maßgebliche Persönlichkeiten, die politisch oder wissenschaftlich auf dem Felde der Gleichstellungspolitik tätig sind, haben an die Politik appelliert, das Thema nicht länger der Famuilienpolitik unterzuordnen, sondern als eigenständiges Politikfeld zu etablieren. An die Adresse des Bundestages und der neuen Bundesregierung richtet sich die Forderung, Gleichstellung und Gender-Mainstreaming zum durchgängig gültigen Prinzip des Regierungshandelns zu machen. Zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs zählen die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates und verdi-Bereichsleiterin, Hannelore Buls, die Vorsitzende der SPD-Frauenarbeitsgemeinschaft ASF, Elke Ferner, die langjährige Gleichstelungsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, Christel Humme, sowie Wissenschaftlerinnen aus dem Bereich der Genderforschung. Auch die Chefredaktion der zwd-Mediengruppe und der Vorstand der Gesellschaft Chancengleichheit e.V. unterstützen den Aufruf.

Der Aufruf hat folgenden Wortlaut:

Gleichstellung jetzt - Gleichstellungspolitik stärken

Die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist im Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 als Staatsziel verankert. Es besteht eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung, die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip zu verfolgen und als eigenständiges Politikfeld zu gestalten (Gemeinsame Geschäftsordnung Art. 2 und 3). Die hier genannten Prinzipien wurden bislang nicht umgesetzt – obwohl der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2011) erheblichen Handlungsbedarf aufzeigt. Auch besteht keine Infrastruktur, die die Umsetzung des Staatsziels Gleichstellung flankiert, evidenzbasiert unterstützt und ein entsprechendes Monitoring leistet.

Es besteht Handlungsbedarf, denn:

- Frauen können ihre gute Ausbildung nicht in adäquate berufliche Karrieren umsetzen: Weibliche Jugendliche erzielen zwar höhere und bessere schulische Qualifikationen, haben aber geringere Chancen als Jungen bzw. Männer, diese Bildungszertifikate am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verwerten (Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2011, S. 88/109).

- Gender Pay Gap: 2012 lag der unbereinigte Gender Pay Gap (Bruttostundenverdienst) für Deutschland bei 22 Prozent (Statistisches Bundesamt).

- Gender Pension Gap: Der Gender Pension Gap in Deutschland liegt bei 59,6 Prozent (BMFSFJ 2011, S.7).

- Existenzsichernde Beschäftigung: Der Anteil der beschäftigten Frauen im Haupterwerbsalter (25 bis 60 Jahre) ohne existenzsicherndes Einkommen lag 2010 bei 62 Prozent (Männer: 29 Prozent). 74 Prozent der weiblichen und 43 Prozent der männlichen Beschäftigten verdienen nicht genug, um langfristig für sich und ein Kind sorgen zu können (Pimminger 2012, S. 32).

- Lebenserwartung von Männern: Männer leben in Deutschland im Durchschnitt ca. 5 Jahre kürzer, als es die heutigen Lebensverhältnisse und die medizinische Versorgung zulassen würden (Statistisches Bundesamt 2011).


Wir schlagen deswegen vor:

  • Die Gleichstellungspolitik wird mit erweiterten Federführungskompetenzen und zusätzlichen Ressourcen als eigenständiges Politikfeld gestärkt. Gleichstellungspolitik braucht Sichtbarkeit und soll nicht weiter faktisch der Familienpolitik untergeordnet werden.

  • Eine durchgängige Berücksichtigung von Gleichstellungsfragen (Leitprinzip Gleichstellung bzw. Strategie Gender Mainstreaming) wird endlich zum Grundprinzip des Regierungshandelns.

  • Ein regelmäßiger Gleichstellungsbericht (mindestens einmal in der Legislatur) wird als gesetzlicher Auftrag der Bundesregierung verankert.

  • Es wird eine dauerhafte Infrastruktur eingerichtet, die die Bundesregierung durch die Aufbereitung von Daten, Transfer, Koordination, wissenschaftliche Beratung, Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit in Gleichstellungsfragen unterstützt. So wird im Ersten Gleichstellungsbericht (S. 35) ein „Forschungszentrum zur Gleichstellung“ empfohlen.

    Unterzeichnerinnen und Unterzeichner (Stand: 24.09.2013)
    Dr. Sabine Berghahn, Nina Bessing, Prof. Dr. Silke Bothfeld, Hannelore Buls, Elke Ferner, Dr. Regina Frey, Prof. Dr. Claudia Gather, Jochen Geppert, Dr. Karin Hildebrandt, Dr. Elke Holst, Christel Humme, Prof. Dr. Ina Kerner, Dr. Mara Kuhl, Prof. Getraude Krell, Monika Lazar, Prof. Dr. Julia Lepperhoff, Sandra Lewalter, Dr. Claudia Neusüß, Dr. Irene Pimminger, Katharina Pühl, Ulrike Röhr, Bettina Luise Rürup, Sebastian Scheele, Christina Schildmann, Dr. Monika Schröttle, Dr. Barbara Stiegler, Henning von Bargen


    Ergänzend zum Aufruf liefern die UnterzeichnerInnen weitere Argumente:

    Die Gleichstellungspolitik in Deutschland zeichnet sich durch einen enormen Gestaltungsrückstau aus, wie der Erste Gleichstellungsbericht ausweist. Sie ist außerdem durch geringe rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und die marginale finanzielle und institutionelle Ausstattung weitgehend blockiert. Die beschränkten Kompetenzen und die geringe Ausstattung der Gleichstellungspolitik werden beim Vergleich mit anderen Politikfeldern drastisch deutlich.
    Die geringen Gestaltungsmöglichkeiten machen die Durchsetzung gleichstellungspolitischer Vorhaben unwahrscheinlich, führen zu geringer Aufmerksamkeit und geringem Interesse bei den politischen Entscheidungsträger_innen und verhindern inhaltliche und persönliche Erfolge beim Engagement für gleichstellungspolitische Themen.

    Wer diesen Vorschlag unterzeichnen möchte, schickt bitte eine E-Mail mit Namen (ggf. Titel, Vorname, Name und ggf. Funktion) an die Emailadresse:

    gleichstellung-jetzt@gmx.de
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