Augsburger Allgemeine berichtete über "laxen Umgang mit BAföG-Mitteln"
Die von der Bundesregierung bis 2021 angestrebte Trendwende der BAföG-Empfänger*innen ist nach Einschätzung des Deutschen Studierendenwerks angesichts der jüngsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) ausgeblieben. Auch für das Corona-Jahr 2020 verzeichnet die Bundesstatistik eine rückläufige Anzahl geförderter Studierender und Schüler*innen. Die Ankündigung von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), nach der Bundestagswahl das BAföG weiterzuentwickeln, stößt beim Koalitionspartner SPD, bei der Bundestagsopposition und ebenso bei Gewerkschaften sowie Studierendenvertreter:innen auf heftige Kritik.
In der Augsburger Allgemeinen hatte Ministerin Karliczek geäußert, sie wolle künftig die Altersgrenze für die Förderung über das 35. Lebensjahr hinaus verlängern und auch Zweitstudien fördern. In der gleichen Zeitung wurde darüber berichtet, dass ihr Ministerium trotz der prekären Situation vieler Studierender rund 160 Millionen Euro aus den ihr zugeteilten BAföG-Haushaltsmitteln nicht ausgegeben, sondern an das Bundesfinanzministerium zurücküberwiesen habe. Die der Zeitung vorliegende Endabrechnung des Ministeriums für 2020 besagt, dass Karliczek etwa 360 Millionen Euro ihrer BAföG-Mittel nicht ausgegeben habe. Für die Studierendenwerke habe sie von diesen nicht verausgabten Geldern 134 Millionen Euro an die Studierendenwerke für Studierenden-Überbrückungshilfen und weitere 66 Millionen Euro für KfW-Studienkredite zur Verfügung gestellt. Dass 160 Millionen Euro an das Finanzministerium zurückgegeben worden seien, scheint nach Angaben der Augsbuirger Allgemeinen "Methode zu haben". Denn bereits 2019 habe Karliczek eine BAföG-Minderausgabe von knapp 900 Millionen Euro verbucht und davon zwei Drittel an das Bundesfinanzministerium zurückgegeben.
Grüne: Karliczek führt das BAföG seit Jahren mutwillig in den Abgrund - LInke scheiterten im Bundestag mit Reformforderung
Die Grünen-Politikerin Ekin Deligöz hielt der Bundesbildungsministerin vor, die Bundesausbildungsförderung "mutwillig in Richtung Abgrund" zu führen und zuzulassen, dass jährlich tausende junge Menschen, die sich aufgrund der Pandemie in finanzielle Not befänden. aus der Förderung herausgefallen seien. Ihr Fraktionskollege Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschulen, wurde noch deutlicher: Er warf der Ministerin einen unzureichenden und willkürlichen Umgang in der BAföG-Politik vor: "Selbst in der Pandemiekriese hat Ministerin Karliczek die Studierenden lieber in die Schuldenfalle manövriert, statt mit einer BAföG-Öffnung echte Hilfe anzubieten - mit fatalen Folgen für die Zukunftschancen vieler junger Menschen." Gehring kritisierte zudem Karliczeks jüngstes Versprechen einer BAföG-Anpassungen nach der Bundestagswahl. Dies sei lediglich ein durchschaubares und unglaubwürdiges Wahlkampfmanöver.
Die Bundestagsfraktion der Linken sieht sich aufgrund der Zahlen des Statistischen Bundesamtes in ihrer bereits 2020 gestellten Forderung bestätigt, das BAföG müsse krisensicher gestaltet und Studierende vollumfänglich gefördert werden (Drucksache 19/18688). Die Linke hatte vor dem Hintergrund der Pandemie krisensichere Unterstützungsangebote zur Verbesserung der sozialen
Lage der Studierenden gefordert (Drs. 19/23831), war damit aber im Bundestag an der Ablehnung durch CDU/CSU, SPD, FDP und B'90/Die Grünen gescheitert (gemäß Beschlussempfehlung - Drs. 19/28527 vom 15.04.2021)
SPD-Fraktion im Bundestag fordert umfassende BAföG-Reform, um den Sinkflug zu stoppen
Die Bundesbildungsministerin hat es nach den Worten des bildungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek "verpasst, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Trendwende bei den BAföG-Geförderten zu erreichen". Es sei enttäuschend und bitter für viele Studierende, dass Ministerin Karliczek BAföG-Mittel im Haushalt liegen gelassen habe, die Finanzminister Olaf Scholz (SPD) für die Trendwende im BAföG zur Verfügung gestellt hatte, Die SPD-Fraktion will sich noch laufenden Wahlperiode dafür stark machen, dass die Bundesausbildungsförderung weiter anpasst wird, um endlich wieder mehr Studierende bei der Finanzierung ihrer Ausbildung zu unterstützen. Damit solle der Sinkflug beim BAföG gestoppt werden. Kaczmarek kündigte an, die SPD wolle eine Nothilfe im BAföG etablieren, die in der Corona-Krise dringend nötig gewesen wäre. .
Die Ankündigung von Ministerin Karliczek zur Weiterentwicklung des BAföG in der nächsten Wahlperiode bezeichnete der Bildungsexperte der SPD als ."Wahlkampfgetöse". Notwendig sei eine echte Reform, mit der Förderlücken geschlossen würden. Nah dem Willen der SPD-Fraktion sollen dazu die Freibeträge erhöht, das Darlehensmodell auf Vollzuschuss umgestellt und die Altersgrenzen aufgehoben werden.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): Die BAföG-Reform gehört ins 100-Tage-Programm der neuen Regierung!
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) machte angesichts der jüngst veröffentlichten BAföG-Zahlen Ministerin Karliczek für die fortwährend rückläufige Zahl der Empfänger:innen verantwortlich. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende und Hochschulexperte Andreas Keller verlangte mit Blick auf die aktuelle Erhebung des Statistischen Bundesamtes eine Aufnahme der BAföG-Reform in das 100-Tage-Programm der neuen Bundesregierung. 50 Jahre nach seinem In-Kraft-Treten, sei das BAföG im freien Fall und eine Rundumerneuerung der Ausbildungsförderung überfällig,
Deutsches Studentenwerk und "fzs": Grundlegende Reform der staatlichen Studienförderung notwendig
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) und der Freie Zusammenschluss von Student:innenschaften (fzs) plädierten ebenfalls für eine umfassende Reform des BAföG-Systems. Der seit 2012 anhaltende Abwärtstrend der BAföG-Empfänger*innen sei ein weiterer Beleg für die nicht ausreichenden Änderungen der aktuellen 26. BAföG-Novelle. Eine grundlegendere Verbesserung der staatlichen Studienförderung sei deshalb zwingend notwendig. Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, begrüßte die angekündigten Weiterentwicklungen des BAföG durch die Bundesbildungsministerin, mahnte jedoch mit Blick auf die bisherige Dynamik: "Die Umsetzung muss nach der Regierungsbildung nun allerdings unmittelbar erfolgen, um das BAföG zum fünfzigjährigen Jubiläum wieder zum grundlegenden Instrument der Studienfinanzierung zu machen, das breiter in die Mittelschicht hineinreicht." Die Studierendenvertretung fzs erinnerte an die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2021, wonach das BAföG in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung gegen das verfassungsrechtliche Teilhaberecht auf chancengleichen Zugang vrstoße, da es das ausbildungsbezogene Existenzminimum nicht abdecke. Das Gericht hatte ein Urteil in einem dort anhängigen Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des hierzu jetzt angerufenen Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.
Jusos und Grüne Jugend: Empörung und Enttäuschung in den sozialen Netzwerken
Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter lösten die jüngsten BAföG-Versprechen Karliczeks eine Welle negativer Kritik aus. Zahlreiche Vertreter*innen der Bundestagsoppositionen und der Studierendenverbände zeigten sich bestürzt über die aktuelle Lage. Die SPD-Jugendorganisation (Jusos) hielten der Bundesbildungsministerin Ignoranz gegenüber Studierenden vor. Wörtlich heißt es in der Twitter-Nachricht: "2020 haben 6% weniger junge Menschen BAföG bekommen. Ein Skandal, gemacht von Karliczek und der CDU. Das BAföG hätte in der Pandemie für viel mehr Leute geöffnet werden müssen, so wie die SPD das wollte. Zeit, die Inkompetenz & Ignoranz aus dem Bildungsministerium zu werfen."
Die Grüne Jugend twitterte ihren Missmut gegenüber Karliczeks plötzlicher BAföG-Offensive: "Im April 2020 (!) haben wir Ministerin Karliczek in einem gemeinsamen Brandbrief gebeten, das BAföG dringend zu öffnen. Sie hat nicht einmal geantwortet. Jetzt, kurz vor der Wahl "fordert" sie plötzlich BAföG-Reformen. Vom wem fordert sie die?".
Ihr Unverständnis für Karliczeks Blitz-Aktion teilten auch die Freien Demokraten. Moritz Harrer, Stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Mecklenburg-Vorpommern, äußert via Twitter: "55 Tage vor der Wahl möchte man plötzlich das BAföG reformieren. Ist klar...."
Statistisches Bundesamt: BAföG-Statistik: 6,0% weniger Geförderte im Jahr 2020
Wie das Statistische Bundesamt (DESTATIS) in einer Pressemitteilung vom 05. August mitteilte, haben im Jahr 2020 639 000 Personen Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten. Daraus ließe sich ein Rückgang um 41 000 Personen oder 6,0 % gegenüber dem Vorjahr erschließen. Zugleich sei der durchschnittliche Förderbetrag um 53 Euro oder 10,5 % angestiegen, sodass im Durchschnitt ein Förderbetrag von 574 Euro an die Student*innen und Schüler*innen ausgezahlt wurde. Mit einem Anteil von 58% unter den BAföG-Geförderten, erhielten im Jahr 2020 mehr Frauen als Männer eine Studienförderung. Zudem lässt sich ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen Voll-und Teilförderungen beobachten: Während der Anteil von Empfänger*innen des maximalen Förderbetrags einen Rückgang um 5,2% verzeichnete, nahm die Zahl der eingeschränkt oder anteilig Geförderten mit 6,9% im gleichen Zeitraum ab.