zwd Berlin. Vertreter*innen des aus GEW und Student*innenorganisationen zusammengesetzten Bündnisses Solidarsemester 2020 demonstrierten am Samstag, dem 20. Juni, in Berlin gegen die vom Bundesbildungsministerium (BMBF) getroffenen Regelungen. Laut GEW versammelten sich rund 350 Personen vor dem Hauptbahnhof, um die Politik von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zu kritisieren und ihren Unmut über die aus ihrer Sicht unzulänglichen Hilfsmaßnahmen zum Ausdruck zu bringen.
Hilfsfonds reicht nicht für alle bedürftigen Studierenden
Unter dem Motto „Eine Milliarde für eine Million – Studi-Hilfe jetzt!“ forderten sie die Bildungsministerin auf, den vom Bund für in existenzielle Schwierigkeiten geratene Studierende eingerichteten sog. Notfallhilfefonds von bisher 100 Millionen auf 1 Milliarde aufzustocken. Die Mitglieder des Bündnisses monierten, dass der Fonds nicht für die eine Million Student*innen ausreiche, die durch die Krise ihren Nebenjob verloren haben. Darüber hinaus sei eine monatliche Förderhöhe von höchstens 500 Euro zu gering, damit die Studierenden ihre alltäglichen Bedarfe, wie Miete und Lebensmittel, decken, erklärten die Teilnehmer*innen der Kundgebung. Außerdem sei der Zugang zu der Unterstützung zu stark eingeschränkt und bürokratisch geregelt.
An den „Überbrückungskrediten“ beanstanden die Student*innen, Politiker*innen und Gewerkschaftler*innen ebenfalls, dass sich mit den Darlehenssummen von bis zu 650 Euro fast im gesamten Bundesgebiet nicht der Lebensunterhalt absichern lasse. Anders als von Bildungsministerin Karliczek angekündigt, seien die Kredite ab 2021 hochverzinst und müssten teilweise frühzeitig zurückgezahlt werden. Zahlreiche Studierende würden dadurch vor die Wahl gestellt, entweder hohe Schulden aufzunehmen oder gleich das Studium abzubrechen. Zudem seien viele Student*innen von vornherein von den Krediten ausgeschlossen. Die Zuschüsse können die Studierenden seit dem 16. Juni beantragen, sollen jedoch bloß für die Monate Juni bis August gewährt werden. Die ersten Darlehensgelder sollten ab Anfang dieses Monats von der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf die Konten von Student*innen fließen, welche sie beantragt haben.
GEW sieht Gefahr einer Bildungskrise
Der stellvertretende Vorsitzende der GEW Dr. Andreas Keller verlangte angesichts der desolaten Situation der Studierenden und der schwachen Hilfsangebote vonseiten der Regierung einen „Kurswechsel“ in der Politik. Ansonsten droht nach Ansicht Kellers die Gefahr, dass aus der „Corona-Krise eine Bildungskrise“ wird. Keller hält die bislang vom Bund bereitgestellten Hilfen für „ein großes Armutszeugnis für die Große Koalition“. Es könne nicht sein, „dass die Regierung mit ihrer unterlassenen Hilfeleistung zehntausende Studierende in den Studienabbruch treibt“, mahnte der GEW-Vize im Vorfeld der Veranstaltung.
Linke kritisiert Regierungshandeln als absurd
Mit ihrem Protest wollten sie der ca. 1 Million Student*innen „eine Stimme geben“, die sich einer repräsentativen Umfrage zufolge aktuell „sehr große Sorgen“ um ihre Finanzen machen, betonte Leonie Ackermann vom Vorstand des freien zusammenschlusses der student_innenschaften (fzs). Die Fraktion der Linken im Bundestag erklärte sich auf der Demonstration solidarisch mit den Studierenden. Die hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion Nicole Gohlke zeigte sich fassungslos, dass die Koalitionsregierung besonders die Wirtschaft mit einem Hilfspaket in Höhe von 62 Milliarden Euro unterstütze, nicht aber an eine auskömmliche Förderung der Student*innen in finanziellen Zwangslagen gedacht habe. Die zu schwachen Hilfsangebote der Regierung gefährden nach Meinung von Gohlke die Chancengleichheit im Studium. Das unentschlossene Handeln der Koalitionsregierung sei absurd, urteilte die Linken-Sprecherin, Bildungsministerin Karliczek habe „ihren politischen Kompass verloren und gehört nicht an diese Stelle“.
Die von der Regierung gewährte Unterstützung stünde in keinem vernünftigen Verhältnis zur Lebensrealität der Studierenden, sagte Margarita Kavali, Mitglied im Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS. Sebastian Zachrau vom fzs-Vorstand gab zu Bedenken, dass bloß 12 Prozent aller Student*innen BAföG beziehen, so dass eigentlich im Etat für die staatliche Studierenden-Beihilfe noch ca. 900 Millionen Euro übrig seien. Zachrau schlug vor, diese überschüssigen Gelder aus dem BAföG-Haushalt in der Krise den bedürftigen Studierenden zur Verfügung zu stellen. Schon knapp zwei Wochen vorher, am 08. Juni, hatte das Bündnis Solidarsemester mit einer Reihe von bundesweiten Aktionen vor den Länderparlamenten und Bildungsministerien auf die prekäre Lage der Student*innen aufmerksam gemacht.
Grüne warnen vor Studienabbrüchen
Wie Linke, Studierende und GEW prangert auch die Grünen-Bundestagsfraktion das zu späte und mit Blick auf die Lebensbedingungen der Student*innen unangemessene Handeln von Bildungsministerin Karliczek an. Nach Auffassung des hochschulpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion Kai Gehring unterschätzt die Ministerin offenbar „konsequent“ die tatsächlichen Notlagen der Studierenden. „Wer eine Alibi-Nothilfe für wenige auf den Weg bringt, riskiert sehenden Auges massenhaften Studienabbruch – das ist unverantwortlich“, warnte auch Gehring.
Statt der verzögerten, unzureichenden Hilfsangebote der Ministerin wäre es laut dem Grünen-Sprecher richtig gewesen, das BAföG für die Zeit der Epidemie für alle Student*innen vorübergehend zu öffnen, wie das zuvor SPD, Linke, Gewerkschaften, Bildungs- und Studierendenverbände gefordert hatten. Die Politik müsse dafür sorgen, dass „die junge Generation nicht zur Verliererin der Coronakrise wird“, so Gehring. Nach Aussagen des Grünen-Sprechers haben inzwischen sogar 40 Prozent der Student*innen ihre Nebenjobs verloren, mehr als 20 Prozent könnten ihre Miete und sonstigen Rechnungen nicht mehr pünktlich zahlen.
Alleinwohnende Studierende: 37 Prozent Einkünfte aus Nebenjobs
Gemäß einer vom Statistischen Bundesamt (Destatis) am 17. Juni veröffentlichten Studie bezogen alleinwohnende Studierende ihre Einkünfte 2018 zu 37 Prozent aus Nebenjobs. Demnach betrug ihr gesamtes Einkommen durchschnittlich 1060 Euro pro Monat. 460 Euro erhielten diese Student*Innen im Mittel von ihren Eltern, den Rest (390 Euro) mussten sie selber verdienen. Fast den ganzen Betrag ihrer Einkünfte (1030 Euro) brauchten sie, um ihre privaten Kosten zu bestreiten. Der Statistik zufolge wohnten knapp 25 Prozent der Studierenden (ca. 696.000 Personen) allein, 38 Prozent (1,1 Millionen Personen) lebten in Wohngemeinschaften oder mit Partner/ Partnerin, die Übrigen (ebenfalls 38 Prozent) bei den Eltern.