zwd Berlin. Der Bundespräsident hatte - bisher einmalig - den Deutschen Frauenrat aus Anlass der Internationalen Frauentages am 8. März zu einem Empfang gebeten. In seiner Rede wies er darauf hin, dass auch mehr als siebzig Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes der große Auftrag der Gleichberechtigung noch lange nicht erfüllt sei. Noch immer würden Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen übergangen; noch immer hielten sie deutlich weniger Reden im Parlament; noch immer sei es für viele schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren. Die Männer rief Steinmeier dazu auf, "auch mal die Perspektive der Frauen" einzunehmen und mitzuhelfen, die "gläserne Decke" zu sprengen.
Wegen der Bedeutung dieser Rede veröffentlichen wir nachstehend den Wortlaut der Rede des Bundespräsidenten:
"Diese Szene könnte gut in einer satirischen Politserie spielen: Ein schon etwas älterer, weißhaariger Mann, der das höchste Staatsamt bekleidet – das einzige Amt in seinem Land, das noch nie von einer Frau ausgeübt wurde –, dieser Mann empfängt anlässlich des Internationalen Frauentages politisch engagierte Frauen in seinem Amtsschloss, würdigt zur Begrüßung – eher gönnerhaft – ihre Arbeit und erklärt ihnen anschließend in einem länglichen Vortrag, was er für die Grundsätze der Gleichstellungspolitik hält.
Wenn man heute noch jemandem erklären müsste, was "Mansplaining"
eigentlich bedeutet, dann wäre diese Szene, finde ich, ein ziemlich ideales Beispiel. Und mein Job ist es jetzt, aus diesem Film irgendwie wieder rauszukommen.
Also noch mal von vorn und jetzt ganz im Ernst: Sehr geehrte Damen, liebe Frauen, seien Sie herzlich willkommen hier in Bellevue. Meine Frau und ich, wir freuen uns, dass Sie heute Mittag bei uns sind und diesen Saal in eine Lobby der Frauen verwandelt haben. Am Sonntag ist Frauentag, und aus diesem Anlass wollen wir gleich darüber diskutieren, wie es in unserem Land am besten zu schaffen ist, dass noch mehr Frauen in Politik, Gesellschaft und Beruf gleichberechtigt mitgestalten können.
Wir knüpfen damit an das Gespräch über die Gleichstellung von Frauen und Männern an, das wir vor etwas mehr als einem Jahr hier in Bellevue geführt haben, zum hundertsten Geburtstag des Frauenwahlrechtes. Damals haben wir an die vielen mutigen Frauen erinnert, die in der Geschichte unseres Landes für ihre Rechte eingetreten sind. Zum Beispiel an Elisabeth Selbert, die 1949 fast im Alleingang einen schönen, klaren Satz im Grundgesetz verankerte: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
In der patriarchalisch geprägten Nachkriegsgesellschaft war dieser Satz ein großes Versprechen und ein großer Auftrag. Von Anfang an haben Frauen in der Bundesrepublik selbstbewusst Politik gemacht und für ihre rechtliche und faktische Gleichstellung gekämpft. Frauen wie Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Ministerin der Bundesrepublik und spätere Vorsitzende des Deutschen Frauenrates.
Sie alle kennen ihre Geschichte: Als 1961 durchsickert, dass auch das vierte Kabinett Adenauer ein reiner Männerklub bleiben soll, machen sich die Bundestagsabgeordneten Aenne Brauksiepe, Elisabeth Pitz-Savelsberg, Helene Weber und Margot Kalinke auf ins Palais Schaumburg, um den Kanzler zur Rede zu stellen. Man versucht sie abzuwimmeln, aber die vier Frauen besorgen sich Stühle und Verpflegung, bleiben einfach sitzen und setzen sich durch: Adenauer schafft für Elisabeth Schwarzhaupt das Gesundheitsressort.
Was die erste Bundesministerin im neuen Amt leistet, etwa für den Umwelt- und Verbraucherschutz, das gilt heute als wegweisend. Weniger wegweisend war dagegen der Kommentar, den der Spiegel kurz nach ihrer Vereidigung veröffentlichte: "Angesichts der Überflüssigkeit ihres Ressorts"
, tönten die Herren Redakteure, "zweifelt in Bonn niemand an der Qualifikation des Fräulein Schwarzhaupt […] für das hohe Amt. Mit der Verlegenheitsbehörde zur Befriedigung der Frauenwünsche hat sich die Zahl der unnützen Bonner Ministerien auf vier erhöht."
Geschichten wie diese führen uns vor Augen, wie groß die Leistung der Frauen war, die sich damals einen Platz in der Politik und im öffentlichen Leben eroberten; die andere ermutigten und ihnen Wege bahnten; die begonnen haben, die politische Kultur in unserem Land von patriarchalischen Mustern zu befreien. Geschichten wie diese machen uns heute bewusst, wie stark Frauen unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben.
Und das gilt längst nicht nur in unserem eigenen Land. Ich war letzte Woche im Sudan, einem Land, das sich gerade von einer Jahrzehnte dauernden Diktatur befreit. Und es sind dort vor allem die jungen Frauen, die auf den Straßen für ihre Rechte gekämpft, sie den autokratischen Machthabern abgetrotzt haben, die sich jetzt einsetzen für eine demokratische Gesellschaft, an der Männer und Frauen gleichermaßen teilhaben.
Hier in unserem Land war und ist der Deutsche Frauenrat ein wichtiger Schrittmacher der Gleichberechtigung. Unter seinem Dach haben sich ganz unterschiedliche Frauen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, aus Ost und West immer wieder auf gemeinsame Forderungen geeinigt und dann auch gemeinsam für sie gekämpft – in Bonn und Berlin, in der Europäischen Union und den Vereinten Nationen. Ob es um gleiche Chancen geht, um gleiche Bezahlung oder die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen: Ihr Verband hat nicht nur die politische Tagesordnung bereichert, er hat auch das gesellschaftliche Bewusstsein für Benachteiligung und Diskriminierung geschärft.
Ich danke Ihnen allen für Ihren großen Einsatz, den viele von Ihnen ehrenamtlich leisten. Sie alle engagieren sich für die Sache der Frauen, und Sie engagieren sich damit zugleich für die Sache der Demokratie. Denn die Demokratie wird ihren eigenen Idealen von Freiheit und Gleichheit erst dann gerecht, wenn Frauen und Männer gleichermaßen an ihr beteiligt sind, wenn Bürger und Bürgerinnen sie in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen mitgestalten. Ihr Engagement, liebe Frauen, stärkt unsere Demokratie, und diese Stärkung braucht sie heute besonders dringend. Meinen herzlichen Dank für Ihren Mut, Ihre Leidenschaft, Ihre Beharrlichkeit!
Sie alle haben viel bewegt und viel erreicht. Aber wir wissen auch: Mehr als siebzig Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes ist der große Auftrag der Gleichberechtigung noch lange nicht erfüllt. Noch immer werden Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen übergangen; noch immer halten sie deutlich weniger Reden im Parlament; noch immer ist es für viele schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren. Und auch neue Probleme kommen hinzu, etwa die Benachteiligung von Frauen in der digitalen Arbeitswelt.
Wir sehen heute auch, dass die Errungenschaften der Frauenbewegung nicht selbstverständlich sind und jederzeit wieder rückgängig gemacht werden können. Wir erleben eine weltweite Faszination für Autoritäres, eine Sehnsucht nach "starken Männern"
, einen Rückfall in alte Rollenmuster. Wir erleben, wie Politiker, die mit ihrem Sexismus prahlen, in höchste Ämter gewählt werden; wie auch bei uns in Deutschland der Frauenanteil in Parlamenten sinkt; wie auch im Internet Frauenhass und antifeministische Hetze um sich greifen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Frauen sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen oder sich gar nicht erst hineinwagen, weil sie belästigt, beschimpft, bedroht oder angegriffen werden. Es ist die Aufgabe von Politik, Polizei und Justiz, Frauen zu schützen. Und es ist zugleich unsere gemeinsame Aufgabe: Wir alle, Frauen und Männer, dürfen nicht wegschauen oder weghören, wir müssen laut und deutlich widersprechen, wann und wo auch immer Sexismus und Gewalt gegen Frauen sich im Alltag breit macht.
Frauenrechte, davon bin ich überzeugt, sind nicht die Sache von Frauen allein. Sie sind unsere gemeinsame Sache, die Sache von Demokratinnen und Demokraten. Wer als Mann auch mal die Perspektive der Frauen einnimmt, der kann Frauen unterstützen, ohne in paternalistische Gesten zu verfallen. Und der wird mithelfen, gläserne Decken zu sprengen, weil er weiß: Am Ende gewinnen dadurch alle."