Lindner: Interessierter Zuschauer, allenfalls FDP-Strippenzieher im Hintergrund
Bundesfinanzminister Lindner, der oberste Haushälter der Bundesregierung ist nicht mehr Herr des Verfahrens, sondern im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens der Haushaltsausschuss des Bundestages, der sich dabei - aber nicht immer - auf die Voten der Fachausschüsse stützt. Er kann lediglich noch als FDP-Chef hinter den Kulissen der Haushaltsberatungen einige Strippen ziehen.
Für das zwd-POLITIKMAGAZIN haben wir uns auf die Einzelpläne 04 des Kanzleramts – der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (BMK) –, 05 des Auswärtigen Amtes (speziell Auswärtige Kulturpolitik), 17 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und 30 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie mit dem Einzelplan 60 (hier Sondervermögen) konzentriert. Einbezogen haben wir dabei auch wesentliche Aspekte aus der ersten Lesung des Bundeshaushalts sowie der Einzelpläne der Ministerien vom 5. bis 8. September, in denen die Kernpunkte der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition über die geplanten Geldausgaben des Bundes deutlich geworden sind (ausführlich in Ausgabe 400).
Allenthalben herrschte nicht nur bei der Opposition, sondern auch innerhalb des Koalitionslagers Unmut über die Kürzungspolitik des Finanzministers, der seine Sparauflagen an die Ressorts mit der Einhaltung der Schuldenbremse begründet hat. Auch innerhalb der Koalitionsfraktionen war der Unmut unverkennbar, wenn er auch in den parlamentarischen Redebeiträgen nur zurückhaltend zum Ausdruck gebracht wurde kam. Um so weniger kommt es überraschend, dass bei den bereits verhandelten Einzelhaushalte der Ministerien Veränderungen erkennbar geworden sind. Sie wurden von den Regierungsfraktionen eingebracht und mit deren Mehrheit verabschiedet. Aber mit diesen Veränderungen ist noch nicht alles geregelt.
Die Nacht der langen Messer
Denn die Beschlüsse der Fachausschüsse stehen jeweils unter dem Vorbehalt, dass im Rahmen der „Bereinigungssitzung“ des Haushaltsausschusses noch Änderungen möglich sind. Diese Sitzung, die in den Jahren zuvor sich regelmäßig bis in die tiefen Nachstunden hinzog, ist für den 16. November terminiert. Sie gilt im Sprachgebrauch der parlamentarischen Akteur:innen als die „Nacht der langen Messer“. Denn dort werden die Anträge der Koalitionsfraktionen und der Opposition noch einmal Stück für Stück abgearbeitet und positiv bewertet oder verworfen. Es sind für die Ausgestaltung des Bundeshaushalts 2024 und der MIttelfristige Finanzplanung die „Stunden der Wahrheit“ über die Geldausgabepolitik des Bundes und über viele Einzelprojekte und deren Fördervolumen.
Die 2. und 3. Lesung des Bundeshaushalts ist für die 48. Kalenderwoche (ab 28. November), die Verabschiedung für den 1. Dezember terminiert. Nach dem jetzigen Stand der Beratungen ist mit deutlichen Veränderungen am Haushalt zu rechnen. Die Schuldenbremse, die von SPD und Grünen grundsätzlich als problematisch angesehen wird, bleibt im Haushalt 2024 unangetastet, um den brüchigen Koalitionsfrieden mit der FDP nicht noch mehr zu belasten. Die Auseinandersetzungen darüber werden – je nach den Ergebnissen der Bundesparteitage von Grünen und SPD – an Schärfe zunehmen und im Vorfeld der Bundestagswahlen 2026 die Debatten über den Bundeshaushalt 2025 sowie mehr noch über die Mittelfristige Finanzplanung bis 2028 bestimmen. Mit ihrem Leitantrag zum Bundesparteitag hat die SPD schon die Debatte über eine neue Schuldenregel statt Schuldenbremse sowie über die Schaffung eines 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bildung eingeläutet.
Einen Vorgeschmack auf die anstehenden konfliktgeschwängerten Beratungen lieferten die Parlamentarier bereits im Vorfeld der Etatdebatten. Den „Haushalt unter schwierigen Bedingungen“ gelte es im Bundestag intensiv zu bearbeiten und zu verbessern, kommentierte der haushaltspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Sven-Christian Kindler am 5. Juli die anstehende Arbeit
Die SPD-Bundestagsfraktion formulierte als Zielsetzung der Haushaltsberatungen die Prioritäten „Investieren. Entlasten. Zusammenhalten“. Sie verbindet das „Zurück zu den haushalterischen Normalzeiten“ unter anderem mit einer um 40 Prozent höheren Investitionsquote als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 (54 Milliarden zur Modernisierung der Infrastruktur), mit Projekten zur sozialen Gerechtigkeit (Bürgergeld, Kindergelderhöhung und Kindergrundsicherung) sowie der Unterstützung benachteiligter Schüler:innen (Startchancenprogramm).
Die Sprecher:innen beider Ampel-Fraktionen haben in der ersten Lesung des Bundeshaushalts klargestellt, dass sie sich die verschiedenen Einzeletats der Ministerien "ganz genau anschauen" wollen. Was das im Einzelnen heißt, werden Interessierte am 17. November erfahren, wenn die Haushaltssprecher:innen der Fraktionen die Ergebnisse der Bereinigungssitzung vorstellen.
Schmerzhafte Einschnitte
Der Anspruch des Parlaments, notwendige Korrekturen am Haushalt vorzunehmen, hat jedoch seine Grenzen. Das wurde schon in der 1. Lesung des Haushalts im Bundestag deutlich. Die Kürzungen im Kulturetat, die Streichung von Demokratieförderprogrammen beim BMFSFJ-Etat wie auch die BAföG-Kürzungen im Haushalt des BMBF haben nicht nur öffentliche Proteste hervorgerufen, sondern auch am Image der jeweiligen Ressortchefinnen (Roth, Paus, Stark-Watzinger) gekratzt.
Lesen Sie:
- Kernaussagen aus der ersten Lesung des Bundeshaushalts 2024 im Bundestag
- Stand der Veränderungen des Haushalts durch die Fachausschüsse in ausgewählten Einzelplänen