Dr. DAGMAR SCHLAPEIT-BECK
Frauenerwerbstätigkeit als Lösung für den Fachkräftemangel? Es gibt gute Gründe dafür, aber die Politik ist zu zögerlich!
Der Fachkräftemangel in Deutschland gilt als Wachstumsbremse, gefährdet unseren Wohlstand und wird von Politik und Wirtschaft als größtes Konjunkturrisiko der drittstärksten Volkswirtschaft angesehen.
Aktuell verzeichnet die Bundesagentur für Arbeit über 700.000 unbesetzte Stellen. Doch die Dunkelziffer liegt geschätzt bei über 2 Millionen offenen Stellen. Bis 2035 müssen 7 Millionen Arbeits- und Fachkräfte ersetzt werden. Auf der anderen Seite gibt es allein mehr als 2 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die über keinen berufsqualifizierenden Abschluss verfügen. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Vor allem in den sozialen, Gesundheits- und technischen Berufen herrscht ein hoher Fachkräftemangel. Dieser Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wirkt sich bereits negativ auf unsere Daseinsvorsorge aus, Stationen in Krankenhäusern, ganze Pflegeeinrichtungen oder Kindertagesstätten wurden bereits geschlossen. Nicht zufällig sind überwiegend Frauenberufe betroffen.
Mit mehr Migration von Fachkräften, besserer Qualifizierung und der Aktivierung der Stillen Reserve auf dem Arbeitsmarkt will die Bundesregierung dem Engpass begegnen, etwa durch längere Beschäftigung von Älteren oder Mobilisierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
Eine Beschäftigungsoffensive für fünf Millionen Frauen ist geboten
Aus Anlass des Equal Care Days haben sich verschiedene Verbände vom Deutschen Frauenrat e.V. bis zum Deutschen Gewerkschaftsbund an die Bundesminister:innen für Frauen und für Arbeit, Paus und Heil, gewandt und eine Beschäftigungsoffensive für die fünf Millionen Frauen im erwerbsfähigen Alter gefordert, die zur Zeit keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Dies sind insbesondere Mütter mit Kindern unter sechs Jahren. Auch zwei Drittel der Berufsrückkehrerinnen arbeiten nur in Teilzeit. Fehlende Kita- und Krippenplätze und verlässliche Ganztagsschulen, unflexible Arbeitszeiten sowie die traditionelle Verteilung von Hausarbeit und Careaufgaben sind Hindernisse für Frauen, vollzeitbeschäftigt auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Darüber hinaus erinnern die Verbände an die öffentliche Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen, wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigt.
Teilzeitarbeit ist vor allem weiblich geprägt, 78 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Jede zweite (49,2 %) erwerbstätige Frau arbeitet in Teilzeit, bei den Männern liegt die Quote bei 12,7 Prozent. Zwar sind heute drei Viertel aller Mütter erwerbstätig (74,9 % ), aber zwei Drittel von ihnen arbeiten in Teilzeit (65,5 %), bei den Vätern sind es nur 7,1 Prozent. Die Betreuung von Angehörigen ist einer der Hauptgründe für Teilzeittäigkeit. Ein Viertel (24,5 %) der rund 12,6 Millionen Teilzeitbeschäftigten arbeitet reduziert, um Kinder, Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderungen zu versorgen. Das statistische Bundesamt gibt an, dass 29 Prozent der Frauen Carearbeit als Grund für ihre Teilzeitbeschäftigung nennen, gegenüber nur 7 Prozent der Männer. Mütter mit jüngeren Kindern arbeiten in Deutschland fast doppelt so häufig Teilzeit wie im EU-Durchschnitt. Und Frauen stellen mit 60 Prozent die Mehrzahl der rund 4,3 Millionen Minijobber*innen, die ausschließlich geringfügig beschäftigt sind. So bemisst das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen die Stille Reserve auf dem Arbeitsmarkt 2023 mit ca. 1 Million Personen. Die Mobilisierung dieser vor allem weiblichen Fachkräfte müsste politisches Primat erhalten.
Lindners Spardiktat bremst auch hier die gesellschaftliche Entwicklung
Nach dem im November 2023 veröffentlichten Ländermonitor fehlen 385.900 Kita-Plätze in den alten und 44.700 Plätze in den neuen Bundesländern. Doch wie passt damit zusammen, dass das Bundesfamilienministerium aufgrund der Sparauflagen des FDP-geführten Finanzministeriums nach eigenen Angaben kein weiteres Milliardenprogramm zum Ausbau von Kita-Plätzen mehr plant? Aus der Antwort der Bundesregierung (Drs. 20/10572) auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion (Drs. 20/10307) geht hervor, dass das laufende Investitionsprogramm, das noch 90.000 Betreuungsplätze schaffen soll, im Juni dieses Jahres ausläuft. Die dafür erforderlichen Mittel in Höhe von 1 Milliarde Euro können nur noch bis Juni 2024 abgerufen werden. Das Lindnersche Spardiktat bremst auch hier die gesellschaftliche Entwicklung.
Fehlende Betreuungsangebote bei Kita und Ganztag blockieren Beschäftigungsoffensive
Nach den Berechnungen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) 2023 auf Grundlage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) besteht ein Mangel von 21.515 Fachkräften in den Erziehungsberufen und eine Engpasssituation von 29 Prozent (29 arbeitssuchende Personen auf 100 offene Stellen). Der Ausbau der Kinderbetreuung ist ein Schlüssel zur Mobilisierung tausender hochqualifizierter Frauen auf dem Arbeitsmarkt, doch die Lage ist dramatisch. Inzwischen gelingt es Ländern und Kommunen kaum noch, den Rechtsanspruch auf Kita- oder Ganztagsbetreuung einzulösen, es kommt sogar zu Schließungen von Kindertagesstätten, zur Einschränkung von Kita-Gruppen oder zur Kürzung von Betreuungszeiten aufgrund des Fachkräftemangels.
Wo bleiben die verbindlichen Tarifabschlüsse für die Ausbildung in den Erziehungsberufen?
Noch immer ist auch hier ein Ziel im Koalitionsvertrag nicht umgesetzt: einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Ausbildung in Erziehungsberufen zu schaffen, wonach diese sowohl vergütet als auch generell schulgeldfrei gestellt werden sollen. An den staatlichen Fachschulen der Länder wird zwar kein Schulgeld mehr erhoben, dies gilt aber nicht für private Schulen. Die mangelnde Vergütung der Ausbildung ist auch eine Erklärung dafür, warum junge Menschen mit Migrationshintergrund deutlich unterdurchschnittlich eine Ausbildung in Erziehungsberufen wählen, obwohl sie dort dringend benötigt werden. Doch wo bleiben die verbindlichen Tarifabschlüsse für die Ausbildung in den Erziehungsberufen?
Eine Beschäftigungsoffensive für Frauen dient nicht nur dem Gleichstellungsziel eines gerechten Einkommens, bekämpft die Armutsgefährdung und sichert eine ausreichende Altersversorgung von Frauen. Sie dient auch der Fachkräftesicherung, der Entlastung berufstätiger Eltern und pflegender Erwerbstätiger sowie einer verbesserten Wertschöpfung durch Steuern und Sozialabgaben. Eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung dient dem sozialen und ökonomischen Fortschritt. Die Ampel-Regierung sollte dieses Ziel entschlossen verfolgen.