zwd Berlin. So stellte Ulle Schauws, Sprecherin für Frauenpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, in Frage, ob die Liste in der vorliegenden Form sinnvoll sei. Für Nordrhein-Westfalen, das Bundesland mit den meisten Einwohner*innen, seien bloß drei Praxen in die Übersicht eingetragen, welche legale Schwangerschaftsabbrüche anbieten. „Ungewollt schwangeren Frauen in Not hilft das nicht“, sagte Schauws. Sie bezweifelt auch, ob Ärzt*innen sich freiwillig auf eine bundesweit gültige Liste setzen lassen würden. BÄK-Präsident Klaus Reinhardt hatte zuvor erklärt, dass die vom BÄK auf ihre Internetseite gesetzte Liste schwangeren Frauen in Notsituationen dabei helfen solle, medizinischen Beistand in örtlicher Nähe in Anspruch zu nehmen. Die Neuregelung des Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches schaffe zudem „für alle Beteiligten dringend notwendige Rechtssicherheit bei der Information zum Schwangerschaftsabbruch.“
SPD: Mehr Informationen für Betroffene erforderlich
Schauws hält die derzeit verfügbare Übersicht für einen „Kompromiss“, der Frauen die erforderlichen Informationen jedoch nicht schnell und umfassend bereitstelle. Auch die SPD im Bundestag drängt nun darauf, die Adressenliste rasch nachträglich zu verbessern. „Gesundheitsminister Jens Spahn muss jetzt sicherstellen, dass es für die Betroffenen deutlich mehr Information gibt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem Berliner "Tagesspiegel". Die bisherige Liste sei in keiner Weise ausreichend. Von den bundesweit ca. 1.200 Ärzt*innen und Einrichtungen, die im gesamten Bundesgebiet Angaben der Zeitung zufolge medikamentöse oder operative Eingriffe zum Abbrechen einer Schwangerschaft vornehmen, finden sich auf der Liste nur 87 Praxen und Kliniken, der überwiegende Teil davon in Berlin und Hamburg.
Laut BÄK beruhen die auf der Übersicht gemachten Einträge überwiegend auf bereits vorhandenen Listen. Ärzt*innen könnten bundesweit beantragen, in das Verzeichnis aufgenommen zu werden. Da dies auf freiwilliger Basis geschehe, sei die bisherige Zusammenstellung der Kontaktdaten „möglicherweise nicht vollständig“, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) einräumte. Auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ließ durchblicken, dass er die veröffentlichte Adressenliste noch nicht als genügend ansieht. So sei diese in der Tat „absolut unvollständig“ und biete in dieser Form auch „keine Hilfe für schwangere Frauen in Konfliktsituationen“, wie das vom Gesetzgeber vorgesehen sei, so ein Sprecher des Ministeriums gegenüber dem "Tagesspiegel". Die Übersicht über die relevanten Ärzt*innen und Krankenhäuser befinde sich allerdings noch im Aufbau und müsse noch „deutlich benutzerfreundlicher gestaltet“ werden.
Deutsche Juristinnen: Liste bringt keine Verbesserung
Der Deutsche Juristinnenbund (DJB), der schon mehrfach zu der Diskussion um den Paragrafen 219a ausführlich Stellung genommen hat (zuletzt anlässlich des Gesetzesvorschlages des Bundesjustizministeriums zur Reform des Strafrechtsartikels im Januar 2019), bekräftigte erneut seine Forderung, den von ihm als obsolet und verfassungsrechtlich problematisch eingestuften Werbeparagrafen abzuschaffen. Der von der Großen Koalition vereinbarte Kompromiss stehe „auf tönernen Füßen“. Fragen, die das Abbrechen von Schwangerschaften betreffen, bedürften nicht der strafrechtlichen Regelungen. Während Ärzt*innen durch die Ergänzungen der Gesetzesnorm zwar ihren Patientinnen mitteilen dürften, dass sie Abtreibungen durchführen, jedoch nicht mit welchen Methoden sie operieren, habe die von der BÄK herausgegebene Liste „die Informationslage erwartungsgemäß nicht verbessert“. Sie deuten an, dass in einer gesellschaftlichen Stimmungslage, in der „organisierte Abtreibungsgegner Ärzt*innen unter Druck setzen“, viele Schwangerschaftsabbrüche vornehmende Mediziner*innen davor zurückschrecken könnten, ihre Kontaktdaten öffentlich preiszugeben.
Persönliche Beratung bei Fragen der eingesetzten Methoden entscheidend
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) stellt auf seiner Webseite einen „dringenden Bedarf“ an Informationen für ungewollt schwangere Frauen fest. Wenn diese straffrei ihre Schwangerschaft abbrechen lassen wollen, sei es für sie heutzutage oft problematisch, an einschlägige Kontakte und weitere Daten zu kommen. Im Februar hatte der Bundestag für den Gesetzentwurf der Koalitionsparteien zur Neufassung des die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche untersagenden Strafgesetzparagraphen gestimmt, wonach Ärzt*innen und Einrichtungen künftig ohne die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung darüber informieren dürfen, dass sie die entsprechenden Eingriffe durchführen, ohne nähere Details zu nennen. Diese können sie ihren Patientinnen aber über Verlinkungen zu Webseiten neutraler Stellen zugänglich machen.
Darüber hinaus sieht die Gesetzesänderung vor, dass das BÄK eine monatlich zu aktualisierende zentrale Liste über Praxen und Kliniken, welche entsprechende Dienste zur Verfügung stellen, öffentlich machen soll. Die Übersicht, welche Angaben zu Kontaktdaten, bei der Behandlung angewandte Methoden und in den Einrichtungen beherrschte Fremdsprachen enthält, wird ebenfalls von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter www.familienplanung.de verbreitet. Für Informationen zu den verschiedenen Arten von Eingriffen sei dem BMJV zufolge die persönliche Beratung entscheidend. die von staatlichen, über die BZgA abrufbaren Stellen zur Konfliktberatung in der Schwangerschaft geleistet wird. Außerdem können Frauen auch das 24-stündig und täglich betriebene Hilfetelefon „Schwangere in Not“ nutzen oder eine Online-Beratung in Anspruch nehmen. Anträge der Bundestagsfraktionen von Grünen (Drs. 19/ 630) und Linken (Drs. 19/ 93) zur Aufhebung des Paragraphen 219a bzw. des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche waren bei einer Abstimmung vom Bundestag abgelehnt worden.
Reform ändert Sachlage: Karten im Fall Hänel neu gemischt?
Aufwind hatte die Debatte um den umstrittenen Paragrafen vor zwei Jahren bekommen, als die Fachärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel in Gießen (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) wegen Werbung für von ihr durchgeführte Abtreibungen angeklagt und vom Landgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt wurde. In der Folge hatten Politiker*innen, linke Parteien und Verbände (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) wiederholt die Streichung des Werbeparagrafen verlangt. Hänel ging gegen das Urteil in die Berufung, welche das Gericht aber 2018 zurückwies. Auf der Grundlage des nach dem vom Bundestag angenommenen Reformvorschlag ergänzten Paragrafen hatte Hänel im Juli diesen Jahres mit der von ihr beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelegten Revision Erfolg: Es hob die gegen Hänel ergangene Verurteilung wegen gesetzlich nicht statthafter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche auf. Das Landgericht Gießen muss sich also nochmals mit dem Fall beschäftigen, so dass nun die Frage wieder offen ist, ob Hänel straffrei ausgehen könnte. Einen Monat zuvor hatte allerdings ein Berliner Amtsgericht zwei Gynäkologinnen nach der neuen Gesetzesregelung (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) zu Geldstrafen in Höhe von 2.000 Euro verurteilt, da sie auf ihrer Internetseite sowohl über die von ihnen vorgenommenen Abtreibungen als auch die dabei praktizierte Methode informierten, was trotz der Reform des Paragrafen nicht erlaubt sei.