Im Koalitionsvertrag von 2021 hatten sich SPD, Grüne und FDP auf folgende Absichtserklärung verständigt:
"Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
Gute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen. Deswegen wollen wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Basis der Evaluation reformieren. Dabei wollen wir die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase deutlich erhöhen und frühzeitiger Perspektiven für alternative Karrieren schaffen. Wir wollen die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit knüpfen und darauf hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden. Wir tragen für eine verbesserte Qualitätssicherung der Promotion Sorge. Wir wollen die familien- und behindertenpolitische Komponente für alle verbindlich machen.“
Der Auftrag, eine entsprechende Gesetzesnovelle vorzulegen, oblag der Bundesbildungsministerin. Denn der Koalition war durch viele Proteste und Initiativen vor Augen geführt worden, dass die 2016 erfolgte Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) von 2007 nicht gehalten hatte, was sich die damalige Große Koalition von CDU/CSU und SPD davon versprochen hatte: Die hatte viele Wissenschaftliche Mitarbeitende nicht vor prekären Situationen geschützt, sondern Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen die Türen für befristete Verträge geöffnet. Das wiederum hatte viele betroffene Nachwuchswissenschaftler:innen auf den Plan gerufen. Die Proteste gipfelten 2021 in dem Hashtag #IchbinHanna. Aufgrund von Evaluationen der geltenden Gesetzeslage hatte die Ministerin am 22. Juni 2022 einen Diskurs mit namhaften Wissenschaftsakteurinnen in Gang gesetzt. (Details in der Ausgabe 392 des zwd-POLITIKMAGAZINs).
"Zurück in die Montagehalle"
Als Ergebnis dieses Diskurses präsentierte das Ministerium am 17. März 2023 einen Reformvorschlag ("Eckpunktepapier"). Doch 51 Stunden nach Vorlage des Entwurfs hatte sich ein Sturm der Entrüstung und Proteste über dem Haus Stark-Watzinger entladen. Die neue Staatssekretärin Prof. Sabine Döring und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jens Brandenburg befanden, der Entwurf müsse nochmals bearbeitet werden (Döring: "zurück in die Montagehalle").Handlungsbedarf sieht Brandenburg in einem der umstrittensten Punkte des Eckpunkte-Papiers, der Senkung der Höchstbefristungsdauer auf drei Jahre in der Postdoc-Phase. „Umso wichtiger ist uns, diese Frage vor Fertigstellung des Referentenentwurfs noch einmal zu debattieren."
Reformvorschlag: Kein Paradigmenwechsel
Während in dem Richtlinienpapier zur Reform des WissZeitVG – in Anlehnung an den Koalitionsvertrag – als zentrales Ziel die „Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft“ sowie „Planbarkeit und Verbindlichkeit von Karrierewegen in der Post-Doc-Phase“ (...); „klare Entfristungsperspektiven“ benannt werden, blieben bei den übergreifenden Zielen keine Spur von dem von vielen erwarteten Paradigmenwechsel. Nur eine Soll-Vorschrift ist die Mindestvertragslaufzeit für Erstverträge – 3 Jahre in der Qualifizierungsphase vor der Promotion und 2 Jahre in der Postdoc-Phase. Zudem sah der Reformvorschlag für die Postdoc-Phase eine Senkung der Höchstbefristungsdauer auf drei Jahre vor, während diese vor der Promotion unverändert 6 Jahre betragen sollte. Anwendung fände das WissZeitVG nur für Verträge mit mindestens 25 Prozent Stellenumfang. Von den im Koalitionsvertrag versprochenen „Dauerstellen für Daueraufgaben" ist in dem Reformpapier also keine Rede.
Gruppe der Promovierten einschließlich der Habilitierten: 63 Prozent befristete Verträge
Diese Ungereimtheit wurde auch auf der von Brandenburg angekündigten und am 30. März einberufenen Debatte mit Stakeholdern der Wissenschaft – Postdoc-Netzwerke waren nicht eingeladen – im Berliner Dienstsitz des Ministeriums thematisiert. Der Staatssekretär hatte eine Antwort und verwies er auf den zwischen Bund und Ländern ausgehandelten Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken" (siehe Kasten). Auf dessen Grundlage könnten jetzt schon „über 20.000 Dauerstellen, auch im Mittelbau" finanziert werden, erklärte er.
Ein Tropfen auf den heißen Stein ist das bei genauem Hinsehen. Geht man von 423 Hochschulen (Wintersemester 2022/2023, Destatis) aus, könnten durchschnittlich pro Hochschule 47 Dauerstellen eingerichtet werden. Noch deutlicher wird dieser minimale Effekt beim Blick in die auf den 22. Mai datierte Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die neben dem Stakeholderprozess in das Eckpunktepapier zur Reform des WissZeitVG eingeflossen ist. Danach ist die Befristungsquote von hauptamtlichem wissenschaftlichen Personal an den Hochschulen (Ohne Professor:innen) im Vergleich zu 2013 zwar um 2 Prozent auf 81 Prozent gesunken, dennoch hatten 2020 immer noch 175.215 hauptberufliche Wissenschaftler:innen (ohne Professor:innen) befristete Verträge. Alarmierend ist, dass die Gruppe der Promovierten, einschließlich der Habilitierten, eine Befristungsquote von fast Zweidrittel (63 Prozent) erreicht.
Vor dem Hintergrund forderte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Dr. Andreas Keller, einer der 13 Teilnehmer:innen der Debatte, nach einer Befristung von ein oder zwei Jahren solle jede weitere Befristung für den Postdoc mit der Perspektive der Entfristung verbunden sein. Schon im November 2022 hatte die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag „Gute Wissenschaft braucht gute Arbeitsbedingungen – Kettenbefristungen beenden“ (Drs. 20/4588) die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, Hochschulen und andere Einrichtungen bei überwiegenden Daueraufgaben „zu unbefristeter Beschäftigung“ zu verpflichten und „in Abstimmung mit den Ländern die Politik der durch temporäre Pakte befristeten Finanzierung des Wissenschaftssystems zu beenden und stattdessen eine dauerhafte, umfängliche Finanzierung sicherzustellen“. Zehn Jahre lang sollen 100.000 – nicht 20.000 – unbefristete Stellen gefördert werden, forderte die Linke in ihrem Antrag, der seit dem 15. Dezember vergangenen Jahres beim Ausschuss für Bildung und Forschung zur Beratung anhängig ist.Postdoc-Phase: kontrovers diskutiert
Die Höchstbefristungsdauer auf drei Jahre in der Postdoc-Phase – der eigentliche Anlass für die nur zweistündige BMBF-Diskussionsrunde – war ein gemeinsamer Kritikpunkt aller 13 Gesprächspartner:nnen. Wie die Postdoc-Phase stattdessen gestaltet werden sollte, wurde in Wiederholung des Ergebnisses des sogenannten Stakeholderprozess, der seit dem Sommer 2022 in mehreren Intervallen getagt hatte, kontrovers diskutiert. Keine Festlegung auf die Dauer unmittelbar nach der Promotion in der frühen Postdoc-Phase (R2) empfahl Prof. Dr. Robert Kretschmer von der Jungen Akademie, sondern je nach Disziplin sollten Regelzeiten festgelegt werden. Der Übergang in die folgende Postdoc-Phase (R3) sollte dann nicht automatisch erfolgen, sondern in einem transparenten Verfahren würden die Kandidat:innen dafür ausgewählt. Nicht ausschließlich auf eine Professur, sondern auch auf andere Karrieren sollte die R3-Phase ausgerichtet sein.
Ähnlich argumentierte Dr.in Yvonne Dorf, Geschäftsführerin des Deutschen Hochschulverbandes. Sie legte sich zwar auf einen befristeten Vertrag in der R2-Phase – entsprechend des BMBF-Vorschlags – von drei Jahren fest, wollte diese Zeit jedoch als Bewährungs- bzw. Orientierungsphase verstanden wissen. Keine Auswahl, sondern eine individuelle Entscheidung solle in die R3-Phase führen oder auch nicht. In dieser könne eine dauerhafte Karriere in der Wissenschaft– in unterschiedlichen Formen–angestrebt werden. Dass die Postdoc-Phase ausschließlich dem Ziel einer Professur diene, sei nicht mehr zeitgemäß, befand auch Prof.in Dr.in Anja Steinbeck, Sprecherin der Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Eine Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase lehnte sie ab und plädierte für eine einheitlich Qualifizierungszeit von zehn Jahren für alle Fächer, die nach dem Master-Abschluss beginnen und individuell für die Promotion und die Postdoc-Phase aufgeteilt werden solle.
WissZeitVG: Gesamtpaket gefordert
Konkrete Ergebnisse hatte die Diskussion nicht. Dennoch will laut Brandenburg das BMFB nach dem Gespräch (lediglich) die Reformpläne weiter überarbeiten. Und so bleibt die Frage offen, ob die Forderung des Soziologen Prof. Dr. Steffen Mau, Vertreter von „#ProfsfuerHannaProfsfuerRyan“, nach einem „Gesamtpaket“, das über eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hinausgeht, politisch umgesetzt wird
Das strebt auch Dr.in Amrei Bahr, Juniorprofessorin und Mitiniatorin von „#IchbinHanna“, an. Im Interview mit dem NDR plädierte sie für eine „grundlegende Reform“. Das Wissenschaftszeitgesetz sei dafür der Anfangspunkt, weil es – im Gegensatz zu den Hochschulgesetzen – ein Bundesgesetz sei und daher für ganz Deutschland gelte. Das geht nach Auffassung der Beschäftigten- und Studierendenvertretungen nicht ohne eine Reform der Struktur der Hochschul- und Forschungsfinanzierung.
Wenn die Schulmisere nicht auf die Wissenschaft kopiert werden soll, müssen Bund und Länder dieses Mal der Realität in die Augen sehen und gemeinsam mit Stakeholder-Beratung das Wissenschaftszeitvtragsgesetz schnellstens in den Worten von Döring „zurück in die Montagehalle“ schicken.
Weitere Informationen und Statements in der Ausgabe 396 des zwd-POLITIKMAGAZINs, u.a. von
- Dr. Andreas Keller, GEW
- Verdi
- Beschäftigten- und Studierenden-Vertretungen
- Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft
- Hochschulrektorenkonferenz
- Allianz der Wissenschaftsorganisationen
- #PROFSFÜRHANNA #PROFSFÜRREYAN