zwd Berlin. Eine Viertelmilliarde von vielfach sozio-ökonomisch benachteiligten Kindern und Jugendlichen weltweit gehen nicht zur Schule. Aufgrund von Faktoren wie Geschlecht, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder Beeinträchtigungen werden Millionen weiterer Kinder laut dem heute (23. Juni veröffentlichten UNESCO-Bericht innerhalb der Schulsysteme ausgegrenzt. Mit Ausnahme der einkommensstarken Länder in Europa und Nordamerika absolvieren in allen Staaten der Welt im Mittel mehr als fünfmal so viele Jugendliche aus den reichsten Familien die Sekundarschule als junge Heranwachsende aus den ärmsten Elternhäusern. Arme, junge Mädchen aus ländlichen Gebieten sind bei der Bildung besonders benachteiligt. In mindestens 20 Staaten, viele davon in Afrika südlich der Sahara, haben sie so gut wie keine Chance, die Sekundarschule abzuschließen.
Großes Gefälle zwischen armen und reichen Kindern
Zwar hat sich der Prozentsatz von Jugendlichen in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen nach Angaben der UNESCO stetig erhöht, die zwischen 2005 und 2015 die Grund- und Sekundarschule erfolgreich besuchten. Dennoch ist nach Aussagen der UNESCO weiterhin eine deutliche Kluft zwischen dem durchschnittlichen Anteil der Schulabsolvent*innen an allen Heranwachsenden und der Rate der sozio-ökonomisch oder durch entlegene Herkunftsregion benachteiligten Jugendlichen mit Schulabschluss unter den Angehörigen der Bezugsgruppe zu beobachten. Dieses Gefälle wächst noch mit steigendem Bildungsgrad. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Mechanismen im Zusammenhang mit der Verteilung und dem Nutzen von Ressourcen spielen gemäß dem Bericht beim Zugang zu inklusiver Bildung eine wichtige Rolle.
Müntefering: Außenpolitik muss mehr für gleichberechtigte Teilhabe tun
„Alle gehören dazu“, sagte die Staatsministerin für Kultur im Auswärtigen Amt Michelle Müntefering (SPD) anlässlich der Veröffentlichung des UNESCO-Berichtes. Inklusion habe den Zweck, „die Potentiale aller Menschen aus(zu)schöpfen“, unabhängig davon, welche Hautfarbe, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung sie hätten oder ob sie in irgendeiner Weise beeinträchtigt seien. Mit Blick auf die weltweiten Folgen der Corona-Krise sieht Müntefering die bundesdeutsche Außenpolitik in der Pflicht, die Bemühungen in Richtung auf die gleichberechtigte Teilhabe aller an der Bildung und anderen gesellschaftlichen Bereichen zu verstärken. Der diesjährige Weltbildungsbericht widmet sich schwerpunktmäßig Fragen der inklusiven Bildung, den Gründen von unterschiedlichen Formen der Ausgrenzung sowie wirksamen Mitteln, um der Benachteiligung marginalisierter Gruppen entgegenzuwirken.
BMBF will mehr Migrant*innen an Ausbildung beteiligen
„Unser Anspruch ist es, Bildung auf allen Ebenen inklusiv zu gestalten“, erklärte auch der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesbildungsministeriums BMBF Thomas Rachel (CDU), dafür müsse sich die Bundesrepublik im In- und Ausland „noch mehr anstrengen“. Das BMBF habe sich insbesondere das Ziel gesetzt, über das KAUSA-Programm mehr Selbständige mit Migrationshintergrund als Ausbilder*innen zu schulen und gleichzeitig mehr jugendliche Zuwanderer*innen und Geflüchtete in Ausbildungen zu bringen, erklärte Rachel. Das Angebot von „Kultur macht stark“ fördere die außerschulische kulturelle Bildung für unterprivilegierte Kinder und Jugendliche.
Inklusiver Unterricht weltweit noch wenig verbreitet
Obwohl einige Staaten inklusives Lernen der UNESCO-Studie zufolge für alle Kinder anstreben, herrschen Schulsysteme mit getrenntem Unterricht für Kinder mit Behinderungen in den Ländern der Welt vor. Demnach ist in 25 Prozent aller Staaten das gesonderte Lernen für Schüler*innen mit Beeinträchtigungen gesetzlich vorgeschrieben, mit einem höheren Anteil von lateinamerikanischen, asiatischen und karibischen Staaten. 10 Prozent der Länder verfügen über gesetzliche Vorgaben zur Integration, 17 Prozent zur Inklusion von körperlich oder geistig behinderten Kindern, die übrigen Länder kombinieren getrennte und gemeinsame Schulstunden.
Aber auch für ethnische Minderheiten und Geflüchtete ist der Zugang zu gleichen und gerechten Bildungschancen nicht immer gewährleistet. In den Ländern der OECD scheint es eine faktische Trennung von Migrantenkindern und einheimischen Schüler*innen zu geben: Über zwei Drittel aller Kinder mit Migrationshintergrund lernen in Klassen, in denen mindestens die Hälfte der Schüler*innen ebenfalls aus eingewanderten Familien kommt. In einer Reihe von Ländern Mittel- und Osteuropas sind Kinder der Volksgruppe der Roma nicht in die Schulen der Mehrheitsgesellschaft integriert.
BMZ unterstützt Entwicklungshilfe im Kampf gegen Folgen der Krise
Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) Maria Flachsbarth (CDU) erkennt vor allem die durch die Corona-Krise weltweit verschärften Ungleichheiten. Damit alle Menschen „einen gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Bildung“ haben, unterstütze das BMZ im Rahmen eines eigenen Sofortprogrammes die Entwicklungsorganisation Globale Bildungspartnerschaft mit 25 Millionen Euro, um die „verheerenden Folgen“ der Epidemie auf die weltweite Bildung abzudämmen. Etwa zwei Fünftel der Staaten mit mittleren und geringen Einkommen haben dem Bericht zufolge keine Regelungen getroffen, um Kinder aus benachteiligten und marginalisierten Gruppen vor der Gefahr zu bewahren, beim Lernen zurückzubleiben.
Vorbildliche Lernmodelle für eine gleiche und gerechte Bildung
Zahlreiche der weltweit vorfindlichen Bildungssysteme setzen nach Aussagen der UNESCO für alle Kinder die gleichen Lernbedürfnisse voraus. Z.B. ist die Gebärdensprache erst in 41 Ländern, u.a. in der Bundesrepublik, offiziell anerkannt. Andererseits würden es 25 Prozent der Lehrkräfte in 48 Staaten für sinnvoll erachten, für den Unterricht mit Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf in Weiterbildungskursen besser trainiert zu werden.
Um die Entwicklung hin zu einer gleichen und gerechten Bildung für alle weiter voranzubringen, weist der Bericht auch auf vorbildliche Lernmodelle hin, die zeigen, wie inklusiver Unterricht möglich ist. Kompetenzzentren in den Ländern Kuba, Malawi oder der Ukraine z.B. unterstützen Schulen beim Unterrichten von Kindern mit besonderen Bedarfen. Mobile Lehrkräfte sind in Gambia, in Neuseeland oder im Inselstaat Samoa im Einsatz, um benachteiligte Gruppen an der Schulbildung teilhaben zu lassen.