RESTITUtiON NS-RAUBGUT : Kultur-MK: Reform der Beratenden Kommission vereinbart

14. März 2024 // Ulrike Günther

Die Beratende Kommission NS-Raubgut soll künftig ein Schiedsgericht ersetzen, das rechtlich verbindliche Entscheidungen trifft. Auf den Reformschritt hat sich die Kulturminister:innen-Konferenz (Kultur-MK) geeinigt. Wichtigster Punkt: Das neue Verfahren ermöglicht die einseitige Anrufung des Gremiums durch Anspruchstellende. Überdies können Betroffene an dem Prozess mitwirken, Provenienzforschung wird gestärkt.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen). - Bild: J. Konrad Schmidt
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen). - Bild: J. Konrad Schmidt

zwd Berlin. Beim 20. Kulturpolitischen Spitzengespräch vereinbarten die Beauftragte für Kultur und Medien Claudia Roth (BKM, Die Grünen), die Kulturminister:innen der Bundesländer und Vertreter:innen von Kommunalverbänden am Mittwoch eine grundlegende Reform der Beratenden Kommission zur Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Raubgut. Demnach soll künftig ein Schiedsgericht die bisherige Kommission ersetzen, um in Streitfällen ein rechtsgültiges Urteil zu fällen. Die Reform macht es darüber hinaus Anspruchsteller:innen möglich, in Konflikten mit Museen und anderen öffentlichen, NS-Kulturgut bewahrenden Einrichtungen das Gremium einzuschalten, auch ohne dass diese in das Schiedsverfahren einwilligen.

Roth: Reform soll Washingtoner Prinzipien besser umsetzen

Kulturstaatsministerin Roth nannte den gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen gefassten Beschluss einen „große(n) und wichtige(n) Fortschritt“, um Restitution von NS-Raubkunst „sehr deutlich zu verbessern“. Insbesondere hob Roth die „einseitige Anrufbarkeit“ hervor, auf die sich die Kultur-MK verständigt habe. Zusammen mit der ebenfalls im Reformprozess eingeplanten, intensivierten Erforschung der Provenienz von durch das NS-Regime geraubten Kunst- und Kulturgütern werde das dazu beitragen, „die Ziele der Washingtoner Prinzipien noch viel wirkungsvoller um(zu)setzen“. Der Vorsitzende der Kultur-MK und hessische Kultur- und Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) lobte die angestrebte Reform als eine wichtige Maßnahme hin zu einem „beschleunigte(n) und transparente(n) Restitutionsverfahren“. Durch das Einrichten einer Schiedsgerichtsbarkeit würden „aus Empfehlungen Entscheidungen“, gleichzeitig sorge man dafür, den „Interessen der Betroffenen besser gerecht (zu) werden“.

Einseitige Anrufung des Schiedsgerichts nach Vorverfahren

Laut dem von der Kultur-MK formulierten Beschlusspapier wird das einzusetzende Gremium auf Grundlage einer Neuordnung des Prozederes und eines umfangreichen, differenzierten Bewertungsrahmens tätig. Eine zusätzliche Instanz soll seine Entscheidungen überprüfen können. Die Option der einseitigen Anrufung des Schiedsgerichts bietet sich von NS-Kunstraub Betroffenen nach einem erfolglos gebliebenen Vorverfahren, d.h. wenn das Bemühen beider Parteien im Vorfeld einer schiedsgerichtlichen Anhörung zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt hat. Bislang mussten die derzeitigen Eigentümer:innen der gestohlenen Kulturgüter in den Antrag auf Vermittlung durch die Beratende Kommission zustimmen. Dies gilt als eine der Ursachen dafür, dass der 2003 gegründete Fachleute-Rat, der lediglich befugt ist, Empfehlungen auszusprechen, erst 24 Zweifelsfälle entschieden hat.

Die neue Regel hat dem Papier zufolge einerseits den Zweck, „faire und gerechte Lösungen“ gemäß den Washingtoner Prinzipien auch ohne Einschalten der Kommission zu fördern, andererseits Anspruchsteller:innen in ihrem Streben nach Restitution der geraubten Werke oder Objekte vom Mitwirken der Museen und anderen Institutionen unabhängig zu machen. In der Sitzung des Bundestags-Kulturausschusses am 11. März hatten alle geladenen Sachverständigen (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) eine Reform des Gremiums, speziell die einseitige Anrufung, befürwortet. Rückgaben von NS-Raubkunst zu verbessern, ist ein Projekt aus dem Koalitionsvertrag. Weiterhin sind ein normierter Auskunftsanspruch, Aufhebung der Verjährungseinrede und ein zentraler Gerichtsstand anvisiert.

Ergänzende Fachgutachten zur Provenienzforschung

Nach Angaben von Kulturstaatsministerin Roth haben sich die Teilnehmer:innen der kulturpolitischen Beratungen „einen ehrgeizigen Zeitplan vorgenommen“. Bis zum Ausgang des Jahres solle die Reform in Kraft treten. Die Vertreter:innen der Kultur-MK bekundeten in ihrem Beschlusspapier ihre Absicht, die gemeinsame Schiedsstelle schnell einzurichten. Dafür würden sie als Erstes Verwaltungsabkommen treffen und parallel unter Einbeziehen der Kommunen einen Staatsvertrag ausarbeiten. Um die Herkunftsforschung zu stärken. wird es mit der reformierten Vorgehensweise u.a. möglich, ergänzende Fachgutachten in Auftrag zu geben, vor allem, wenn sich dies bei der Untersuchung der Provenienz im Vorverfahren als der Entscheidung dienlich herausstellt. Wenn sich die jeweilige Kulturinstitution weigert, die vorherige Aufklärung des Streitfalles mitzutragen, könne man die Erforschung der Provenienz auch unmittelbar einleiten.

Museen sollen NS-Raubgut in Ausstellungen kennzeichnen

Zu den vorgesehenen Reformpunkten gehört auch, dass der Bund, die Länder und Kommunalverbände ab sofort ihnen zugeordnete Museen, Sammlungen etc. auffordern, NS-Raub-Kunstwerke und -Objekte in Ausstellungen deutlich zu kennzeichnen, um die „vielfach vergessenen Schicksale von Kunstbesitzern und -besitzerinnen“ öffentlich sichtbar zu machen und angemessen zu würdigen. Außerdem verpflichten Bund, Länder und Kommunen die Einrichtungen von nun an, erfolgte Restitutionen oder sonstige, der Washingtoner Erklärung von 1998 entsprechende, „faire und gerechte Lösungen“ dem Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) mitzuteilen. Auch sind sie gehalten, Privatpersonen, die NS-Raubgut an die Opfer oder ihre Nachfahren zurückgegeben oder sich in anderer Weise mit ihnen geeinigt haben, aufzurufen, dem DZK solche Fälle zu melden. Nach Aussagen des Amtschefs der BKM Dr. Andreas Görgen in der Ausschuss-Sitzung werden die Kulturstaatsministerin, Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium gesetzliche Regelungen zu den übrigen, genannten Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm, an denen sie seit Monaten gearbeitet haben, voraussichtlich demnächst an die Ressortabstimmung übergeben.

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