Die 20. Legislaturperiode des Bundestages geht am 27. Dezember 2024 mit der voraussichtlichen Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten zu Ende. Voraussetzung ist aber, die für den 16. Dezember angekündigte Vertrauensfrage des Bundeskanzlers erbringt das von ihm, der SPD und der Union erwünschte Ergebnis (Mehrheitsvotum pro Misstrauen). Sicher ist das freilich noch nicht: Denn CDU/CSU und FDP allein verfügen lediglich über 286 gegenüber 324 Stimmen von SPD und Grünen. Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) ist bei der Umsetzung seiner Neuwahlforderung also angewiesen auf zusätzliche 39 Stimmen im Bundestag: dabei reichen selbst die 38 Stimmen von BWS und Linken nicht aus. Eine Unterstützung der inzwischen neun fraktionslosen Abgeordneten kann kaum erwartet werden. Warum sollten sie ihre Parlamentssitze mittels ihres eigenen Votums räumen wollen?
Die
Befürworter des Verfahrens, mittels gescheitertem Vertrauensvotum gegenüber dem Bundeskanzler den Weg zu Neuwahlen freizumachen, sind also auf Stimmen aus den
Reihen der AfD angewiesen. Würde sich die AfD aber dieser Vertrauensfrage beispielsweise durch Enthaltung verweigern und gäbe es
keine Abweichler:innen in den rot-grünen Reihen, dann könnte die Scholz-Initiative scheitern und die Minderheitsregierung unter seiner Führung
bliebe im Amt.
Ein solch fragwürdiger Ablauf im Parlament ist nicht undenkbar und wird inzwischen hinter den Kulissen des Parlaments diskutiert. Würde Scholz im Amt bleiben, müsste er sich zu einem neuen Vertrauensvotum zum Beginn des neuen Jahres entschließen, bei dem sich zumindest die SPD-Bundestagsabgeordneten der Stimme enthalten müssten, um so eine Mehrheit für ein Mehrheitsvotum gegen Scholz und damit Neuwahlen zu ermöglichen. Das würde das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des demokratischen Parlamentarismus empfindlich beeinträchtigen.
Warum jetzt und überstürzt Neuwahlen? Das Parlament ist unverändert handlungsfähig
Vor
diesem Hintergrund hat zwd-POLITIKLMAGAZIN-Herausgeber Holger H. Lührig
in einem Kommentar die geplante vorgezogene Bundestagswahl als solche in Frage gestellt. Seiner
Auffassung nach hätte die Legislaturperiode nicht vorfristig partei- und
wahltaktischen Ansprüchen geopfert werden sollen, nur weil sich
ein CDU-Vorsitzender davon einen Vorteil verspricht, schneller Kanzler zu
werden. Der dürfte aus gutem Grund meinen: Lieber jetzt als nie! (?). Ebenso, wie der laut Meinungsfragen sehr unbeliebte Kanzler immer noch meint, nur er allein könne mit einer
vorgezogenen Bundestagswahl das Ruder für eine Fortsetzung seiner
Kanzlerschaft herumreißen. Welch eine Selbstüberschätzung, heißt es inzwischen auch in den Reihen seiner eigenen Partei. Also muss auch Scholz muss fürchten, dass bei Verlängerung seiner Kanzlerschaft der Ruf lauter würde, mit einem anderen Kanzlerkandidaten in die Wahl zu gehen
Es wäre, so der zwd-Herausgeber, vielmehr die Aufgabe des Bundespräsidenten gewesen, diesem Winterwahlkampf entgegenzutreten und das Verantwortungsbewusstsein zumindest der beiden großen Parteien einzufordern, nach dem Scheitern der Ampel eine solide und mehrheitsfähige Parlamentszusammenarbeit durch CDU/CSU und FDP mit SPD und Grünen - mit einem entsprechenden Arbeitsprogramm - herbeizuführen. Die rot-grüne Minderheitsregierung würde zwar mindestens noch ein dreiviertel Jahr bis zum Termin der regulären Bundestagswahl am 25. September, aber möglicherweise auch darüber hinaus noch bis in das Jahr 2026 amtieren (müssen), falls keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament bestünden. Aber auch bei einem vorgezogenen Neuwahltermin bliebe Scholz bis in den Sommer hinein im Amt, bis ein neuer Bundeskanzler gewählt wird, Die Regierung wäre in jedem Fall weiterhin handlungsfähig, aber zugleich auch gezwungen, sich mit der Opposition über die erforderlichen Schritte für die Zukunftssicherung Deutschlands zu verständigen.
Das wäre verantwortliches politisches Handeln in einer Zeit von weltpolitischen Herausforderungen durch Krieg, Krisen und Unwägbarkeiten. Stattdessen wird die Verantwortung den deutschen Wählerinnen und Wählern zugeschoben, verbrämt mit der Losung vom "Fest der Demokratie" und der klar definierten Erwartung, mit ihrem „richtigen“ Kreuzchen für stabile demokratische Mehrheiten im Deutschen Bundestag zu sorgen. Was aber, wenn das Wahlvolk diesen Erwartungen nicht entspricht? Wenn – wie nach den Umfragen zurzeit absehbar – eben keine klaren Mehrheitsverhältnisse durch die Wahl zustande kämen? Dann hätte die Februarwahl noch mehr Frust der Wählerschaft und Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber den demokratischen Parteien zur Konsequenz. Nicht auszudenken, wenn dann im Jahre 2025 die Wähler:innen nochmals zur Wahlurne gerufen werden müssten (es wäre denn, eine Sperrminorität verhinderte auch das). Der Schaden für die Demokratie könnte nicht größer sein.