CENTRUM FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG : Zahl der Studierenden ohne Abitur seit 2010 verdoppelt

5. April 2018 // Hannes Reinhardt

Die zunehmende Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung in Deutschland zeigt Wirkung. So hat sich die Zahl der Studierenden ohne allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife seit 2010 mehr als verdoppelt und liegt 2016 bei 57.000 – das sind so viele wie noch nie.

zwd Gütersloh/Berlin. Dies ergaben aktuelle Berechnungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Auch bei den Studienanfänger*innen ohne Abitur ist der Wert gestiegen. Der Anteil an allen Studienanfänger*innen liegt im Bundesgebiet aktuell bei 2,6 Prozent. Weiterhin sehr unterschiedlich präsentiert sich die Entwicklung hier jedoch in den einzelnen Bundesländern. Beim Anteil der Studienanfänger*innen ohne Abitur belegen Hamburg (4,6 Prozent), Nordrhein-Westfalen (4,2 Prozent) und Berlin (3,6 Prozent) die vorderen Plätze. Schlusslicht ist das Saarland, das als einziges Bundesland mit 0,8 eine Quote von unter einem Prozent aufweist.

Auch die Zahl derjenigen, die ein Studium ohne den vorherigen Erwerb einer schulischen Hochschulzugangsberechtigung erfolgreich abschließen, ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich angewachsen und erreichte 2016 mit 7.200 Personen ihren vorläufigen Höchstwert. „Die Kombination von Berufs- und Hochschulbildung wird immer mehr zum Normalfall. Man muss sich nicht mehr für nur einen Weg entscheiden. Gelernte Krankenpfleger oder Handwerksmeister*innen sind heute keine Exoten mehr auf dem Campus, sondern gehören zur selbstverständlichen Vielfalt der Studierenden an deutschen Hochschulen“, kommentierte CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele den Rekordwert.

Linke: „Können uns auf diesen Zahlen nicht ausruhen“

Erstmals hat das CHE auch Daten zu Geschlecht und Alter der Studierenden analysiert, die sich rein über den beruflichen Weg für ein Studium qualifiziert haben. So ist in etwa die Hälfte zwischen 20 und 30 Jahren alt, aber auch die 30- bis 40-Jährigen sind mit einer Quote von ungefähr einem Drittel relativ häufig anzutreffen. Männer sind bei den Studierenden ohne Abitur mit 55 Prozent nur wenig mehr vertreten als Frauen mit 45 Prozent. Auffallend ist, dass Frauen häufiger als Männer auch noch im fortgeschrittenen Lebensalter von über 40 den Sprung in die akademische Ausbildung wagen. „Von der mitgebrachten Berufs- und Lebenserfahrung können im Seminar-Alltag sowohl Kommilitoninnen und Kommilitonen, die direkt nach der Schule ins Studium gewechselt sind, als auch Lehrende profitieren“, sagte Sigrun Nickel, Leiterin Hochschulforschung beim CHE.

Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, bezeichnete die Entwicklungen als „erfreulich“. Der Vergleich mit den Zahlen von 2012, wo laut CHE bereits 2,5 Prozent aller Studierenden in Deutschland ihr Studium ohne Abitur aufgenommen hatten, zeige jedoch, „dass wir uns auf diesen Zahlen nicht ausruhen können. Es scheint seit Jahren doch eher einen Stillstand in Sachen sozialer Öffnung und Durchlässigkeit der Hochschulen zu geben, als eine Normalisierung der Kombination von Berufs- und Hochschulbildung“, so Gohlke. Der Anteil der Studierenden ohne Abitur liege in anderen EU Ländern schon seit Jahren deutlich höher.

Artikel als E-Mail versenden