zwd Berlin. Die frauen- und friedenspolitisch engagierten Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter das Zentrum für feministische Außenpolitik, der Deutsche Frauenrat und UN Women Deutschland, erkennen zwar Fortschritte beim Umsetzen der UN-Resolution in der Amtszeit von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) an. Problematisch bleibe laut einem heute (09. Juni) von den NGOs veröffentlichten Strategiepapier jedoch auch 20 Jahre nach dem Inkrafttreten der Agenda, dass die Vorgaben immer noch wie Mittel zur Frauenförderung, nicht aber als Richtlinien für eine auf Wandel ausgerichtete Innen- und Außenpolitik gehandhabt würden.
Um das zu ändern, müsse die Regierung nach Ansicht der Zivilgesellschaft Gender als ein Konzept verstehen, das konsequent den Blick auf ungleiche, zu überwindende Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern richtet. Die im Jahr 2000 vom UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution 1325 formulierte erstmalig Grundsätze für eine Politik, welche die aktive Rolle von Frauen in Friedensverhandlungen und Sicherheitsprozessen stärkt, sie an der Krisenprävention beteiligt, sie vor sexualisierter Gewalt bewahrt und ihre geschlechtsspezifischen Bedürfnisse bei Hilfen und Wiederaufbaumaßnahmen berücksichtigt. Frauen, Frieden, Sicherheit hat die Koalitionsregierung auch zum Schwerpunkt der bundesdeutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat 2019/2020 erklärt.
NGOs: Gleichstellungspolitik im In- und Ausland erforderlich
Angesichts globaler, sowohl Frieden und Sicherheit gefährdender als auch geschlechtsspezifische Folgen nach sich ziehender Herausforderungen, wie der aktuellen Corona-Epidemie, der Klimakrise und des weltweit zu beobachtenden Demokratieabbaus, betonen die NGOs das Erfordernis einer kohärenten, die Grenzen einzelner Ressorts überschreitenden Gleichstellungspolitik. Als eines ihrer Hauptanliegen sehen es die beteiligten Zivilvvereine an, dass das Aktionsprogramm nicht bloß im Rahmen der bundesdeutschen Außenpolitik, sondern auch für die Politik im Inland handlungsleitend wird. Als Beispiel führen die Verbände in ihrer Stellungnahme in Flüchtlingsunterkünften lebende weibliche und queere Personen an, welche wirksam vor sexualisierter Gewalt zu schützen seien.
Regierung soll Hilfen an geschlechtsbezogenen Bedürfnissen orientieren
Weiterhin fordern die NGOs die Koalitionsregierung auf, im Dritten Nationalen Aktionsplan einen Fokus auf das Verhüten von kriegerischen und gewalttätigen Konflikten zu legen. Dazu seien die Verhältnisse der Geschlechter beim Gestalten der Politik, wie bei den vom Auswärtigen Amt (AA) erstellten Länderanalysen, stets zu berücksichtigen. Darüber hinaus weisen die Vereine auf die jüngsten Versäumnisse der Regierung im Zusammenhang mit der Corona-Krise und die darin erkennbare allgemeine Zurückhaltung der Politik hin, geschlechtersensible Entscheidungen zu treffen.
Die NGOs verlangen daher, Entwicklungshilfe und humanitäre Einsätze verstärkt auf die Bedürfnisse benachteiligter Gruppen auszurichten. Nur auf diese Weise könne man dazu beitragen, soziale Ungleichheit zu überwinden und kriegerischen Auseinandersetzungen und gewalttätigen Konflikten dauerhaft vorzubeugen. Als Vorbild könne nach Auffassung der Zivilverbände Schweden dienen, das seit 2014 zeige, wie sich eine feministische Außenpolitik betreiben lässt. Grundsätzlich bekenne sich das AA zwar zu einer ähnlichen Sichtweise. Dennoch mangele es nach Meinung der NGOs in der Bundesrepublik an zusammenhängenden, durchschaubaren Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Resolution.
„Transformativer Ansatz“ zum Überwinden von Geschlechter-Ungleichheit
Die von Außenminister Maas bekundete Absicht, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu einem zentralen Ziel in der bundesdeutschen Innen- und Außenpolitik zu machen, gelte es gemäß dem Strategiepapier mit dem Dritten Aktionsplan in konkreten Schritten zu verwirklichen. Um die Agenda auf der Ebene der Ministerien besser strukturell zu verankern, empfehlen die NGOs u.a., eine/n Sonderbeauftragte/n der Bundesregierung für Frauen, Frieden und Sicherheit sowie entsprechende Referate n den Ministerien und weiteres Personal einzusetzen. Nach Ansicht der Aktivist*innen müsse man zusätzlich systematisch ein dazu gehöriges Wissensmanagement aufbauen, das z.B. die Leitlinien der Resolution zu Inhalten bei der Ausbildung von im AA beschäftigtem Personal macht. Überdies solle die Regierung Maßnahmen ergreifen, um Diskriminierungen zu beseitigen und der Vielfalt der Gesellschaft auch innerhalb der Institutionen zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Vereine unterstreichen, dass den Dritten Aktionsplan begleitende Handlungen der Zivilgesellschaft finanziell zu unterstützen seien. Finanzkonzepte müssten dem Papier zufolge in der Innen- und Außenpolitik stets gendergerecht entworfen werden.
Weiterhin fordern die NGOs, den neuen Aktionsplan nach den Kriterien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wirkungsorientiert aufzustellen und den Dialog mit der Zivilgesellschaft fortzusetzen und zu stärken. Damit Mädchen und Frauen in bewaffneten Konflikten tatsächlich effektiven Schutz vor sexualisierter oder geschlechtsbezogener Gewalt erfahren, überlebende Opfer angemessen unterstützt und Täter*innen strafrechtlich verfolgt werden, verlangen die zivilen Verbände von der Regierung, einen „transformativen Ansatz“ auszuarbeiten. Dieser sollte eine Grundlage dafür schaffen, diskriminierende Geschlechterverhältnisse im privaten wie im öffentlichen Raum zu überwinden, anstatt nur die an der Oberfläche sichtbaren Erscheinungsformen von sexualisierter oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu bekämpfen.
Ganzheitliche Versorgung von Opfern sexualisierter Gewalt gefordert
Im Sinne einer opferzentrierten Herangehensweise bei der Hilfe für Überlebende, wie sie die Bundesrepublik in der 2019 in den Sicherheitsrat eingebrachten Resolution 2467 verankert, aber nach Auffassung der zivilen Vereine inhaltlich noch nicht hinreichend ausgestaltet hat, solle die Regierung Traumata aufarbeitende und ganzheitliche, d.h. ärztliche Versorgung wie psychosoziale und juristische Beratung umfassende Hilfen vor Ort fördern und zweckmäßige Schutzstrukturen aufbauen. Außerdem rufen die zivilgesellschaftlichen Vereine die Regierung auf, sich einer drohenden Schwächung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte von Frauen deutlich entgegenstellen.
Zugunsten einer von der Agenda 1325 angestrebten durchgreifenden Vorsorge vor gewalttätigen Konflikten schlagen die NGOs u.a. vor, eine „gendersensible Konflikt- und Kontextanalyse“ sicherzustellen, die allen Ministerien und durchführenden Organisationen als verbindliche Grundlage zu gelten habe. Um das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen bei Prozessen zur Friedensförderung umzusetzen, sehen es die zivilen Vereine zudem als erforderlich an, dass die Bundesrepublik die lokalen, für Frauen, Frieden und Menschenrechte kämpfenden Verbände und Akteur*innen anerkennt und folgerichtig unterstützt. Wenn die Regierung in den Regionen aktive Frauenverbände politisch wie finanziell stärker fördern würde, ließe sich den NGOs zufolge auch das Ziel einer geschlechtergerechten Ausgestaltung von humanitären Hilfen und Maßnahmen zum Wiederaufbau nachhaltig verwirklichen.