EDITORIAL
NACH DEM CORONA-LOCKDOWN zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG
Neustart mit Bangen und Hoffen, aber ohne Konzept zwd Berlin (ig). Das Ende des Lockdowns verknüpften viele Menschen in Deutschland mit der Erwartung, „nach der Corona-Zeit“ könne wieder so etwas wie Normalität eintreten. Urlaubsreisen, Besuche von Fußballspielen, Konzerten, Theatern und Kinos sollten ebenso möglich werden wie ein geregelter Betrieb in Schulen und Hochschulen. Die Wirtschaft sollte mit Milliardenzuschüssen wieder zum Laufen gebracht werden, Kneipen und schließlich sogar das Prostitutionsgewerbe glaubten auf einen Neubeginn hoffen zu dürfen. Die jetzt steigenden Corvid-19-Zahlen machen klar, dass in diesem und auch wohl im nächsten Jahr nichts „normal“ werden wird, mindestens solange nicht ein Impfstoff zur Verfügung steht. Die Warnungen der Medizin wurden lieber überhört. Weil das Gegrummel in der Bevölkerung über die persönlichen Einschränkungen (Maskenpflicht etc.) immer lauter wurde, kam es zu jener denkwürdigen Videokonferenz der Regierungschef*innen der Länder mit der Bundeskanzlerin Anfang Juni. Das Ergebnis – nun würden die Länder die Verantwortung für die weitere Pandemie-Bekämpfung und die Lockerungen übernehmen. Es ließ sich schon damals erahnen, welcher Flickenteppich unterschiedlichster rechtlicher Regelungen sich über dem föderalen Deutschland ausbreiten würde. 
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TITELTHEMA FEMIZIDE | ISTANBUL-KONVENTION
FEMIZIDE Ermordet, weil sie Frauen sind – doch in der Kriminalstatistik werden Femizide nicht benannt zwd Berlin (jt/ig). Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Femizide sind die schlimmste Form von Gewalt an Frauen. Um dagegen kämpfen zu können, muss man das Problem auch benennen können. Doch damit tun sich Kriminalstatistik, Medien und die zuständigen Ressorts der Bundesregierung schwer, obwohl internationale Organisationen schon längst mit dem Begriff arbeiten. Kritische Mahnungen gibt es nun vom Deutschen Juristinnenbund und auf der parlamentarischen Ebene. Im Herbst wird der Bundestag mit dem Thema befasst. ab Seite 3 POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK FÜR DAS JAHR 2019: Frauen in Deutschland: 125 ermordet, 120 totgeschlagen, 7281vergewaltigt - Aber die Motivlage bei Morden wird nicht erfasst
zwd Berlin (ig). Die am 19. Juni zu Ende gegangene Innenministerkonferenz (IMK) hat sich unter Vorsitz des Thüringer Innenministers Georg Meier (SPD) unter anderem mit der „Bekämpfung von Gewalt im familiären Umfeld” befasst. Grundlage einer entsprechenden Beschlussfassung war die von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorgelegte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2019. Ein Blick in das datenreiche Material gibt nur begrenzt Aufschluss über die Gewaltkriminalität gegenüber Frauen, wie aus einem Blick in die PKS verdeutlicht. Immerhin, die Ministerrunde war sich über die besondere Bedeutung des Themas einig, wie der auf dieser Seite veröffentlichte Beschluss verdeutlicht.
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FRAUENPROTEST IN BERLIN: STOPPT DIE FEMIZIDE - GASTBEITRAG PROF.´IN KRISTINA WOLFF
Der Kernauftrag der Istanbul-Konvention ist unverstanden zwd Berlin. Am 15. August 2020 ließen sich ca. 50 mutige Frauen, unterschiedlichen Alters und internationaler Prägung, jeweils die Todesanzeige eines deutschen Femizid-Opfers auf ihre Brustkörper malen. Jede dieser Frauen trug zudem symbolisch ein weiteres deutsches Femizid-Opfer qua Leichensack zum Brandenburger Tor – und symbolisch zu Grabe. Das alles, um die 125 Frauen zu ehren, die männliche Gewaltexzesse im laufenden Jahr 2020 mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die Aktion richtet sich an die vier verantwortlichen Minister*innen der Bundesregierung, denen die Protestlerinnen Weigerung vorwerfen, die Istanbul-Konvention – das Abkommen des Europarats zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten in Deutschland endlich umzusetzen. Eine der Initiatorinnen der Berliner Aktion, Prof. Dr. Kristina Wolff , hat dazu für das zwd-POLITIKMAGAZIN einen Gastbeitrag verfasst. ab Seite 6 GEWALT GEGEN FRAUEN - GASTBEITRAG KATJA GRIEGER
„Die von der Konvention geforderten Maßnahmen sind in Deutschland Zukunftsmusik“ zwd Berlin. Die bisherigen Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland werden von der Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Katja Grieger, kritisch beurteilt. In einem Gastbeitrag für das zwd-POLITIKMAGAZIN erinnert sie daran, dass die Istanbul-Konvention von den Staaten in Artikel 7 „umfassende und koordinierte politische Maßnahmen“ fordert, die eine „ganzheitliche Antwort auf Gewalt gegen Frauen“ geben. Dieses Ziel sei in Deutschland noch lange nicht erreicht. Es gebe an vielen Orten in Deutschland viele gute Ansätze und Maßnahmen, von einem flächendeckenden Schutz und der gebotenen Unterstützung könne aber nicht gesprochen werden. Immer noch hängt es viel zu sehr vom Wohnort einer Frau ab, ob sie dort eine spezialisierte Beratungsstelle oder einen Frauenhaus-Platz finden kann. Auf der gleichen Seite veröffentlichen wir auch eine Stellungnahme des Bundesfrauenministeriums zu den bisher eingeleiteten Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Seite 8 GEWALT GEGEN FRAUEN
Türkei erwägt Ausstieg aus Istanbul-Konvention zwd Berlin (ig). Das sieht nach Ärger in der eigenen Familie aus“. Mit diesen Worten hat die Leiterin des ZDF-Auslandsjournals Antje Pieper (im Bild rechts) einen sehenswerten Beitrag am 14. August eingeleitet. Seite 9 DAMMBRUCH VERHINDERN - ISTANBUL-KONVENTION STÄRKEN Polnische Gedankenspiele alarmieren den Europarat zwd Berlin/ Warschau (ig). Noch sei nichts amtlich, versuchte die polnische Regierung die Gedankenspiele ihres Justizministers Zbigniew Ziobro zu beschwichtigen. Doch die Ankündigung des nationalkonservativen Ministers, den Rückzug seines Landes aus dem Istanbul-Abkommen einzuleiten, hat sowohl den Europarat als auch Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) alarmiert.
Seite 9 FRAUEN & GLEICHSTELLUNG
GLEICHSTELLUNGSSTRATEGIE DER BUNDESREGIERUNG Ressorts haben Pflichten, mehr oder weniger zwd Berlin (ig). Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) ist es mit ihrer am 8. Juli vom Kabinett beschlossenen „Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung“ erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gelungen, alle Ressorts auf die Umsetzung gleichstellungspolitischer Maßnahmen in ihren jeweilen Bereichen zu verpflichten. Die Minis-terin äußerte sich auf zwd-Nachfrage auch zu den Themen „Ehegattensplitting“ und „Gender Budgeting“. Von den Gewerkschaften und Frauenverbänden wurde die Strategie grundsätzlich begrüßt, ihnen wie auch der Bundestagsopposition gehen die vereinbarten Strategieschritte jedoch nicht weit genug. ab Seite 10
DR. BARBARA STIEGLER: KOMMENTAR ZUR GLEICHSTELLUNGSSTRATEGIE DER BUNDESREGIERUNG Dem Commitment müssen Taten folgen: Die Gleichstellungsstrategie als Meilenstein(chen) zwd Berlin. Für das zwd-POLITIKMAGAZIN hat die Gender-Expertin Dr. Barbara Stiegler die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung kommentiert. Positiv vermerkt sie, dass die gängige und praktisch geübte Arbeitsteilung, nach der das BMFSFJ allein zuständig ist, noch einmal programmatisch abgeschafft wird. In den 67 Maßnahmen vermisst die Kommentatorin andererseits grundlegende Reformansätze. Was jetzt anstehe, sei die Implementierung dieser Strategie: durch Vermittlung von Genderkompetenz und Veränderung von Abläufen und Zuständigkeiten. Stiegler fordert auch eine kritisch Begleitung durch das Parlament und die gleichstellungspolitisch engagierte Zivilgesellschaft. Seite 11 KOALITION EINIG: NOCH IN DIESEM JAHR KOMMT DIE ... Bundesstiftung für Gleichstellung zwd Berlin (no/ig). Die Maßnahme 58 der Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung ist überschrieben: „Bundesinstitut/-stiftung Gleichstellung“. Damit wird ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 14. März 2018 erfüllt. Doch bis zur rechtlichen Umsetzung, die in der Federführung von Bundesfrauenministerin Franziska Giffey liegt, ist noch ein weiter Weg. Immerhin: dieses Jahr noch soll die Gründung erfolgen. ab Seite 13 30. KONFERENZ DER GLEICHSTELLUNGSMINISTER*INNEN GFMK
„Geschlechtergerechtigkeit umsetzen!“ zwd Saarbrücken (ig). Die Konferenz der Gleichstellungsminister*innen und -senator*innen der Länder (GFMK) hat einstimmig dazu aufgerufen, aus der Corona-Krise erwachsende Chancen zu nutzen, um die Gleichstellung von Frauen und Männern weiter voranzubringen. Auf Antrag der saarländischen Ministerin für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, der CDU-Politikerin Monika Bachmann (Bild rechts), die in diesem Jahr turnusgemäß den Vorsitz führt, hat die GFMK in einer Video-Konferenz eine Reihe von Anträgen verabschiedet, die unter anderem die Forderung nach einer gleichstellungspolitischen Ausrichtung von Konjunkturprogrammen, Krisenmaßnahmen und Gesetzesvorschlägen enthalten, „damit alle Maßnahmen und Programme für Frauen und Männer gleichermaßen wirken“. Das 39-seitige Beschlusspapier umfasst insgesamt 10 Beschlüsse, darunter eine Entschließung zu „Digitaler Wandel - neue Herausforderungen für die Frauen- und Gleichstellungspolitik“. (Die Beschlüsse dokumentieren wir auszugsweise im Wortlaut ab Seite 16.) ab Seite 14 IM WORTLAUT AUSZÜGE AUS BESCHLÜSSEN DER 30. GFMK ab Seite 16
FRAUEN & RECHT
THÜRINGEN / BRANDENBURG Paritäts-Urteil: Einzelfall oder Strickmuster? zwd Weimar/ Potsdam (hk). Das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, mit dem die Paritätsregelung des dort geltenden Landeswahlgesetzes für nichtig erklärt wurde, hat über den Freistaat hinaus bundesweit Wellen geschlagen. Während der Deutsche Frauenrat eine höherinstanzliche Klärung durch das Bundesverfassungsgerichts reklamierte, sehen Jurist*innen das Weimarer Urteil lediglich als Einzelentscheidung an. Am 20. Oktober dieses Jahres wird das nächste Urteil erwartet – über die brandenburgische Paritätsregelung. Seite 19 FRAUEN & POLITIK BEWÄLTIGUNG DER CORONA-KRISE „Geschlechtergerecht aus der Krise“: Fraktionen sind aber uneinig über das Wie zwd Berlin (ig). Erwartungsgemäß wird den Anträgen, mit denen die Oppositonsfraktionen der Linken, Grünen und FDP ihren Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise leisten wollten, das übliche Los beschieden: die Ablehnung durch die Regierungsmehrheit von CDU/CSU und SPD. So kam es dann auch, als der Frauen- und Familienausschuss des Bundestages am 1. Juli die entsprechenden Oppositionsanträge abschließend behandelte. Das Ergebnis hatte sich schon in der Debatte der Anträge am 17. Juni im Bundestag abgezeichnet, als das Bundesparlament erstmals über die Anträge debattierte. Motto der Regierungsmehrheit: Wir sind schon auf dem (richtigen) Weg. ab Seite 20 zwd-DOKUMENTATION: GESCHLECHTERGERECHT AUS DER KRISE Die Anträge von FDP, Linken und Grünen (gemäß Drs. 19/21085) ab Seite 22
REGIERUNG ANTWORTET DEN GRÜNEN Frauen besitzen deutlich weniger Vermögen als Männer zwd Berlin (ug/ no). Die Bundesregierung sieht im Hinblick auf das Ehegattensplitting keinen Reformbedarf. Das geht aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor. Die Fraktion hatte sich nach den geschlechtsspezifischen Unterschieden im Vermögens- und Steuerrecht erkundigt. ab Seite 34 KOMMENTAR ZUR VERMÖGENSLAGE VON FRAUEN VON LISA PAUS MdB (GRÜNE) "Es ist Zeit für ein feministisches, gendergerechtes Steuersystem“ zwd Berlin. Es geht nicht wirklich voran mit der finanziellen Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Geschlechtergerechtigkeit im Steuersystem sehr deutlich. Steuervorteile gehen überwiegend an Männer und die Einkommens- wie Vermögensschere zwischen den Geschlechtern klafft weiter auseinander. Die aktuelle Corona-Krise verstärkt die Retraditionalisierung der Geschlechterrollen leider noch: Das Homeschooling und die Hausarbeit wird überwiegend von Frauen erledigt. Sie sind es, die meist das Corona-Elterngeld beziehen. Von Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes hingegen profitieren überwiegend Männer. Außerdem erhalten Frauen aufgrund ihrer Lohnsteuerklasse häufig weniger Kurzarbeitergeld als ihre männlichen Kollegen.
Seite 26 FRAUEN & EUROPA
ERKLÄRUNG DER TRIO-RATSPRÄSIDENTSCHAFT Gleichstellung ist ein Menschenrecht: Agenda der Trio-Ratsländer veröffentlicht zwd Brüssel (ug). In der Die Folgen der Corona-Krise für Frauen einzudämmen, gleiche Löhne für alle und mehr Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt durchzusetzen, haben sich die Bundesrepublik, Portugal und Slowenien für ihre Trio-Ratspräsidentschaft zum Ziel gesetzt. In einer gemeinsamen Deklaration verpflichten sie sich, im Streben nach Gleichberechtigung eng zusammenzuarbeiten. Die Koalitionsregierung betont in ihrem Programm zum EU-Ratsvorsitz ihre Absicht, ein gerechteres Europa zu gestalten und Fortschritte bei der Gleichstellung zu erreichen. Seite 27 FRAUEN & SOZIALES
GESETZ ZUR GRUNDRENTE VERABSCHIEDET
Ein „sozialpolitischer Meilenstein“: Davon profitieren 70 Prozent Frauen zwd Berlin (ug/ ig). Mit der Grundrente wird es für Geringverdiener*in-nen einen Aufschlag auf die bisherige Rente geben – als gerechte Anerkennung für langjährige harte Arbeit. Rund eine Million Frauen gehören aktuell zu den Nutznießer*innen der Reform. Aus Sicht der SPD ist die Grundrente ein „sozialpolitischer Meilenstein“. Einen wichtigen Schritt, doch noch keine verlässliche Hilfe gegen drohende Altersarmut erkennen Frauenvereine, Sozialverbände und Gewerkschaften in der Regelung. ab Seite 28 BILDUNG & POLITIK DIGITAL
ÜBERSICHT ÜBER THEMEN: BILDUNG & POLITIK DIGITAL 3-20 & BILDUNG & POLITIK DIGITAL 4-2
Lesen Sie exklusiv die Digital-Ausgabenj zum zwd-POLITIKMAGAZIN: - 8. NATIONALER BILDUNGSBERICHT Weiterhin ungleiche Chancen und Bildungskarrieren
- STUDIE BERTELSMANN STIFTUNG Kinderarmut immer noch weit verbreitet
- UNESCO-WELTBILDUNGSBERICHT 258 Millionen Kinder weltweit können nicht zur Schule gehen
- BILDUNG UND SOZIALE HERKUNFT Die extreme soziale Selektivität übersteht das deutsche Schulsystem nicht
Seite 31 DIE LETZTE SEITE
STUDIEN DER MALISA-STIFTUNG Fast die Hälfte der Ärzt*innen sind Frauen – aber ihre Expertise in der Corona-Krise ist kaum gefragt
zwd Berlin (no). Seit mehr als fünf Monaten dominiert das Thema rund um Corona die TV- und Printmedien. Tag für Tag werden neue Fakten, neue Einschätzungen und neue Konsequenzen offeriert. Die Namen von einigen Virolog*innen gehören für viele schon zum täglichen Sprachgebrauch – zuzuordnen sind sie Männern. Seit Mai steht fest, dass diese männliche Omnipräsenz in den Corona-Diskussionen keine Einbildung ist, sondern Realität. Das belegen zwei Ende Mai veröffentlichte Studien der MaLisa Stiftung, an deren Spitze die Ärztin und Schauspielerin Maria Furtwängler und ihre Tochter, die Musikerin und Kunsthistoikerin Elisabeth Furtwängler stehen. Seite 32
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