Die Ministerin gilt seit dem gescheiterten Bildungsgipfel im Frühjahr des vergangenen Jahres nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung als angeschlagen. Auch in Koalitionskreisen, vor allem bei den Bildungspolitiker:innen von SPD und Grünen, aber auch bis hinein in die FDP herrscht Unzufriedenheit mit der 56-Jährigen, die vor ihrer Berufung bildungspolitisch nicht aufgefallen war, sondern eher als Finanzmarktforscherin aufgetreten und vor diesem Hintergrund in der FDP Karriere gemacht und zur Stellvertretenden Bundesvorsitzenden aufgestiegen ist. Angelastet wird der Ressortchefin, dass sie - der Linie ihres Parteivorsitzenden Christian Lindner folgend - den Digitalpakt 2.0 mit den Ländern bis auf Weiteres auf Eis gelegt hat. Bei einem BdA/DGB-Bildungskongress hatte die Ministerin zwar versichert: "Der Digitalpakt muss kommen", aber keine konkreten Aussagen über das Wie und Wann getroffen. Sie kämpfe nicht wirklich um die in der Koalitionsvereinbarung der Ampel verabreden Reformen und habe das Ministerium nicht im Griff, heißt es in den Regierungskulissen. Kritisch wird an die Adresse von Stark-Watzinger angemerkt, dass sie die umfassende BAföG-Reform zu einer 29. Novelle habe verkommen lassen. Nicht zuletzt mussten die Bildungs- und Haushaltspolitiker:innen der Regierungsfraktionen Hand anlegen, um eine Null-Runde bei BAföG zu verhindern. Bemerkenswert ist, dass die FDP-Politikerin in der 2. Lesung der 29. Novelle lediglich als Zuhörerin auf der Regierungsbank saß, ohne zu einem der zentralen Projekte ihrer Hauses das Wort zu ergreifen.
Mit ihrem politischen Agieren, die Möglichkeit der Entziehung von Forschungsgeldern bei unliebsamen Wissenschaftlern überprüfen zu lassen, hat die Ministerin das Fass zum Überlaufen gebracht. Anlass ist ein NDR-Panorama-Bericht, wonach die Ministerin in die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen habe. Die Gründe sind in dem offenen Brief zu Ausdruck gebracht.
Der Wortlaut
"Offene Stellungnahme zum Vorgehen der Bundesbildungsministerin angesichts des offenen Briefes Berliner Hochschullehrer:innen
Zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes erleben Wissenschaftler:innen in Deutschland einen bisher nicht dagewesenen Angriff auf ihre Grundrechte. Nachdem die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger am 8.5.2024 zum "Statement von Lehrenden an Berliner Hochschulen" in Sozialen Medien den Zeichner:innen vorgeworfen hatte, sie stünden nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, ließ sie – wie die Panorama-Redaktion am 11. Juni 2024 bekannt machte – am 13.5. diesen Jahres dienst- und strafrechtliche Sanktionen gegen Beamt:innen und Angestellte der Länder sowie die Option des Widerrufs von Förderungen durch Mitarbeiter:innen im BMBF prüfen.
Diese Handlungsweise macht sie aus folgenden Gründen als Ministerin für Bildung und Forschung untragbar:
1) Die Prüfung dienstrechtlicher Sanktionen obliegt den Ländern als Dienstherren von Professor*innen.
2) Das Strafrecht gehört nicht zum Zuständigkeitsbereich des Ministeriums.
3) Die avisierte Rücknahme von Förderbescheiden widerspricht allen Prinzipien der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit.
Der Entzug von Fördermitteln ad personam aufgrund von politischen Äußerungen der betreffenden Forscher:innen ist grundgesetzwidrig: Lehre und Forschung sind frei. Die interne Anordnung, eine derartige politische Sanktionierung dennoch zu prüfen, ist ein Zeichen verfassungsrechtlicher Unkenntnis und politischen Machtmissbrauchs; sie verdeutlicht einen zunehmenden Bruch zwischen Entscheidungstragenden im Bundesministerium für Bildung und Forschung und denjenigen, die das Wissenschaftssystem durch ihre Forschung und Lehre tragen. Das Vorgehen der Ministeriumsleitung riskiert allein durch seine einschüchternde Wirkung, das hart erkämpfte Abwehrrecht der Wissenschaftsfreiheit gegenüber politischen und staatlichen Einflussnahmen nachhaltig zu beschädigen. Die Freiheit der Wissenschaft schützt davor, dass der Staat über Wahrheiten autoritativ entscheidet, und ist damit Grundbedingung einer pluralen Gesellschaft.
Repressive Überprüfungen von Wissenschaftler:innen, die ihre kritische Haltung zu politischen Entscheidungen öffentlich machen, sind aus autoritären Regimen bekannt, die eine freie Diskussion auch an Universitäten systematisch behindern. Bereits der Anschein, die freie, gesellschaftliche Diskussion werde staatlich beschnitten, schadet unserer demokratischen Gesellschaft und dem Ansehen des Wissenschaftsstandorts Deutschland in der Welt.
Es gehört zu den Prinzipien der Wissenschaftsförderung in Deutschland (inkl. der Projektförderung durch das BMBF selbst), dass bei der Begutachtung und Bewilligung von Projektanträgen allein nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen wird. Ungeachtet der Befürwortung oder kritischen Distanz zum Vorgehen der Lehrenden an Berliner Hochschulen: Politisch eine Überprüfung der Empfänger:innen von Forschungsgeldern auch nur anzustoßen, verrät eine Auffassung von Wissenschaft und Wissenschaftsförderung, die mit der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nicht vereinbar ist."