zwd Berlin. Man habe den gemeinsamen Appell der Frauenvereine an die Bundesregierung, sich für den Straftatbestand der Vergewaltigung im Geltungsbereich der geplanten EU-Richtlinie einzusetzen, zur Kenntnis genommen, verlautete es am Dienstag aus dem BMFSFJ. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen sei "ein vordringliches Anliegen" der Regierung, erklärte ein Sprecher des grün geführten Ministeriums. Indem er die EU-Initiative "grundsätzlich richtig" nannte, stellte er sich hinter das Vorhaben, dessen Ziele das BMFSFJ offensichtlich mitträgt. Der Sprecher hob hervor, es müsse "eine klare, gemeinsame Regelung" geben, äußerte sich jedoch nicht näher zur umstrittenen Frage des Vergewaltigungs-Paragraphen. Bisher habe man in der EU keine vereinheitlichten Mindeststandards, um Betroffene vor Gewalt zu schützen. Mit der Richtlinie sollten Angriffe auf Frauen und im häuslichen Umfeld "überall in der EU wirksamer bekämpft" werden.
Grüne: Beim Kampf gegen Frauengewalt "mutig vorangehen"
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Ulle Schauws bezog bei der Bundestagsdebatte am 16. November aus Anlass des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen unmissverständlich zugunsten der Forderungen der EU-Richtlinie Position. Diese würde "deutlich mehr Schutz von Frauen in allen Ländern Europas bewirken". Sexualisierte Gewalt bezeichnete Schauws als "eine der schlimmsten Formen von Gewalt", Vergewaltigung könne "für die Betroffenen ein lebenslanges traumatisches Erlebnis" bedeuten. Daher sei es aus ihrer Perspektive wichtig, ."diese Menschenrechtsverletzung (...) in der EU gemeinsam (zu) ächten". Die Bundesrepublik dürfe nicht weiter ihre Zustimmung verweigern, den Tatbestand in das Gewaltschutzpaket einzubeziehen, forderte die Grünen-Abgeordnete, sondern müsse "beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen mutig vorangehen".
Am selben Tag solidarisierte sich die Linken-Frauenpolitikerin Heidi Reichinnek mit den (mittlerweile über 120) Frauenverbänden und juristischen Fachleuten, die den offenen Brief der European Women´s Lobby (EWL) vom Oktober unterschrieben haben. Mit einer Reihe von auf die Rechtsverträge der EU bezogenen Argumenten treten sie dafür ein, dass die Vereinheitlichung der Straftat auf der Grundlage des "Mangels an freiwilliger Zustimmung" Teil der Richtlinie werden soll. "Ein geschlechtsspezifisches Gewaltschutzpaket, das Vergewaltigung nicht thematisiert ist kein Gewaltschutzpaket", sagte Reichinnek im Parlament. Seit dem 14. November läuft in Brüssel die dritte Runde der sog. Trilog-Verhandlungen, die zwischen Parlament, Rat und Kommission einen Konsens herstellen soll.
SPD: Bundesrepublik hat bei EU-Streit "wichtige Rolle"
Auch nach Auffassung der Sprecherin für Frauenpolitik der SPD-Bundestagsfraktion Leni Breymaier sollte man die EU-Richtlinie unbedingt dazu nutzen, "die Strafbarkeit von Vergewaltigungen im gesamten Unionsraum zu harmonisieren". Auch Breymaier ist der Auffassung, dass "eines der schwersten Verbrechen überhaupt" in einem gegen geschlechtsspezifische Gewalt gerichteten EU-Vorhaben nicht fehlen dürfe, Deutschland komme dabei eine "wichtige Rolle" zu. Die Sozialdemokratin unterstrich gegenüber dem zwd, Vergewaltigung sei eine "Form von sexueller Ausbeutung". Alle Frauen, "und zwar überall", müssten davor "gleichermaßen geschützt werden" Linken-Politikerin Reichinnek bekundete ihrerseits, die Behauptung, die rechtliche Basis für die Aufnahme des Paragraphen sei nicht ausreichend, gehe "völlig an der Realität vorbei". Sie drängte die Koalitionsregierung, das Einbeziehen der Straftat in das Anti-Gewalt-Paket nicht zu boykottieren.
ASF: "Nur ja heißt ja" zentral für Vereinheitlichung von EU-Recht
Die Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Maria Noichl betonte im Interview mit dem zwd, Vergewaltigung als Thema brauche "seinen Platz in dieser Richtlinie". Als zentral habe aus ihrer Sicht dabei: "Nur ja heißt ja" zu gelten. Der in der Istanbul-Konvention (IK) festgehaltene "Mentalitätswechsel" müsse in die EU-Regelung einfließen, sie dürfe an Frauen verübte Gewalt nicht "nur teilweise aufgreif(en)". Die "besondere Schwere" der Straftat zu erkennen, würde auch "ein starkes politisches Zeichen einer absoluten Null-Toleranz-Politik senden", so die Europa-Politikerin. Das sei "wichtig für die Gesellschaft als solche, aber auch besonders für Opfer und Täter". Unmittelbar vorher hatte die ASF in einem Kommentar Bundesjustizminister Buschmann kritisiert. Seine Entscheidung bilde die Grundlage dafür, dass die Bundesrepublik im EUCO nicht für die Regel eintrete, wonach – seit 2016 auch gemäß deutschem Recht – jede gegen den „erkennbaren Willen“ der Betroffenen ausgeübte sexuelle Handlung unter Strafe fällt. Das sei „für Millionen Frauen in Europa eine Katastrophe“, hieß es vonseiten der SPD-Frauen. ASF-Vorsitzende Noichl rief Buschmann auf, „wie ein Minister“ zu handeln. Es sei „auch in der Verantwortung Deutschlands, dass der Schutzstatus einer Frau in der EU nicht vom Wohnort abhängig ist!"
Frauenverbände: Vergewaltigung EU-weit unter Strafe stellen
In einem „Offene(n) Brief zur EU-Gewaltschutzrichtlinie“ vom 30. Oktober appellierten rund 40 feministische Organisationen, angeführt vom DF und der EWL, an die Koalitionsregierung, aktiv dafür einzutreten, „dass Vergewaltigung als Tatbestand in das EU-Gewaltschutzpaket aufgenommen wird“, und sich den EU-Staaten Belgien, Italien, Griechenland und Luxemburg anzuschließen. Diese hatten in einer gemeinsamen Erklärung ihr tiefes Bedauern darüber geäußert, dass es „an politischem Ehrgeiz“ mangele, „den Straftatbestand der Vergewaltigung unter Strafe zu stellen“. Sie reagierten damit auf die im Juni vom EUCO bekanntgegebene „allgemeine Ausrichtung“, worin dieser bloß einer Kriminalisierung von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM), Cyber-Gewalt und nicht-einvernehmlicher Verbreitung von Intimbildern zustimmte, Straftaten wie Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch und Belästigung hingegen unter die jeweils gültigen nationalen Rechtsvorschriften einordnete. Wenige Tage zuvor hatte der EUCO den EU-Beitritt zur IK gebilligt.
In dem Schreiben, das u.a. DGB, Deutscher Juristinnenbund (djb) und das Forum Menschenrechte unterzeichnet haben, hoben die Aktivist:innen hervor, die Richtlinie sei eine „einzigartige und einmalige Möglichkeit, Vergewaltigung in der gesamten EU strafrechtlich zu verfolgen und (insbesondere) Frauen zu schützen“. Die bundesdeutsche Gesetzgebung habe die Strafbarkeit „eines der schwersten Verbrechen gegen Frauen“ nach den Vorgaben der IK durch die Reform von 2016 weiter gestärkt. Die Feminist:innen monierten die dennoch von der Bundesregierung geltend gemachten „unionsrechtliche(n) Bedenken“. Das Hauptargument des EUCO bewerteten sie als „unhaltbar“, da „sexuelle Ausbeutung von Frauen“ in Artikel 83 (1) des Vertrags über die Funktionsweise der EU (AEUV) aufgeführt sei, auf den sich der Kommissionsvorschlag als wesentliche Rechtsgrundlage stützt. Darin wird sexuelle Ausbeutung als einer der Bereiche von Kriminalität festgelegt, in denen die EU-Länder kooperieren und Mindestvorschriften erlassen können.
EP möchte Geltungsbereich der Richtlinie erweitern
Justizminister Buschmann beruft sich hinsichtlich seiner Haltung auf das Rechtsgutachten des EUCO, wonach eine entsprechende strafgesetzliche Regelung nicht innerhalb des EU-Kompetenzrahmens liege. Demgegenüber ergänzte das EP in seinem Konzept für eine legislative Entschließung vom Juli den Anwendungsbereich des Gewaltschutzpaketes noch um weitere Straftaten, wie sexuelle Übergriffe, Zwangsheirat oder Belästigung am Arbeitsplatz. Der Bundesrat hatte bereits ein Jahr vorher (Drs. 131/ 22) ausdrücklich begrüßt, dass durch den von der EK festgesetzten Rahmen der Strafbarkeit von Vergewaltigung „ein umfassender Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung innerhalb der gesamten EU gewährleistet würde“.
EK und djb: Vergewaltigung als sexuelle Ausbeutung
Unter Rückgriff auf eine Stellungnahme des djb bekräftigten die Frauenrechts-Vereine, „dass Vergewaltigung sexuelle Ausbeutung“ sei. Gleichzeitig verwiesen sie auf eine Unterschriftenaktion der EWL, bei der inzwischen fast 125.760 Unterstützer:innen verlangen, "alle Formen der sexuellen Ausbeutung von Frauen, einschließlich sexueller Gewalt und des Missbrauchs der Sexualität von Frauen" in der EU-Richtlinie unter Strafe zu stellen. Im Entwurf der EK heißt es wörtlich: Vergewaltigung „ist mit einem Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer verbunden, das es dem Täter ermöglicht, das Opfer zum Zwecke der persönlichen Befriedigung, der Behauptung der Herrschaft, der Erlangung sozialer Anerkennung oder möglicherweise des finanziellen Gewinns sexuell auszubeuten“ (Absatz 13 EK-Entwurf). In diesem Sinne hatte auch der djb Vergewaltigung ebenso wie FGM als „genuin ausbeuterisch und Ausdruck eines strukturellen und geschlechterdiskriminierenden Machtgefälles“ bewertet.
Mit dem Vorschlag für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ vom März 2022 strebt die EK nach eigenen Angaben an, die relevanten Rechtsinstrumente wirksamer zu gestalten, Lücken bei Schutz, Prävention, Zugang zum Justizwesen und Kooperation zu füllen sowie die EU-Vorschriften an internationale Normen anzupassen. Im Einzelnen sieht die Kommission u.a. Maßnahmen vor, welche „Vergewaltigung auf der Grundlage einer fehlenden Zustimmung“, FGM und bestimmte Arten von Cybergewalt EU-weit strafbar machen sowie das Recht von Opfern auf adäquaten, ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigenden Schutz stärken.