DR. ERNST DIETER ROSSMANN : Dadurch wird Bildung im gesamten Land stärker

5. November 2024 // Ernst Dieter Rossmann

CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte in den Haushaltsdebatten die Beteiligung des Bundes an der sonst den Ländern zugeschriebenen Bildungsfinanzierung. Dr. Ernst Dieter Rossmann, ständiger Kolumnist im zwd-POLITIKMAGAZIN und Ehrenvorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbandes, stellt Merz dafür an den Pranger und präsentiert seine eigene Ansicht: "Kooperationschancen statt Kooperationsverbote" sei der Weg zu einer stärkeren Bildung.

Die neuen Formen und Inhalte der Bund-Länder-Zusammenarbeit machen die Bildung im gesamten Land stärker. Insofern kann dem Oppositionsführer von der CDU/ CSU ein Vorwurf nicht erspart bleiben: Mit seiner Position in der Haushaltsdebatte, dass der Bund Bildungsprogramme finanzieren würde, die doch eigentlich Länderaufgaben seien, hat Friedrich Merz einmal mehr gezeigt, wie sehr er retro ist und noch lange nicht in der Gegenwart, geschweige denn in der Zukunft angekommen ist.

Erinnern wir uns: Die 1. Regierung Schröder mit ihrer tatkräftigen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn hatte 2003 gerade ein 4 Milliarden Förderprogramm für den überfälligen Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland durchgesetzt. Da fiel den Extremföderalisten rund um den hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch nichts Besseres ein, als das Grundgesetz rigoros in der gemeinsamen Bildungsplanung, bei den schulischen Modellvorhaben und in der Hochschulfinanzierung zu kastrieren und dem Konkurrenzföderalismus in der Bildung das Wort zu reden.

Grundgesetzänderung mit Weitsicht

Tempi passati: Das Kooperationsverbot ist längst schon wieder Geschichte. Das Grundgesetz ist mit Weitsicht und Beharrlichkeit so geändert worden, dass mehr als jemals zuvor Bund-Länder-Kooperationen pro Bildung für das ganze Land möglich sind. Hierzu nur einige Stichworte aus den letzten bald 20 Jahren allein für den Bereich der Schulen:

  • Bundesmittel für die Schulsozialarbeit und Schulbau-Programme für die „kommunale Bildungsinfrastruktur“ in finanzschwachen Kommunen;
  • Sonderförderung für Hochbegabte wie für Schulen in prekärer sozialer Lage und aktuell das große Startchancenprogramm bis zum Jahr 2034; Digitalpakt für die Schulen;
  • Aufbrechen des Königsteiner Schlüssels und Einführung einer Steuerung der Mittelvergabe nach Sozialindices.

Wenn Friedrich Merz diese gemeinsame Erfolgsgeschichte von Bildungsminister:innen aller Couleur aus dem Bund wie aus den Ländern jetzt ebenso flapsig wie fahrlässig in den Senkel stellt, darf das nicht irritieren. Im Gegenteil: Es muss animieren, diesen Weg der Kooperationschancen statt der Kooperationsverbote weiter zu gehen und sich neue Ziele zu setzen.

Drei Schlüsselprojekte sollten angesagt sein

1 2018 hatten CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag einen gemeinsamen Nationalen Bildungsrat verankert. Auch wenn dieser dann von den Ministerpräsidenten der CSU aus Bayern und von B 90/Die Grünen aus Baden-Württemberg hintertrieben wurde, ist die in der Folge eingerichtete Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK dennoch ein echter Fortschritt. In deren Arbeitsprozess sollte sich der Bund noch stärker einbringen können und auch die Kommunen und die Sozialpartner sollten rechtzeitig einbezogen werden. Dass sich Bund und Länder jetzt von einem rigiden Prinzip der Einstimmigkeit lösen konnten, ist eine gute Rückbesinnung auf Prinzipien, wie sie schon bei der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und deren Bildungsgesamtplan in der Aufbruchstimmung der 1970er Jahre gegolten haben.

2 Bildungsförderung ist eine Querschnittsaufgabe, zu der jedes Ressorts für die Bildungsgesellschaft der Zukunft Konkretes beitragen kann. Die Förderung der Schulsozialarbeit und das neue Konzept der Teilhabe an Bildung in der Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen sind bekanntlich aus der Reform der Sozialhilfe entstanden. Die Förderung von Integration und Einstieg und Aufstieg bei Migration durch Sprachprogramme wie Integrationskurse und Erstorientierungskurse von Bund und Ländern gehen auf das Aufenthaltsrecht in der Innenpolitik zurück. Und das gemeinsame Erschrecken von Bund und Ländern über das Ausmaß an fehlender Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland hat z.B. zu einer Alpha-Dekade¹ geführt, an der die Bildungspolitik genauso Interesse hatte wie die Arbeitsmarkt- und die Sozialpolitik. Wo die Merz-CDU abgrenzt und exkludiert, zeigen ressort- und ebenenübergreifende Politikkonzepte, zu welchen gemeinsamen Erfolgen Bund und Länder fähig sind. Ganz konkret: Das muss jetzt auch bei der Fortsetzung der Alpha-Dekade über 2026 hinaus erreicht werden.

3 Und schließlich: Das Startchancen-Programm für die Schulen hat mehr als jedes andere Bildungsprogramm davor die unterschiedlichen sozialen und materiellen Voraussetzungen anerkannt und in seine Fördersystematik integriert, die bisher Chancengleichheit massiv verhindert und Chancenförderung in den Bildungseinrichtungen erschwert haben.

Perspektive für die nächste Legislaturperiode:

Ein Programm für frühkindliche Förderung Der Königsteiner Schlüssel ist nicht mehr das Maß aller Dinge. Das sollte Anlass genug sein, ein gleiches Prinzip auch für ein entsprechend ausgelegtes Förderprogramm durch Bund und Länder entlang von Sozialindices für die frühkindliche Bildung in den Kindertagesstätten rechtzeitig vorzubereiten und in der nächsten Legislaturperiode dann gemeinsam aufzulegen. Kooperationschancen sind Gleichheits- und Gerechtigkeitschancen und die brauchen die Menschen für ein gutes Leben von Anfang an.


¹Stichwort „Alpha-Dekade“: Die Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung ist ein Bund-Länder-Projekt seit 2016 mit Laufzeit bis 2026 mit dem Ziel, funktionalen Analphabetismus Erwachsener in Deutschland zu verringern und die Grundbildung auszubauen. Das BMBF stellt hierfür 160 Millionen Euro bereit. In Deutschland können 6,2 Millionen Erwachsene nicht oder nur eingeschränkt lesen.

Erstveröffentlichung im zwd-POLITIKMAGAZIN 402

Artikel als E-Mail versenden