ÄRA SCHOLZ: EIN MÄNNLEIN STEHT IM WALDE, GANZ STILL UND STUMM : Das vorläufige (?) Ende einer sozialliberalen Illusion

22. Februar 2025 // Holger H. Lührig

Er war am Ende der vielleicht Letzte in der Ampel-Koalition, der von sich selbst sagte: Er sei ein "bekennender Sozialliberaler" – Olaf Scholz, schreibt Holger H. Lührig in seinem Herausgeber-Kommentar über das Ende der Ära Scholz. Der Kanzler sei der Fehleinschätzung über die Mär des FDP-Chefs Christian Lindner unter dem Motto "Besser nicht regieren als falsch zu regieren" aufgesessen. Falsch war die Einschätzung darauf zu vertrauen, dass die in Koalitionsbrüchen erfahrenen Freien Demokraten (1966, 1972, 1982, 2024) es "nicht wieder tun" würden und jetzt gewillt gewesen seien "gut zu regieren".

(Bildausschnitt (BTG live)Scholz bei letzter Rede im Bundestag am 11.02.2025
(Bildausschnitt (BTG live)Scholz bei letzter Rede im Bundestag am 11.02.2025

Holger H. Lührig

Die FDP muss zu einem sozialliberalen Kurs zurückfinden - anders ist sie im Bundestag überflüssig

Er war am Ende der vielleicht Letzte in der Ampel-Koalition, der von sich selbst sagte: Er sei ein "bekennender Sozialliberaler" – Olaf Scholz. Der vierte sozialdemokratische Bundeskanzler in Deutschland nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder handelte offenbar in der Überzeugung, er könne ein ähnlich längerfristiges Bündnis schmieden wie ehemals 1969 der erste Kanzler der westdeutschen Republik mit dem damaligen sozialliberalen FDP-Vorsitzenden Walter Scheel, dem späteren Außenminister und Bundespräsidenten. Nur so erscheint erklärbar, warum der Chef der Ampel-Koalition im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft dem administrativ unerfahrenen (und mit den Anforderungen des Finanzministeriums überforderten) FDP-Chef Christian Lindner im Kabinett die Stange hielt, gelegentlich sogar gegen seinen Vizekanzler Dr. Robert Habeck (Bündnisgrüne) und dessen Bemühen um sozial-ökologisch bestimmtes Regierungshandeln.

Die FDP-Mär vom "gut regieren" wollen

Der Kanzler ist, wie man heute weiß, der Fehleinschätzung über die Mär von Lindners "Besser nicht regieren als falsch zu regieren" aufgesessen, mit dem dieser einem Bündnis mit CDU/CSDU und Grünen 2017 eine Absage erteilt hatte. Er glaubte offenbar annehmen zu dürfen, dass Lindner nun wirklich entschlossen sei, "gut" zu regieren – und das eine ganze Legislaturperiode lang.

Scholz sah – sein größter Fehler – deshalb großzügig darüber hinweg, dass bereits nach dem ersten Jahr Ampel-Regierung sich der Freidemokrat mit koalitionsschädlichen Aussagen zu profilieren begann: Seine Aufgabe sei es, verkündete Lindner damals, ein Bollwerk gegen die beiden "linken" Parteien in der Koalition – gemeint SPD und Grüne – zu bilden und deren "linksideologischen" Vorhaben als Korrektiv entgegenzuwirken. In der Auseinandersetzung über die an die BILD-Zeitung durchgestochenen ersten Überlegungen des Bundeswirtschaftsministeriums zu einem neuen Heizungsgesetz hielt sich Scholz vornehm zurück, auch als der Regierungspartner FDP sowie eine gezielte Medienkampagne gegen den Vizekanzler und dessen Partei polemisierten. Der Scherbenhaufen konnte für den pressewirksam gestutzten Habeck nicht größer sein, wobei aber Scholz verkannte, dass durch die Scherben auch seine eigene Führungsfähigkeit zerbröselte. Ähnlich ließ Scholz bei der Kindergrundsicherung seine grüne Familienministerin Lisa Paus im Regen stehen.

Alle Merkwürdigkeiten des aufkommenden finanzpolitischen Ampel-Dauerstreits schienen dem Oberfinanzminister noch hinnehmbar, obwohl der Ukraine-Krieg und die mangelhafte Verteidigungstüchtigkeit der Bundeswehr dem Kanzler bewusst machten, dass eine Zeitenwende angesagt sei. Die finanziellen Anforderungen des von Russland angezettelten Angriffskrieges ließen alle Pläne der Fortschrittskoalition für ein umfassendes Investitionsprogramm zur Überwindung der maroden Infrastruktur in Deutschland rasch sichtbar dahinschmelzen. Noch glaubte Scholz, mit 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr auskommen zu können, ohne (wie von Lindner gefordert) die Schuldenbremse antasten zu müssen. Tatsächlich wäre es geboten gewesen, die Koalitionsvereinbarung der Ampel neu zu justieren, um sich neuen Herausforderungen (z.B. Wegfall der russischen Gaslieferungen) zu stellen. Dass die von Putin erhoffte Energiekrise ausblieb und Deutschland relativ unbeschadet durch den Winter kam, wurde und wird bis heute in der Öffentlichkeit viel zu wenig als das Verdienst von Habeck gewürdigt. Stattdessen wurde ihm das gut gedachte und schlecht gemachte Heizungsgesetz vom Kampagnen-Journalismus der Springer-Blätter BILD und WELT als handwerkliches Versagen angehängt.

Die wirkliche Zeitenwende 2.0 blieb aus und die Schuldenbremse unangetastet

Spätestens, als Karlsruhe die von Scholz und Lindner ausgedachten Finanztransaktionen zunichte machte, hätte der Koalitionsvertrag, wenn nicht gar die Koalition auf den Prüfstand gehört. Doch Scholz und die SPD-Führung haben offenbar geglaubt und von Lindner treiben lassen, die Modernisierung der Infrastruktur aus dem laufenden Haushalt abdecken zu können. Sie ließen zu, dass sich der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister sich zum obersten Schuldenbremsenverteidiger aufschwingen konnte. Dabei hatten Ökonomieexperten längst festgestellt, dass mit dem Bundeshaushalt allein der Investitionsstau nicht zu bewältigen war. Zulange hatte sich die Bundesrepublik mit der Friedensdividende eingerichtet und dem Schwaben Schäuble (CDU) Sparpolitik mit der "schwarzen Null" erlaubt. Das in der Ära Merkel aufgehäufte Strukturdefizit – bei Bildung, Wirtschaft, Bahn, Straßen und Brücken – inklusive Energiewendebedarf summiert sich inzwischen auf das gut Zweifache des derzeit mit 450 Milliarden gespeisten Bundeshaushalts. Die Forderung beispielsweise von seriösen Wirtschaftsforschungsinstituten und -verbänden und ebenso der Gewerkschaften nach einer Reform der Schuldenbremse, um die Handlungsmöglichkeiten des Staates wieder ins Lot zu bringen, wurden zu lange auch von Scholz ignoriert.Doch die wirkliche Zeitenwende 2.0, die der Kanzler hätte ausrufen müssen, blieb aus. Erst spät, als der CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz andeutete, man könne über diese Reform sprechen, raffte sich Scholz im Widerspruch zu Lindner zu dem Bekenntnis auf, auch er sei für eine "moderate" Reform der Schuldenbremse. Zu spät.

Auf das Ende der Ampel hingearbeitet

Denn die Signale aus der FDP – in Richtung auf eine Abkehr von der Ampel – waren immer deutlicher geworden. Hat Lindner mit seinem Hochzeitsgast Friedrich Merz schon damals die Verabredung getroffen, ein neues schwarz-gelbes Bündnis anzustreben? Freilich reichte es dafür im aktuellen Bundestag für CDU/CSU und FDP nicht aus, wohl aber dazu, die Ampel bei jeder Gelegenheit schlecht aussehen zu lassen und den Ampel-Gegner:innenstetig Munition zu liefern, Neuwahlen wegen "Ampel-Versagens" zu fordern. So wird ein Schuh daraus: Vieles sieht im Nachhinein nach einem abgekarteten Spiel aus, möglichst viele Ampel-Projekte mit Argumentationen aus dem Bundesfinanzministerium gegen die Wand fahren zu lassen. So lassen sich die ans Licht gekommenen internen Papiere aus der FDP-Zentrale interpretieren, dass die Spitze der Partei nach dem Strickmuster des Koalitionsbruchs 1982 (damals das Lambsdorff-Papier zur Wirtschaftspolitik) auf ein Koalitions-Aus hingearbeitet hat.

In Koalitionsbrüchen erfahren

In Koalitionsbrüchen sind die Freien Demokraten übrigens schon seit Jahrzehnten erfahren (1965 Sturz des CDU-Kanzlers Ludwig Erhard; 1972 Wechsel von nationalliberalen FDP-Abgeordneten zur CDU, um dem CDU-Vorsitzenden Rainer Barzel mittels konstruktivem Misstrauensvotum gegen Brandt zur Kanzlerschaft zu verhelfen).

Mit dem Verlassen des nationalliberalen Flügels um den ehemaligen FDP-Chef Erich Mende begann 1972 die beste Zeit des Sozialen Liberalismus, getragen von Persönlichkeiten wie Prof. Ralf Dahrendorf, Karl Hermann Flach, Rudolf Augstein, Hildegard Hamm-Brücher, Doch die 1972 formulierten Freiburger Thesen zu einem sozial verpflichteten Liberalismus wurden schnell abgelöst durch eine allein auf Wirtschaftsneoliberalismus au fisgerichtete Parteiprogrammatik. Maßgeblich für den vom FDP-Vorsitzenden Hans Dietrich Genscher und dem wirtschaftsliberalen OttoGRaf Lambsdorff 1982 herbei geführten Sturz des SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt war deren wirtschaftspolitisch begründetes Scheidungspapier - eine Blaupause für die Vorbereitung des Ampel-Aus 42 Jahre später - wiederum von der FDP mit wirtschafts- und finanzpolitischen Thesen aus früheren Zeiten begründet. Es zeigte sich auch ab 2009 bis zur späteren Abwahl der freidemokratischen Mövenpick-Fraktion aus dem Bundestag (2013), dass der Rauswurf bei der selbsternannten Drei-Punkte-Partei (F.D.P.) keine Lernprozesse bewirkt hat.

Als selbsternannte "Opposition" in der Ampel und Steigbügelhalterin für den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Merz hat die Partei ihre sozialliberale Glaubwürdigkeit und Eigenständigkeit endgültig verspielt. Programmatisch inzwischen als Anhängsel auf Unionskurs, wird sie im Bundestag nicht mehr gebraucht. Das hat den Freidemokraten der von ihnen umworbene und geförderte Merz am Ende ins Album geschrieben ("verlorene Stimmen"). Die Anhängsel-Strategie von Lindner & Co ist gescheitert. Was solls?
Zu Schwarz-Gelb wird es ohnehin nicht reichen.

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– Olaf Scholz, schreibt Holger H. Lührig in seinem Herausgeber-Kommentar über das Ende der Ära Scholz. Der Kanzler sei der Fehleinschätzung über die Mär des FDP-Chefs Christian Lindner unter dem Motto "Besser nicht regieren als falsch zu regieren" aufgesessen. Falsch war die Einschätzung darauf zu vertrauen, dass die in Koalitionsbrüchen erfahrenen Freien Demokraten (1966, 1972, 1982, 2024) es "nicht wieder tun" würden und jetzt gewillt gewesen seien "gut zu regieren".

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