KOMMENTAR
Herausgeber des zwd-POLITIKMAGAZINS
Erinnern wir uns an 2017: Gewählt wurden damals, am 24.09.201, nicht eine GroKo, sondern sieben Parteien in den Bundestag. Die CDU/CSU versuchte es statt mit einer Fortsetzung der GroKo, mit FDP und Grünen eine Jamaika-Koalition zu bilden – gescheitert an Christian Lindner und damit an der FDP. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sorgte dann dafür, dass seine Genoss:innen aus der SPD in Wahrnehmung staatspolitischer Verantwortung in die eigentlich ungewünschte GroKo unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 7. Februar 2018 zurückkehrten.
Erinnern wir uns nun an 2021: Gewählt wurden am 26. September2021wiederum sieben Parteien in den Bundestag, wobei CDU/CSU ohne Chance blieb, als zweitstärkste Partei die Regierung weiterzuführen. Ein Dorn im Stachel, den sie nie verwunden hat und der in vielfältigem Miesmachen der jetzigen Regierung ihren Ausdruck gefunden hat. Sie musste nach 16-jähriger Herrschaft unter Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Aufgabe der SPD als stärkster Partei überlassen. Die Fortsetzung der GroKo war in der Öffentlichkeit und insbesondere bei den bisherigen Koalitionspartnerinnen in Verruf gekommen. Es galt, viele Bremsklötze, die die gesellschaftliche Entwicklung und den über Jahrzehnte verschleppten Modernisierungsbedarf blockiert hatten, durch die Bildung einer neuen Koalition – SPD, Grüne, FDP, genannt die Ampel – zu beseitigen. Diese Koalition ist schließlich an der langjährigen Blockadepolitik der FDP als selbsternannte Opposition innerhalb der Ampel-Regierung, vor allem an ihrem Chef Christian Lindner, gescheitert. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinem als Führungsschwäche ausgelegtem Bemühen, um fast jeden Preis die Ampel zusammenzuhalten, statt frühzeitig gegenüber der FDP Klartext zu reden, zu den schlechtesten Bewertungen in der Öffentlichkeit beigetragen hat, soll nicht unerwähnt bleiben. Das Wahlvolk war genervt und müde. Aber wollte es schon jetzt, im Winter neu wählen?
Mit Neuwahlen eine starke, handlungsfähige Regierung?
Schnell war, nach dem Bruch der Ampel, der Ruf nach Neuwahlen bei den Beteiligten laut. Damit wurde die Verheißung propagiert, es müsse durch das Wähler:innen-Votum ein neues Mandat für eine starke handlungsfähige Bundesregierung und Mehrheit erteilt werden. Doch diese Annahme ist trügerisch und wie mit Blick auf die aktuellen Wahrprognosen deutlich wird, mehr als fragwürdig. Dass es eine stabile Regierung geben könnte, ist keinesfalls sicher. Ja nicht einmal, dass es ohne ein problematisches Dreierbündnis gehen könnte (wobei die CDU/CSU-Spitzen Bündnisse mit BSW und „diesen“ Grünen ausgeschlossen haben). Ist ausgeschlossen, dass sich die SPD, falls die aktuellen Ergebnisse von Sonntagsfragen für die Partei ein desaströses Bundestagswahlergebnis (Stand 11.11.2024) widerspiegeln, einer Mitwirkung an einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung verweigert? Dann bliebe Friedrich Merz nur eine Minderheitsregierung und damit eine Neuauflage des von ihm und der CDU sowie CSU der Ampel angelasteten Chaos. Oder Merz müsste mit einer Tolerierung durch BSW und AfD arbeiten, was die Union mit Merz schnell ins politische Aus befördern würde. Seiner Hoffnung, mit FDP-Lindner als erneutem Bundesfinanzminister eine schwarz-gelbe Regierung bilden zu können, hat CSU-Chef Söder schon eine Absage erteilt. Es hat offenbar wenig genützt, dass Lindner mit seinem politischen Schwenk zu seinem Hochzeitspartygast Friedrich Merz mit unionsnahen Positionen die Ampel bis zum Aus strapaziert hat. Auch nach dem Ampel-Bruch dümpelt die Partei deutlich unterhalb der 5-Prozent-Hürde (warum sollten Wähler:innen eine Partei wählen, die sich mit unionsnahen Programmen präsentiert? Dann doch lieber gleich das Original…).
Der Schaden für die Demokratie in unserem Lande könnte nicht größer sein, wenn die Wähler:innen die postulierte starke Regierung gar nicht erst mit dem Stimmzettel erlauben würden. Denkbar ist, dass die beiden unbeliebten Kanzlerkandidaten so viel Verdruss bei der Wählerschaft erzeugen, dass diese auf den Stimmzetteln ihren Frust über die etablierten demokratischen Parteien zum Ausdruck bringen und so diffuse Mehrheitsverhältnisse zugunsten rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien schaffen könnten.
Dieses Szenario kann natürlich auch bei den regulär für den 25. September geplanten Bundestagswahlen eintreten. Wohl aber hätten die demokratischen Parteien bis dahin die Chance, die Perspektiven Deutschland einmal seriös zu diskutieren und dem Wahlvolk plausibel zu präsentieren, was mit einer Stärkung der demokratischen Parteien anstelle eines Schwenks ins rechtsaußen-Lager möglich ist.
Meinungsumfragen widerspiegeln nur Stimmungen und keine Wahlerstimmen auf Stimmzetteln
Doch darum geht es Friedrich Merz nicht. Er hofft auf das Momentum, dass die Union dank der Ampel-Zankereien seit langem in Sonntagsfragen über 30 Prozent Wählerzustimmung bekommt. Freilich sind Stimmen in Meinungsumfragen nur Stimmungen. Und die könnten schnell kippen. Insofern sorgt sich Merz natürlich auch, dass im Zuge eines echten Wahlkampfs, der sich nicht nur in demagogisch-populistische Parolen (Schlechtreden des politischen Gegners und der vorzeigbaren Ampel-Leistungen sowie Ängste in der Bevölkerung zu schüren) erschöpft, die Zustimmung zu seinen eher rückwärtsgewandten Partei- und insbesondere Wirtschaftsprogrammen bröckeln könnte. Aus Wahlkämpfen, die Ängste der Bevölkerung mobilisieren, hat die Union zwar schon häufiger profitiert (Adenauer warnte vor dem Untergang des Abendlandes, wie jetzt die CDU mit der angeblichen Flut der irregulären Migration), Die Union (und auch die FDP wie ebenso AfD und BSW) rechnet darauf, dass jetzt das jetzige Scheitern der Ampel vielen Wähler:innen bei einer Februar-Wahl noch vor Augen steht. Je länger der Wahltermin ins neue Jahr gerückt wird und andere und neue Themen auf die Agenda rücken, desto größer ist die Gefahr für den CDU-Chef, auf dem Weg zum Kanzleramt zu stolpern.
Minderheitsregierung ist besser als eine monatelange Hängepartie nach einer Wahl
Doch ist das Szenario eines schnellen Winterwahlkampfs wirklich zwingend geboten? Nein.
- Auch die jetzige Minderheits-Bundesregierung kann aktuell und muss vermutlich auch noch weiterhin die nächsten Monate die Interessen Deutschlands auf dem internationalen Parkett gut vertreten.
- Der Bundestag hat eine ausreichende demokratische Mehrheit, um sich über die wesentlichen Gesetze für die Zukunft Deutschlands und Europas zu verständigen.
Die Unionsparteien müssten es nur wollen. Wer sich dieser Aufgabe jedoch aus wahltaktischem Kalkül verweigert, muss damit rechnen, bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden. Zudem liefert ein solches Blockadeverhalten den Parteien am rechten Rand den „Beweis“, dass das etablierte demokratische Parteiensystem nicht mehr die Kraft hat, konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Eine Minderheitsregierung wird so lange im Amt bleiben, bis eine neue handlungsfähige Regierung gebildet ist. Das kann sich, falls im März gewählt werden sollte, bei komplizierten Mehrheitsverhältnissen bis in den Sommer hinziehen. Schon jetzt warnte der Vorsitzende des Bundestagshaushaltsausschusses Helge Braun (CDU) davor, dass der nächste Haushalt möglicherweise erst nach der parlamentarischen Sommerpause 2025 verabschiedet werden könnte – mit negativen Folgen für die Menschen (insbesondere die Rentner:innen sowie Abbau der kalten Progression), für die Wirtschaft und die Infrastruktur (Bahn, Digitalisierung, Bürokratieabbau), die schon ausreichend beschrieben sind.
Der Bundespräsident ist gefordert
Manche Parteien müssen vielleicht zur politischen Vernunft gemahnt werden. Hier kommt die Rolle des Bundespräsidenten ins Spiel. Der ist überhaupt nicht gezwungen, nach einem Misstrauensvolum den Bundestag vorzeitig aufzulösen. Seine Aufgabe wäre vielmehr – zumindest zunächst – ernsthaft, den verantwortlichen Politiker:innen ins Gewissen zu reden und sie dazu zu bewegen, Neuwahlen mit höchst ungewissem Ausgang zum jetzigen Zeitpunkt aufzuschieben.
Nicht zuletzt hat Deutschland die wichtige Aufgabe, sich in der ungewissen Weltlage auf der Basis eines möglichst übergreifenden Konsenses der demokratischen Parteien zu positionieren, statt sich in einem Winterwahlkampf mit ungewissem Ausgang zu verschleißen. Wäre es nicht die Aufgabe Steinmeiers, so wie er sie 2017/18 verstanden hat, die Union zur Mitwirkung an der Bildung einer regierungsfähigen Übergangsregierung bis zur regulären Bundestagswahl am 25. September zu drängen? Wo bleibt beispielsweise im Sinne von 2017/18 der Appell an die Union, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen, anstatt wahltaktische Spielchen zu betreiben? Der Bundespräsident könnte von den Parteien verlangen, erst einmal zu versuchen, eine neue Bundesregierung zu bilden.
Zweifellos wäre denkbar, dass eine von SPD und Union im Konsens geführte Übergangs-Bundesregierung auch ein Modell für eine nach der Bundestagswahl neu zu etablierende Bundesregierung abgeben könnte. Der Beweis könnte von den Akteuren in den nächsten Monaten erbracht werden. Warum also überstürzte Neuwahlen?