2023 wurde nur ein Drittel aller Frauenhausplätze an Schutzsuchende aus dem eigenen Landkreis vergeben – 18 Prozent weniger als noch vor 10 Jahren, berichtet der Verein Frauenhauskoordinierung in seiner Frauenhaus-Statistik 2023. Ein Fünftel der Frauen, die in Frauenhäusern Schutz fanden, zog dafür sogar in ein anderes Bundesland. Laut dem Verein, der als Dachverband für 275 Frauenhäuser und 300 Beratungsstellen deutschlandweit agiert, ist ein Umzug über solche Distanzen problematisch, da Frauen ihrem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis nicht weiter nachkommen könnten. Das könne schon während dem Aufenthalt im Frauenhaus zu finanzieller Unsicherheit führen, denn jede vierte Frau hätte 2023 ihren Aufenthalt teilweise oder vollständig selbst bezahlen müssen. Von den vorher erwerbstätigen 23 Prozent Frauen können laut FHK-Statistik im Frauenhaus nur noch 13 Prozent der Frauen ihrer Arbeit nachgehen.
„Nur mit einem Rechtsanspruch auf kostenfreien Zugang zu Unterstützung können wir verhindern, dass Frauen sich aus finanzieller Not gezwungen sehen, in eine Gewaltbeziehung zurückzukehren, oder in prekäre Lebensverhältnisse gedrängt werden“, erklärte die FHK-Geschäftsführerin Sybille Schreiber. Tatsächlich kehren laut Frauenhaus-Statistik 16 Prozent der Frauen nach ihrem Aufenthalt zurück zu ihrem gewalttätigen Partner.
Infrastruktur unzureichend
Dabei ist ein Platz noch lange nicht gewährleistet: Laut FHK ist der nach Istanbul-Konvention festgelegte Bedarf an Frauenhausplätzen in Deutschland mit etwa 7.700 Plätzen gerade einmal zu einem Drittel gedeckt. Das reale Defizit ist deutlich größer: Weil ein Frauenhausplatz nie länger als ein halbes Jahr besetzt bleibt, standen laut der Statistik für das Jahr 2022 anstatt 14.000 sogar über 21.000 Frauen auf ihrer Suche nach Schutz vor Gewalt vor verschlossenen Türen – die Dunkelziffer könnte wegen unvollständiger Datenerhebung deutlich größer sein. Darüber hinaus legt der vom Bundeskriminalamt berichtete Anstieg an häuslicher Gewalt um beinahe 20 Prozent über die letzten fünf Jahre einen zukünftig wachsenden Bedarf an Frauenhausplätzen nahe.
Nahezu die Hälfte der 21.000 abgewiesenen Frauen hatten Kinder. Diese seien ebenfalls von häuslicher Gewalt betroffen – wenn nicht direkt, dann indirekt – und daher genauso angewiesen auf den Schutz von Frauenhäusern. 2023 waren es laut FHK 61 Prozent aller Frauen in Frauenhäusern, die zusätzlich zu sich selbst Platz für mindestens ein Kind benötigten. Auf jede Frau in einem Frauenhaus kämen 1,1 Kinder. Knapp die Hälfte davon seien zwischen 1 und 6 Jahre, ein weiteres Drittel zwischen 6 und 12. Die Betreuung der Kinder wird laut Frauenhaus-Statistik beim Einzug ins Frauenhaus in allen Bereichen fernab der eigenen Mutter erschwert. Um eine Zusatzbelastung der Frauen zu verhindern, werde „deshalb für viele Frauen das Angebot des jeweiligen Frauenhauses für die Kinderbetreuung sehr relevant“, heißt es in dem Bericht.
Trotz einer vergleichbaren Statistik von Delikten häuslicher Gewalt in deutschen und nichtdeutschen Haushalten beziehen laut FHK besonders Frauen ohne deutsche Herkunft Schutz in Frauenhäusern. Der Bericht begründet das primär mit fehlenden sozialen Netzwerken und Ressourcen, die in anderen Fällen schutzbedürftige Frauen abfangen könnten. Die FHK spricht zudem von Problemen aufgrund bürokratischer Hürden: Wohnsitzauflagen könnten bei einem Mangel an Plätzen im zugewiesenen Wohngebiet die Finanzierung blockieren, wenn eine Frau ohne sichere Aufenthaltsberechtigung in ein weiter entferntes Frauenhaus umziehen müsse. „Die Gefahr besteht, dass Frauenhäuser Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus erst gar nicht aufnehmen, da hierdurch die eigene Finanzierung gefährdet ist bzw. ein sehr großer bürokratischer Mehraufwand damit zusammenhängt“, heißt es in der Frauenhaus-Statistik 2023.
FHK pocht auf Gewaltschutzgesetz
Im Koalitionsvertrag habe die Ampel ein Gewalthilfegesetz versprochen. Die FHK verlangt unter Hinweis auf die Befunde der diesjährigen Frauenhaus-Statistik in ihrem offenen Brief an die Regierung vom 19. September, dieses Versprechen endlich einzuhalten. Die Bundesregierung müsse „bestehende Zugangshürden und Ausschlussmechanismen abbauen“, die Finanzierung von Frauenhäusern absichern und einen bedarfsgerechten Ausbau von Schutzplätzen gewährleisten, um so ihrer Verantwortung gegenüber tausenden Frauen und Kindern nachzukommen, hieß es in dem Brief. FHK-Vorsitzende Schreiber verlangt, das Gewalthilfegesetz noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen: „Es ist an der Zeit, dass die Politik ihren Worten Taten folgen lässt und Opferschutz auch jenseits von Scheindebatten über elektronische Fußfesseln und Strafrecht ernst nimmt“.
Brandbrief des Deutschen Frauenrates
Der Deutsche Frauenrat drängte am 01. Oktober ebenfalls zur Durchsetzung der Versprechen, welche die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag gab. Sie erinnern an die enorme Menge an Femiziden: Jeden zweiten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem (Ex-)Partner getötet, weil sie eine Frau ist. Im Brandbrief des Frauenrats heißt es: "Wir bitten nicht, wir fordern. Im Namen all derer, die bisher ungehört
blieben und all derer, die der Gewalt bereits zum Opfer gefallen sind.
Die Zeit des Handelns ist jetzt!"
GFMK sieht neue Wege der Gewalt durch unkontrollierte Folgen der Digitalisierung
Auf ihrer Jahreskonferenz 2024 hat sich die Gleichstellungs-. und Frauenminister:innen-Konferenz (GFMK) am 14. Juni in Ludwigsburg für eine finanzielle Stärkung von Frauenhäusern ausgesprochen. Die GFMK warnte vor neuen Formen der Gewalt durch die Digitalisierung: Spyware und Tracker erleichtern Stalking und Gewalttaten. Cyberstalking über spezielle Technik, aber auch simpel über Social Media, gefährdeten die Sicherheit von Frauen, aber auch Gewaltschutzräume als solches, denn deren Anschrift müsse aus Sicherheitsgründen stets geheim bleiben. Im Jahre 2022 wurden laut GFMK über 21.000 Fälle von Stalking polizeilich erfasst. Es laufen aktuell mehrere Initiativen zur Aufklärung gegen diese digitale Bedrohung, darunter ein Pilotprojekt des FHK e. V.