CORONA-EPIDEMIE : Fahrplan durch das Abitur: Wie reagieren die Länder auf die Krise?

16. April 2020 // Ulrike Günther

Gemäß der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz (KMK) zu den Schulprüfungen in der Corona-Krise soll das Abitur bundesweit stattfinden. Die meisten Länder haben die schriftlichen Prüfungen auf einen Termin nach den Osterferien gelegt. Über die Gründe sind sich die Bildungsminister*Innen weitgehend einig, Unterschiede gibt es vor allem bei den konkreten Abläufen und Zeitplänen im Einzelnen.

Schüler*innen bereiten sich auf das Abitur vor - Bild: PxHere
Schüler*innen bereiten sich auf das Abitur vor - Bild: PxHere

zwd Berlin. Schleswig-Holstein hat die ersten Abiturklausuren nach einem gescheiterten Vorstoß von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) im Landeskabinett, die Prüfungen zur Hochschulreife diesmal ganz ausfallen zu lassen, nun doch wie geplant auf den 21. April angesetzt. Das gab Prien im Anschluss an die telefonische KMK-Sitzung im März bekannt, nachdem das Gesundheitsministerium für Abiturprüfungen im laufenden Schuljahr grünes Licht gegeben hatte - vorausgesetzt, dass gewisse Regeln zum Schutz vor der gefährlichen Infektion eingehalten würden.

Planungssicherheit und gleichwertige Zeugnisse als Ziele

Bei den Bundesländern, die ebenfalls mit dem Abitur noch im April beginnen – die Stadtstaaten, Brandenburg und Sachsen – stehen Sicherheit für die Schüler*innen, gleichwertige Zeugnisse und Gesundheitsschutz als Motive für die straffe, wenn auch gegenüber den ursprünglichen Fristen leicht verzögerte Planung im Vordergrund. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) zielt mit seinem um nur eine Woche verschobenen Abiturkalender darauf ab, den Gymnasiast*innen, soweit wie in der angespannten Lage machbar, „größtmögliche Sicherheit“ zu bieten.

Angesichts der in diesem Jahr „schwierigen Bedingungen“ kündigte Rabe an, der Stadtstaat werde den Bedürfnissen der Schüler*innen durch ein Angebot von zahlreichen Nachschreibe- und Ausgleichsterminen sowie eine verlängerte, von den Lehrkräften sachkundig begleitete Vorbereitungszeit „weit entgegenkommen“. Abiturzeugnisse auszustellen, ohne dass die Schüler*innen zuvor Prüfungen absolviert hätten, hält Rabe nicht für die richtige Lösung. Jahrelang müssten die Absolvent*innen dann „mit dem Makel leben, nur ein Abitur zweiter Klasse erreicht zu haben“, rechtfertigte der Senator den von der Hansestadt eingeschlagenen Weg. Außerdem sei nicht geklärt, ob ein in dieser Art eingeschränktes Abiturzeugnis bundesweit und innerhalb Europas genauso wie ein reguläres Schulabgangszeugnis der gymnasialen Oberstufe anerkannt werde.

Einen Tag später als die Hamburger Schüler*innen fangen die sächsischen Abiturient*innen (22. April) mit den schriftlichen Prüfungen an, wie ursprünglich vorgesehen. Das Land Sachsen sei vor allem daran interessiert, dass die Jugendlichen ein „qualitativ hochwertiges und vollumfänglich anerkanntes Abitur“ machen können, erklärte der Kultusminister Christian Piwarz (CDU) in einem Brief an die Schüler*innen. Piwarz ist der Meinung, dass ein „Durchschnittsabitur“ oder ein behelfsmäßiges „Notabitur“ keine guten Optionen darstellen. Bei einem ohne Prüfungen abgelegten Abitur befürchtet der sächsische Kultusminister wie der Hamburger Bildungssenator Rabe „erhebliche Risiken“ für den zukünftigen Lebensweg der Schüler*innen. Um in den schwierigen Zeiten eine verlässliche Prüfungsvorbereitung zu gewährleisten, treten nach seinen Angaben die Jugendlichen mit Kursleiter*innen und Tutor*innen in Kontakt, um Unterrichtsstoff zu erarbeiten oder zu wiederholen.

Rücksicht auf die Gesundheit der Schüler*innen ist wichtig

Die Berliner und Brandenburger Bildungsverwaltungen stellen die Rücksicht auf die Gesundheit der Schüler*innen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Gespräche mit den Schulleitungen hätten gezeigt, „dass uns alle die Sorge um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler und das Risiko der weiteren Ausbreitung des Virus umtreibt“, hob die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hervor. Berlin hatte den Beginn der schriftlichen Abiturprüfungen um knapp einen Monat auf den 20. April verschoben. Der Senat begründete den Schritt mit der seit Ende März geltenden Kontaktsperre und dem Verbot von öffentlichen Menschenansammlungen mit mehr als zehn Personen. Viele Jugendliche seien sich „der Ernsthaftigkeit der Lage noch nicht bewusst“, heißt es vonseiten der Senatsverwaltung. Daher könne man bei einer Prüfung zu einem früheren Zeitpunkt während der Epidemie trotz bereits getroffener Vorkehrmaßnahmen zum Einhalten des geforderten Mindestabstandes nicht verhindern, dass die Schüler*innen Gruppen bildeten, um sich nach den Prüfungen miteinander austauschten.

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) geht es bei ihrer Prüfungsplanung insbesondere um die „Gesundheit und die weitere berufliche Entwicklung unserer Abiturientinnen und Abiturienten“. Gleichzeitig möchte Ernst sicherstellen, dass die Gymnasiast*innen mit dem Schulabschluss ein „gleichwertiges Abitur“ erwerben. Brandenburg stellte seinen Schulen frei, ob sie den Beginn der Prüfungsklausuren, wie zuvor festgelegt, wie Berlin für den 20. April oder an einem der offiziellen Nachtermine am 18. bzw. 29. Mai ansetzen wollen. Vergleichbar damit stehen in Bremen den Schüler*innen zwei Haupttermine im April bzw. im Mai zur Auswahl, zu denen sie ihre Abiturklausuren im Ganzen schreiben können. Da die weitere Entwicklung der Corona-Krise schwierig im Voraus einzuschätzen ist, sind die Bremer Schulen vom Senat dazu angehalten, den Gymnasiast*iinnen den ersten Haupttermin zu empfehlen. Zu diesem Zeitpunkt erkrankte Jugendliche sollen den zweiten Haupttermin als Nachschreibetage nutzen.

Abiturklausuren in Hessen und Rheinland-Pfalz schon vor der Krise

Hessen und Rheinland-Pfalz haben hingegen die diesjährigen Prüfungen zur Hochschulreife schon teilweise oder ganz hinter sich. In Hessen starteten die Abiturklausuren der Corona-Krise zum Trotz wie geplant am 19. März, die letzte Prüfung aus dem Zeitraum der Haupttermine wurde am 02. April im Fach Biologie geschrieben. Kultusminister Prof. Alexander Lorz (CDU) zeigte sich mit dem Ablauf der Prüfungen zufrieden. Zwar hätten die ungewohnten Verhältnisse die Schulen vor „große Herausforderungen“ gestellt und von den Prüflingen auch „psychisch einiges verlangt“. Dennoch sei es nach Aussagen von Lorz „in einer gemeinsamen Kraftanstrengung“ dem Land gelungen, das Abitur „ohne nennenswerte Zwischenfälle“ durchzuführen. Der Kultusminister bewertet sein Vorgehen als „richtige Entscheidung“. Sie habe den jungen Menschen ermöglicht, die Prüfungen zu dem Zeitpunkt zu schreiben, auf den hin sie sich schon vorbereitet hatten.

In puncto System der höheren Schulbildung mit überwiegend G9-Gymnasien mit verkürztem 13. Schuljahr bundesweit ein Sonderling, hat Rheinland-Pfalz schon im Januar, noch vor Beginn der Corona-Krise, mit den Abiturklausuren angefangen. Nachtermine gab es für die Schüler*innen Mitte Februar. Die mündlichen Prüfungen fanden wie geplant unter Einhaltung bestimmter Abstandsregeln vom 16. bis 30 März statt. Lediglich für die Schüler*innen an den wenigen G8-Gymnasien mit zwölf Schuljahren sowie an Kollegs und Beruflichen Gymnasien starten die Abiturprüfungen erst am 30. April.

Länder wollen faire Bedingungen und Chancen gewährleisten

Faire Prüfungsbedingungen und gerechte Chancen für alle Schüler*innen nannten mehrere Bundesländer als Gründe für die Entscheidung, die Abiturtermine um einige Wochen nach hinten bis zum Monat Mai zu verschieben. „Oberstes Ziel ist, dass alle faire Bedingungen für ihre Abschlussprüfungen bekommen“, sagte die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Die Schüler*innen sollen genügend Zeit (bis zum 18. Mai) haben, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Ähnlich äußerten sich Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (CDU) und der Bildungsminister von Sachsen-Anhalt Marco Tullner (CDU) (Starttermin ist der 20. bzw. 04. Mai). Tullner legt Wert darauf, dass „alle Schülerinnen und Schüler einen fairen Zugang zu den Abschlüssen erhalten“.

Die baden-württembergische Kultusministerin Eisenmann vermutet, dass die Jugendlichen wegen der geschlossenen Schulen „ohne eine Verschiebung der anberaumten Prüfungstermine nicht über die nötigen Voraussetzungen für die Prüfung verfügen“. Ihrer Ansicht nach stellt die aktuelle, stark veränderliche Situation eine „besondere Belastung“ für alle Beteiligten dar, weshalb die Schüler*innen beunruhigt auf die anstehenden Prüfungen blickten. Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen möchten ihren gymnasialen Schulabgänger*innen ebenfalls eine ausreichende Vorbereitungszeit zu Hause gönnen.

Abiturient*innen brauchen angemessene Vorbereitungszeit

Das nordostdeutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat deshalb die Abiturklausuren um mehr als einen Monat auf den 11. bis 30. Mai verlegt. Auf diese Weise müssten sich die Jugendlichen „keine Sorgen um ihre Prüfungen machen“, betonte die Bildungsministerin Bettina Martin (SPD). Man werde „flexible Lösungen und Wege“ für die jungen Leute finden, damit sie noch im laufenden Schuljahr ihre Abschlüsse machen könnten. Dazu werde ihr Ministerium die in das Prüfungsgeschehen eingebundenen Lehrkräfte „voll freistellen“, so dass sie sich ganz dieser Aufgabe widmen könnten.

Zu viel Stress für die Prüflinge will offenbar das Land Thüringen vermeiden. Denn das schriftliche Abitur, wie zuvor geplant, zehn Tage nach dem voraussichtlichen Wiederöffnen der Schulen am 20. April durchzuführen, könne man laut Bildungsminister Helmut Holter (Die Linke) „in dieser außerordentlichen Situation niemandem zumuten" (Klausuren ab dem 08. Mai). Das Land Niedersachsen, wo das schriftliche Abitur am 11. Mai beginnen soll, setzt wie Hamburg und Sachsen auf Planungssicherheit, wobei dem Kultusminister Grant Hendrik Tonne (CDU) zufolge allerdings der Schutz der Jugendlichen vor Ansteckung und eine ausreichende Vorbereitungszeit zu gewährleisten seien.

Tonne sieht es als den “richtigen Weg“ an, alles dafür zu unternehmen, die Prüfungen in der Krise stattfinden zu lassen, sie aber dennoch zeitlich hinauszuschieben. Damit reagiere sein Ministerium auf die Sondersituation mit geschlossenen Schulen und ausfallendem Unterricht. Falls der neue Terminplan wegen neuer Entwicklungen nicht einzuhalten ist, würden die Prüfungen aber „ersatzlos abgesagt“ und das Abitur auf der Grundlage der Leistungen der vorausgegangenen Schulhalbjahre erteilt. Noch mehr Verschiebungen seien für ihn „kein gangbarer Weg“, unterstrich Tonne. Das Bildungsministerium von Nordrhein-Westfalen hat im Zuge der Corona-Epidemie die schriftlichen Abschlussprüfungen an den Gymnasien, Weiterbildungskollegs und Waldorf-Schulen um drei Wochen auf den Zeitraum vom 12. Mai bis 25. Mai verlegt, während die Schüler*innen des Saarlands ihre Prüfungen erst ab dem 25. Mai schreiben.. Alle sollen dadurch „faire Chancen, genug Ruhe und Vorbereitungszeit“ bekommen, erklärte die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) ihren Abitur-Fahrplan. Damit niemandem Nachteile aus der Ausnahmesituation entstehen, seien „pragmatische Lösungen“ notwendig, die man laut Streichert-Clivot „mit pädagogischem Augenmaß“ umsetzen müsse.

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