29. BAFÖG-ÄNDERUNGSGESETZ - 2./ 3. LESUNG : Gesetzentwurf verbessert – SPD: BAföG schuldenfrei machen

15. Juni 2024 // Ulrike Günther

Höhere Bedarfssätze, Wohnpauschale, Freibeträge für Nebenjobs – die neue BAföG-Reform verbessert die Förderhilfen für Studierende, die Koalition hat die befürchtete „Nullrunde“ abgewendet. SPD und Grüne streben regelmäßige Anpassung und Schuldenfreiheit an. Linke, GEW und Studierende kritisieren die Anhebung der Beiträge als zu gering, fordern armutsfeste Förderhilfen auf Bürgergeld-Level und einen Vollzuschuss.

Viele Studierende leben in prekären Lebensverhältnissen.  -  Bild: Wikimedia/ Thomas Skowron
Viele Studierende leben in prekären Lebensverhältnissen. - Bild: Wikimedia/ Thomas Skowron

zwd Berlin. Die hochschulpolitische Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Lina Seitzl sieht die BAföG-Reform im Rahmen von Bildungs-Investitionen der Koalitionsregierung zugunsten von „Chancengerechtigkeit“ und „Zukunftsfähigkeit“ im Land. Laut Seitzl machen die bisherigen/ BAföG-Änderungen in dieser Legislaturperiode die Studienhilfe „inklusiver, moderner und gerechter“. Neben der nochmaligen Erhöhung der Elternfreibeträge (um insges. 5,25 Prozent) hob die SPD-Politikerin in der Parlamentsdebatte am 13. Juni die bereits im Regierungsentwurf (Drs. 20/ 11313) verankerte Studienstarthilfe für sozial schwache Erstakademiker:innen von 1.000 Euro hervor, mit der sich Anschaffungskosten für Laptops oder Umzüge am Studienbeginn bestreiten ließen.

SPD: Neue Vorgaben erkennen Studienrealität an

Mit neuen BAföG-Vorgaben, wie dem Flexibilitätssemester für finanzielle Förderung über die Höchstdauer hinaus und einem Semester mehr Zeit (bis zum beginnenden 4. Halbjahr) für Fachrichtungswechsel würden „Studienrealitäten anerkannt“, so Seitzl. Von den im Bildungsausschuss erwirkten Änderungen (Drs.20/ 11815) nannte die Bildungspolitikerin das automatische Anpassen der erlaubten Nebeneinkünfte von Student:innen an die Höchstgrenze geringfügiger Beschäftigungen, die steigenden Fördersätze (auf max. 992 Euro) und die angehobene Wohnkostenpauschale (auf 380 Euro). Trotz der schwierigen Haushaltlage habe man auch bei der aktuellen BAföG-Reform eine - aufgrund des Referentenvorschlags befürchtete -„Nullrunde entschieden abgewehrt“. Darüber hinaus werde der Antrag durch vereinfachte, digitalisierte Formulare moderner. Um das Verfahren weiter zu beschleunigen und „die E-Akte flächendeckend“ einzuführen, müssten nun die Bundesländer ihrer Verantwortung gerecht werden. Gemäß Beschlussempfehlung (Drs. 20/ 11815) stimmte der Bundestag mit der Mehrheit von SPD, Grünen und FDP für den geänderten Gesetzentwurf, die zur Sitzung u.a. von Union (Drs. 20/ 11375) und Linken (Drs. 20/ 10744) eingebrachten Anträge wurden abgewiesen.

Grüne: BAföG braucht Anpassungsmechanismus

Die grüne Obfrau im Bildungsausschuss Laura Kraft lobte die Änderungen bei der Studienhilfe als „das größte BAföG-Reformpaket“, das man bis jetzt aufgelegt habe. Um „Bildung für alle“ zu erreichen, müsse man das unabhängig von den Finanzverhältnissen der Eltern ermöglichen, wozu die BAföG-Reform „wesentliche() Verbesserungen“ beitrage. Mit den Neuregelungen schaffe die Koalition mehr Chancen, baue Hürden ab, unterstrich auch der grüne Bildungs-Ausschuss-Vorsitzende Kai Gehring. Das BAföG sei damit „ein Startkapital und eine Bildungsleistung“, warb er für die reformierte Förderung. Angesichts der monetären Problemlagen vieler Student:innen habe die Koalition auch die ursprünglich vorgesehene Erhöhung des Darlehensanteils wieder zurückgenommen, betonte Kraft. Studierende bräuchten in dieser Situation „nicht mehr Schulden, sondern (…) einen auskömmlichen Lebensunterhalt“. Die Grünen-Abgeordnete machte jedoch deutlich, dass der Reformprozess noch nicht abgeschlossen, das BAföG stattdessen weiterzuentwickeln sei.

Wie der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Oliver Kaczmarek monierte sie, auch ein „Anpassungsmechanismus“ (für die Beiträge) hätte in das Änderungsgesetz gehört. Kaczmarek rechtfertigte die Reform als erforderlich, da es in vorherigen Jahren bloß Angleichungen (von Bedarfssätzen), keine strukturellen Neuerungen gegeben habe. Als „Fortschritt“ stellte der Bildungspolitiker heraus, dass man Impulse aus früheren Wahlperioden, wie die Studienstarthilfe und die erweiterte Förderhöchstdauer, wirklich im Gesetz festgeschrieben habe. Dennoch würden sich die Sozialdemokrat:innen weiter für „die Reduzierung und perspektivische Abschaffung des Darlehensanteils“ beim BAföG einsetzen. Es müsse möglich sein, die Studienhilfe „schuldenfrei in Anspruch“ zu nehmen.

FDP: BAföG sollte zielgerichteter sein

Die bildungspolitische Sprecherin der Liberalen Ria Schröder bezeichnete eine „wissenschaftliche Evaluation“ sowie ein stärker zielgerichtetes, elternunabhängiges BAföG als ergänzende Anliegen, an denen die FDP-Fraktion künftig arbeiten werde. Die Unionspolitikerin Katrin Staffler bemängelte, bei den Regelungen handle es sich nicht um die im Koalitionsvertrag geplante „ernsthafte strukturelle BAföG-Reform“, sondern primär um „marginale Nachbesserungen“ des Referentenentwurfs. Den benötigten Abbau von „Bürokratie im BAföG-Beantragungsverfahren“ habe die Koalition offenbar nicht berücksichtigt. Staffler fand es nicht akzeptabel, dass Studierende die Anträge auf BAföG und Studien-Starthilfe gesondert stellen müssten, was den Verwaltungsaufwand zusätzlich vergrößere, anstatt beide in einem Prozess zu kombinieren. In dem zur Ausschusssitzung am Vortag eingebrachten Änderungsantrag der Union (Drs.20/ 11822) schlägt diese u.a. vor, das gesamte Verfahren inklusive Bearbeitung bis auf Ausnahmefälle komplett zu digitalisieren und die Frage der Studienstarthilfe in das allgemeine Formular zu integrieren.

Linke: BAföG armutsfest machen

Wie schon der freie zusammenschluss der student*innenschaften (fzs) in früheren Stellungnahmen bezog sich die linke Bildungspolitikerin Nicole Gohlke in der Debatte auf die erheblichen Armutsquoten unter Studierenden - nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (auf Basis von Zahlen des Statistischen Bundesamtes/ Destatis) 2023 durchschnittlich 35,5 Prozent (Gesamtbevölkerung: 14,4 Prozent). Durch den hohen Darlehensanteil führe das BAföG die Student:innen erst recht in diese prekäre Lage hinein, da es „nicht armutsfest“ sei. Die von der Koalition vorgenommenen Änderungen bedeuten aus Sicht von Gohlke keine „echte Strukturreform“, die Aufschläge bei Bedarfssätzen und Wohngeldpauschalen stellten keine hinreichenden Hilfen dar. Außerdem beanstandete die Linken-Politikerin, dass Schüler:innen im Gesetzentwurf „überhaupt keine Rolle“ spielten, obschon die Anzahl von BAföG-Empfänger:innen, die Schulen besuchen, innerhalb von zehn Jahren stark gesunken sei, Destatis zufolge von ca. 308 300 Geförderten 2012 um fast 46 Prozent (auf rund 140.870).

GEW: "Soziokulturelles Existenzminimum“ garantieren

Wie ihre Linken-Gruppe in dem ebenfalls zur Ausschusssitzung vorgelegten Entschließungsantrag (Drs. 20/ 11823) und weiteren Vorschlägen (Drs. 20/ 10744), das BAföG „existenzsichernd und krisenfest“ zu gestalten, verlangte Gohlke, die Studienhilfe wieder in einen Vollzuschuss umzuwandeln. Kritik kam anlässlich der Parlamentsabstimmung auch vonseiten der GEW, des Studierendenwerks (DSW) und der Student:innenverbände. Die GEW rief die Koalitionsregierung „zu einer weiteren BAföG-Reform noch in dieser Wahlperiode“ auf. Die Gewerkschaft begrüßte zwar grundsätzlich, dass mit dem geänderten Gesetzentwurf BAföG-Fördersätze und Wohnpauschale um etwa 5 Prozent steigen. Doch wie das DSW merkte der Vize-Vorsitzende Dr. Andreas Keller an, dass auch der somit auf 475 Euro erhöhte BAföG-Grundbedarf das von der Regierung als „soziokulturelles Existenzminimum“ definierte Bürgergeld von monatlich 563 Euro weit unterschreite.

Keller verwies darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht die Höhe der Bedarfssätze für Grundgesetz (GG)-widrig hält und sie daher von der obersten Verfassungsbehörde überprüfen lässt. Die im GG verbürgten Rechte – auf Berufswahlfreiheit, ein „menschenwürdige(s) Existenzminimum()“- sowie das Sozialstaatsprinzip machten es unerlässlich, dass „das BAföG bedarfsdeckend ausgestaltet“ ist. Überdies seien die Beitrags-Sätze „regelmäßig in einem transparenten und nachvollziehbaren Verfahren“ anzupassen. Wie die Linken und der fzs trat der GEW-Vize für ein nicht rückzahlungspflichtiges BAföG als Förderzuschuss, das Wiedereinführen von Schüler:innen-BAföG für Chancengleichheit beim Übergang zur höheren Schulbildung und eine an tatsächliche Studienzeiten angepasste Förderdauer ein. Der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl bewertete die neue Wohnpauschale von 380 Euro anhand einschlägiger Vergleichsdaten als nicht zufriedenstellend: Der Orientierungswert der sog. Düsseldorfer Tabelle für Mietkosten betrage 410 Euro und die – vom Moses Mendelssohn Institut in einer Studie ermittelte - Durchschnittsmiete für WG-Zimmer auf dem Wohnungsmarkt 479 Euro.

Studierende: Fördersätze decken nicht „reale Bedarfe“

Demgegenüber kritisierte der fzs die erzielte BAföG-Einigung auch im Zusammenhang mit der Europawahl scharf, bei der unter jungen Wähler:innen ein hoher Anstieg von rechten und rechtsextremistischen Stimmabgaben zu beobachten gewesen sei. Die Regierung müsse aus den Ergebnissen die Konsequenz ziehen und „das BAföG stärken“, erklärte fzs-Vorstandsmitglied Niklas Röpke. Die Koalition habe „die Chance, studentische Armut zu beenden und jungen Menschen finanzielle Sicherheit zu bieten“. Zudem sollte das BAföG nach Auffassung von Röpke, wie von den Linken im Entschließungsantrag nahegelegt, „demokratisches Engagement ermöglichen und fördern“. fzs-Referentin Rahel Schlüssler missbilligte, dass die erhöhten Fördersätze die „realen Bedarfe“ der Studierenden nicht deckten, von der Starthilfe würden bloß 3 Prozent der Hochschüler:innen profitieren. In der vom Parlament vereinbarten Form sei das BAföG „kein ausreichendes hilfreiches Instrument im Kampf gegen die zunehmende studentische Armut“, resümierte Schüssler. Das BAföG-Änderungsgesetz tritt nach dem Willen der Koalitionsregierung zum Wintersemester bzw. Schuljahr 2024/ 25 in Kraft.

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