EHRENGAST FRANKFURTER BUCHMESSE : Italien: Literaturfreiheit und Frauenpolitik unter Meloni-Einfluss

16. Oktober 2024 // Lena Kuhn und Ulrike Günther

Italien präsentiert sich als Ehrengast auf der Buchmesse – Anlass für den zwd, einen Blick auf italienischen Feminismus und Frauenliteratur sowie Frauenpolitik unter der rechtspopulistischen Regierung zu werfen. Im Vorfeld des Messe-Beginns gab es eine heftige Kontroverse um die Auswahl der Delegation. Zahlreiche Autor:innen protestierten in einem offenen Schreiben gegen den Ausschluss regierungskritischer Stimmen.

Foto: Lena Kuhn
Foto: Lena Kuhn

zwd Berlin/ Frankfurt. Als Attraktion der diesjährigen Literaturveranstaltung mit über 200.000 erwarteten Besucher:innen scheint das deutsche Sehnsuchtsland, das wie schon 1988 als Ehrengast auftritt, besonders geeignet, als Sinnbild für Kultur, Vielfalt und freie Literatur zu stehen. Das facettenreiche, gemeinsam mit den Verlagen erarbeitete Programm gibt in dem als typische Piazza angelegten Ehrengast-Pavillon vom 16. bis 20. Oktober Einblicke in die moderne Italienische Literatur und Kultur. Den über 50 Lesungen, Diskussionsrunden und Gespräche umfassenden Veranstaltungsplan begleitet eine Liste mit mehr als 150 Neuerscheinungen von Belletristik, Grafik-, Kinder- und Sachbüchern in deutschsprachiger Übersetzung, darunter eine Menge feministische und Frauenliteratur. Doch dieses Jahr ist Italien als ein Land unter der rechtesten Regierung seit der Nachkriegszeit nach Frankfurt angereist, und viele italienische Autor:innen äußern sich besorgt, ob die Buchkultur unter diesen Bedingungen noch frei von politischer Einflussnahme sein kann.

Schriftsteller:innen kritisieren verstärkten politischen Einfluss auf Kultur

Hauptsächlich habe die öffentliche Diskussion, die gerade in Italien über die Buchmesse geführt wird, zum Inhalt, dass „die Regierung Melonis Autorinnen und Autoren als politische Subjekte angreift“, erklärte Autorin Birgit Schönau, Kennerin italienischer Kultur und Geschichte, die seit mehr als 30 Jahren im Land lebt, am Eröffnungstag gegenüber der ARD. Namentlich werde der derzeit in Italien wohl bekannteste Schriftsteller Roberto Saviano „ein bisschen behandelt (…) wie ein Dissident“. "Wir werden streiten – (…) aber immer im Sinne des demokratischen Austausches", hatte der Geschäftsführer der Buchmesse Juergen Boos noch bei seiner Rede zum Veranstaltungs-Start am Vortag (tagesschau) betont. Der offizielle Chef der italienischen Delegation Dr. Mauro Mazza beteuerte auf die Frage, welches Bild das Autor:innen-Team bei der 76. Frankfurter Buchmesse vermitteln will, zwei Tage vor Messebeginn im Interview mit NewsmadeinItaly ,„ein offenes, plurales Bild, reich an Worten und Bildern“.

Mazza, der im Juni 2023 von der rechtsnationalen Regierung Melonis zum Buchmessen-Sonderbeauftragten ernannt wurde, führte weiter aus, er denke „an Kultur als einen Dialog, ohne jeglichen Ausschluss, weder von Büchern noch von Autoren“. Politik sei früher gut darin gewesen „die Kultur in die Ideologien zu biegen, jetzt müssen wir die Politik mit der Kraft der Ideen erheben“. Das klingt in den Ohren seiner Gegner:innen fast schon zynisch, wenn man die scharfe Kritik, welche von Zensur und politischer Einflussnahme in Italien spricht, dem gegenüberstellt. Auf eine zwd-Anfrage, ob es bei der Auswahl italienischer Schriftsteller:innen für die Delegation Beeinflussung durch die Politik gegeben habe, antwortete der Italienische Verlegerverbund AIE einsilbig: „Nein“. 41 Schriftsteller:innen hatten im Mai einen offenen Brief an den Direktor der Messe Boos und den Präsidenten des AIE Innocenzo Cipolletta gerichtet. Anlass zur Thematisierung ihres „Unbehagen“ und der „bitteren Lage der italienischen Kultur“ war der Ausschluss des von der Mafia verfolgten Autors und Regierungskritikers Saviano aus der italienischen Delegation.

Kulturschaffende mahnen: Verhalten der Regierung ist inakzeptabel

Mazza rechtfertigte den Ausschluss mit den Worten, die Werke Savianos seien nicht originell genug. Ein darauffolgender öffentlicher Aufschrei veranlasste den Verlegerverband schließlich doch zu einer Einladung, die Saviano ausschlug. Der Brief der Autor:innen spricht davon, dass der Ausschluss zu offensichtlich sei, um kein vorsätzlicher Akt zu sein. Damit weisen die Verfasser:innen auf die große Sorge der Kulturschaffenden in Italien vor der Einflussnahme rechter Politik hin. Denn der „Saviano-Fall“ sei kein isoliertes Ereignis in Italien, schreiben die Schriftsteller:innen, sie hätten in den letzten zwei Jahren, in denen Melonis Regierung an der Macht ist, eine Reihe von Übergriffen unterschiedlicher Formen und Schwere beobachtet, welche einen immer drängenderen Willen zur Einflussnahme der Politik auf die Bereiche der Kultur zeigen.

Diese Einflussnahme äußere sich nicht nur in der systematischen Besetzung entscheidender Positionen in der Kultur nach politischer Loyalität, sondern auch in mehr oder weniger offensichtlichen Formen der Zensur, in persönlichen Angriffen, die darauf abzielen zu diskreditieren, und im rücksichtslosen Einsatz von Klagen gegen Kulturschaffende durch Personen in Machtpositionen, so der Brief. Einer der Unterzeichner:innen ist der Schriftsteller Antonio Scurati, welcher kürzlich vom italienischen Staatsfernsehen RAI ausgeladen wurde, bevor er seine Rede zum Tag der Befreiung vom Faschismus halten konnte. „All dies halten wir innerhalb des Europas, an das wir glauben, für inakzeptabel“, prangern die Autor:innen das Verhalten der Regierung an. „Und es ist unvereinbar mit einem gesunden Ausdruck der Demokratie.“

Im Dialog: Weibliches Erzählen und Geschlechter-Gewalt

Um Mauro Mazzas blumige Worte des „pluralen Bildes“, was Italiens Delegation auf der Messe vermitteln möchte, aufzugreifen: Zur Pluralität gehören nicht nur politische Diversität oder unterschiedliche Genres, sondern auch die Repräsentation von Stimmen unterschiedlicher Geschlechter. Andere Nationen nehmen sich dessen an und erstreben Parität innerhalb ihrer Delegation. So finden sich auf der Autor:innenliste des Gastlandes Slowenien im vorherigen Jahr 41 weibliche und 42 männliche Namen wieder. In Italien wurden dagegen 91 Schriftsteller:innen ausgewählt, 38 Frauen und 53 Männer. Schlussendlich ist die italienische Delegation mit einem 86-köpfigen Team, davon 35 weibliche Autor:innen (41,86 %), nach Frankfurt gereist. Diese Frauen-Schriftsteller:innen, ihre Bücher und Fragestellungen hat das zwd-POLITIKMAGAZIN besonders in den Fokus genommen

Zwei literarische Events richten das Augenmerk ausdrücklich auf Frauen- und genderbezogene Themen. Mit geschlechtsspezifischer Gewalt, dem Umgang der Literatur mit der bedrückenden, im gesellschaftlichen Alltag erschreckend relevanten Thematik und verschiedenen Herangehensweisen des Schreibens beschäftigen sich am 17. Oktober die Schriftstellerin Silvia Avallone, die in mehreren ihrer Bücher herausragend Frauenfiguren porträtiert, und die junge, im Kampf gegen Gewalt an Frauen engagierte Romanautorin Giulia Caminito (La grande A, dt. Das große A) in „Diese Art von Gewalt“. In „Was Frauen uns erzählen“ loten Melania Mazucco (L`architettrice, dt. Die Villa der Architektin), die für ihre Romane häufig weibliche Protagonist:innen wählt, und Annalena Benini, als erste Frau Direktorin der Salone Internazionale del Libro di Torino (Italienischer Büchersalon Turins), am Tag darauf die „weibliche Seite“ der über Jahrhunderte von Männern beherrschten Literatur und Kunst aus. Sie rücken die heute immer stärker das Interesse auf sich ziehenden Erfahrungen von Autorinnen und Künstlerinnen ins Zentrum, die im Laufe der Geschichte vielfach Konventionen kritisch hinterfragten und im Widerspruch zu ihrer Umgebung bedeutende schöpferische Leistungen erbrachten.

Ferrante-Effekt: Feministische Klassiker und neuer Aufschwung

Die sensationellen Erfolge, welche die Bestsellerautorin Elena Ferrante, die in ihrer Identität überwiegend anonym bleibt, vor allem mit der sog. Neapolitanischen Saga (2001-2014) erwarb, die von einer lebenslangen Freundschaft zweier Frauen handelt, haben internationale Aufmerksamkeit für die Literatur der Italienerinnen erweckt. Das hat zu Neuübersetzungen wiederentdeckter Klassikerinnen beigetragen und – ein von der New York Times als Ferrante-Effekt bezeichnetes Phänomen – den literarischen Aufstieg einer Reihe junger Schriftstellerinnen eingeleitet, die in vielen ihrer teilweise mit renommierten Preisen dotierten Bücher Frausein, weibliche Beziehungen und Lebensentwürfe thematisieren, gesellschaftliche Stereotype, Erwartungen und Geschlechter-Rollen herausfordern.

In seiner Ausgabe 404 stellt das zwd-POLITIKMAGAZIN im Nachgang zur Buchmesse namhafte Autorinnen, wie Italiens erste, unverhüllte feministische Schriftstellerin Sibilla Aleramo oder die sich in ihrem umfangreichen Prosawerk immer wieder Frauen- und Geschlechterfragen widmende Dacia Maraini, und junge, wirkmächtige Stimmen der modernen Frauenliteratur, wie Giulia Caminito, Helena Janeczek und Igiaba Scego, in Porträts, Interviews und Rezensionen vor. Darüber hinaus berichtet die Beilage über neuere Entwicklungen in der italienischen Frauenpolitik unter dem Einfluss der rechtsnationalistischen Meloni-Regierung, mit einem originalen Kommentar eines italienischen, gegen geschlechtsbezogene Gewalt eintretenden Frauenvereins, und über die Gleichstellungs-Situation im Land, über Errungenschaften, weiter bestehende Gender Gaps und Rückschläge.

zwd-Leser:innen können die Sonderbeilage zur Buchmesse der Digitalausgabe 404 hier herunterladen.












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