Die Vernachlässigung beginne bereits im Vorschulalter, schlussfolgert der Bildungsmonitor, den die Bildungsexpert:innen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter Leitung von Professor Axel Plünnecke im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellt haben. Nur 78% der Kinder migrantischer Herkunft besuchten 2022 einen Kindergarten - Tendenz sinkend. Bei Kindern deutscher Herkunft stand der Anteil bei vollen 100 Prozent. Unter Hinweis auf die letzte PISA-Studie stellt das Autorenteam des Bildungsmonitors kritisch fest, dass Kindern mit Migrationshintergrund seltener vorgelesen wird. Viele hätten keinen ruhigen Platz zum Lernen und kein Elternteil mit adäquaten Deutschkenntnissen. Die Schulen, die diese Kinder besuchten, seien überwiegend migrantisch besetzt – bei deutschen Kindern sei das deutlich seltener der Fall. Es fehle gedanklicher Austausch – Kinder mit Migrationshintergrund blieben „unter sich“. Lehrkräften fehle die Expertise, mit einem überwiegenden Mangel an Vorkenntnissen umzugehen.
Das Ergebnis der PISA-Studie 2022, worauf sich das Expertenteam im Bildungsmonitor bezieht: zeigt, dass 15-jährige Kinder mit Migrationshintergrund im Durchschnitt geringere Kompetenzen im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften aufweisen. Im Ergebnis schneiden Kinder in den PISA-Kompetenzen dann schlechter ab, "wenn die Eltern gering qualifiziert sind, wenn wenig Bücher zu Hause vorhanden sind und wenn im Elternhaus nicht deutsch gesprochen wird.“
Diese Faktoren überschneiden sich häufig mit migrantischer Geschichte. Nach den Worten des INSM-Geschäftsführers Thorsten Alsleben lassen sich die Ergebnisse nicht allein mit dem Migrationshintergrund erklären. Maßgeblich seien dafür vielmehr die Folgen verpasster Integrationschancen. Viele Kinder blieben auf der Strecke, weshalb INSM und die IW-Experten dafür plädieren, es müssten die nötigen Ressourcen aufgebracht werden, um Bildungsrückstände früh zu erkennen und diese dann gezielt aufzuholen.
Sieger und Verlierer im Überblick: Sachsen Spitze, Bremen und Brandenburg Schlusslichter
Der INSM-Bildungsmonitor untersucht jährlich die Bildungssituation in den einzelnen Bundesländern anhand verschiedener Faktoren. Die neueste Auswertung wurde am 30. August veröffentlicht, nur 2 Tage vor der Landtagswahl in Sachsen und Thüringen, welche auf Platz #1 und #4 zusammen mit Bayern auf #2 und Hamburg auf #3 das Gesamtranking anführen. Sachsen hat dazu in den einzelnen Kategorien „Förderinfrastruktur“, „Schulqualität“, „Bildungsarmut“ und „Forschungsorientierung“ den ersten Platz erreicht, nur bei „Zeiteffizienz“ und „Betreuungsbedingungen“ landete es im unteren Viertel. Die Veröffentlichung hatte so kurz vor den Landtagswahlen nach Einschätzung von Wahlbeobachter:innen keine gravierenden Auswirkungen mehr, lieferte aber doch noch Schlagzeilen, die insbesondere auf eine Bestätigung der sächsischen Regierungsbildungspolitik abzielten.
Die Schlusslichter bilden Bremen auf dem letzten Platz und Brandenburg auf #15. Für die SPD-geführte Landesregierung in Potsdam, in der auch das Kultusministerium in SPD-Verantwortung steht, kommen die Ergebnisse des Bildungsmonitors zur Unzeit: Das Land zwischen Elbe und Oder hat am 22. September seine eigene Landtagswahl. Positiv kann vermerkt werden, dass Brandenburg zumindest im Ranking in der Kategorie „Integration“ auf den ersten Platz gekommen ist. Schlechter sah es aus in den Kategorien „Hochschule und MINT“, angeführt von Bremen und Thüringen, „Digitalisierung“ und „Zeiteffizienz“, Platz 1 jeweils Baden-Württemberg, und „Betreuungsbedingungen“, an der Spitze Berlin. Hier war Brandenburg überall Nummer 16 von 16.
Schnelle Lösungen für akute Probleme
Die Verfasser:innen des Bildungsmonitors besorgt der allgegenwärtige Fachkräftemangel. Über 40 Prozent der Unter-15-Jährigen haben laut IW-Bildungsökonom Plünnecke einen Migrationshintergrund: "Die Zuwanderung stellt damit ein großes Potenzial dar, die demografische Herausforderung bei der Fachkräftesicherung zu meistern.“ Der Bildungsmonitor betont außerdem die Altersverteilung migrantischer Personen in Relation zu denen ohne Migrationshintergrund: Während letztere Bevölkerung stetig altert, konzentriert sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der für die berufliche Bildung kritischen Altersspanne von 15 bis 24 Jahren. Auf diese und jüngere benachteiligte Gruppen müsse sich laut INSM die Bildungspolitik fokussieren.
INSM und IW benennen konkret, welche Maßnahmen in ihren Augen an Bildungseinrichtungen ergriffen werden müssen, um die schulische Integration voranzutreiben: Kita-Pflicht für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen, ein verpflichtender Test im Alter von 4 Jahren, um diesen Mangel zu erkennen, und eine gezielte Förderung der Schulen in Problembezirken. Sie kritisieren das eben erst gestartete „Startchancen-Programm“ der Bundesregierung als nicht ausreichend. Hier würden Fördermittel für Schulen im untersten Zehntel des lokalen Sozialindex bereitgestellt. Dieser Anteil muss laut INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben auf 40 Prozent erweitert werden: „Ansonsten erreiche man nur einen zu kleinen Anteil an Kindern mit besonderen Bildungsproblemen und trage die Probleme immer weiter in die Zukunft.“
(Siehe auch nächste Ausgabe des zwd-POLITIKMAGAZINs, 404)