zwd Berlin. Die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM) Claudia Roth (Die Grünen) hat für durch Bundesmittel begünstigte Kulturverbände zur Jahreswende verbindlich die neue Auflage eingeführt, eine einseitige Anrufung der Beratenden Kommission umfangreich mitzutragen. Demnach sind von der BKM unterstützte Institutionen einerseits selbst verpflichtet, möglichen Anträgen auf Einschalten der Kommission zuzustimmen. Andererseits müssen sie die Einwilligung, wenn sie die Zuschüsse „für Kooperation oder Projekte mit Dritten“ verwenden, an die anderen Vereine "vertraglich entsprechend weiter()leiten". erklärte ein Sprecher der Kulturstaatsministerin gegenüber dem zwd. Der linke Kulturpolitiker Jan Korte begrüßt die BKM-Vorgabe als einen „erste(n), richtige(n) Schritt“. Dieser könne allerdings „ein umfassendes Restitutionsgesetz nicht ersetzen“. Die Forderungen der Expert:innengruppe "nach einer systematischen Reform“ (vgl. das Memorandum zum 20. Jubiläum) und einer gesetzlichen Regelung seien „mehr als berechtigt und überfällig“.
Kulturministerin Roth: Belange der Betroffenen vor Kommission stärken
Entscheidendes Ziel für die geplante Reform sei aus Sicht der Ministerin, wie der Sprecher betonte, "die Belange der Nachfahren der Opfer in dem Verfahren vor der Beratenden Kommission zu stärken“. Auch Roth halte die geringe Menge der seit seiner Einrichtung von dem Gremium bearbeiteten Zweifelsfälle von im NS-Regime geraubtem Kulturgut für nicht zufriedenstellend. In diesem Kontext erachte sie es vor allem für erforderlich, die „Möglichkeit der einseitigen Anrufbarkeit“ für Betroffene mit Rückgabeansprüchen „gegenüber staatlich getragenen oder (…) finanzierten Einrichtungen“ zu schaffen, d.h. auch ohne dass die Gegenseite dabei mitwirken muss.
Bisher kann die unabhängige Kommission, die in Konfliktfällen im Zusammenhang mit der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern, insbesondere aus jüdischem Besitz, vermittelt, nur dann ihre Arbeit aufnehmen, wenn die Beteiligten auf beiden Seiten eine Beauftragung befürworten. Diese Regelung gilt als eine der Hauptursachen dafür, dass der Fachleute-Rat sich nicht in einem weitaus höheren Maße Raubkunstfällen aus der NS-Zeit widmet. In den 20 Jahren seit seiner Gründung im Jahr 2003 hat das Gremium erst 23 Empfehlungen ausgesprochen, denen ca. 40.600 Suchmeldungen in der internationalen Lost-Art-Datenbank gegenüberstehen.
Grundlegende Reform bis zum Frühjahr
„Gemeinsam wollen wir bis zum Frühjahr 2024 zu einer umfassenden Reform kommen“, bekräftigte Roth anlässlich des 25. Jahrestages der Veröffentlichung der Washingtoner Prinzipien im Dezember. Ländern wie Kommunen habe sie dafür "konkrete Vorschläge" vorgelegt. Nach Auffassung der BKM sei dabei die „Einführung der einseitigen Anrufbarkeit ein wichtiger Baustein“. Kulturpolitiker Korte führt die - im Verhältnis mit rund 600.000 während der NS-Herrschaft geraubten Kunstwerken - bescheidene Anzahl von durch die Kommission eingeleiteten Verfahren - vor allem auf deren „völlig unzureichende() Konstruktion sowie d(ie) fehlende() gesetzliche() Grundlage“ zurück. Die auch von den Linken bevorzugte Möglichkeit zur einseitigen Anrufung müsse, wie Korte im Interview mit dem zwd hervorhob, „selbstverständlich auch gegenüber privaten Einrichtungen bzw. Privatpersonen, die über NS-Raubgut verfügen“, gelten, die Mehrheit der gestohlenen Kunstwerke befinde sich in Privatbesitz.
Seit der Washingtoner Erklärung 1998, die als von 44 Staaten unterzeichnete Selbstverpflichtung Herkunftsforschung und Rückgaben oder gleichermaßen gerechten Lösungen zu im Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerken den Weg ebnete, hat man nach Informationen des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste ca. 7.500 Kulturgüter und 24.500 Bücher in Museen als NS-Raub identifiziert und an die Nachkommen der Besitzer:innen zurückgegeben oder in anderer Art möglichst fair über deren Verbleib entschieden.
SPD: Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei Empfehlungen wichtig
Kulturstaatsministerin Roth befindet sich laut ihrem Sprecher mit Ländern und Kommunalverbänden gerade „in einem intensiven Abstimmungsprozess“ zur Stärkung der Kommission, auf die sie sich beim 19. Kulturpolitischen Spitzengespräch im Oktober verständigt hatten. Auch die Bundesregierung werde über das Vorhaben noch beratschlagen. Als Kernthemen nannte der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz und niedersächsische Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) beim kulturpolitischen Treffen im Bundeskanzleramt „bessere Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Empfehlungen der Beratenden Kommission“. Weitere wichtige Punkte sind nach Aussagen der BKM die Option, die Tätigkeit des Sachverständigenrates frühzeitig veranlassen zu können, ohne dass man einen vorherigen Einigungsversuch voraussetzt, sowie eigenständige Auftragsvergabe zur Provenienzforschung durch das Gremium.
Gleichzeitig mit den Gesprächen zur Umgestaltung der Beratenden Kommission verhandeln nach Angaben des BKM-Sprechers die betreffenden Ressorts von Kulturstaatsministerin, Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium über die Umsetzung des im Koalitionsvertrag festgelegten Vorhabens, die Restitution von Raubgütern aus der Nazi-Zeit zu verbessern. Im Einzelnen sehen die Regierungsparteien neben den Neuerungen bei dem Expert:innenrat vor, einen Auskunftsanspruch zu normieren, das Verjähren des Herausgabeanspruchs auszuschließen und einen zentralen Gerichtsstand zu vereinbaren.
Kommission und Linke fordern „umfassendes Restitutionsgesetz“
Mit Blick auf die aus Bundesmitteln finanzierte Provenienzforschung kritisiert die Kommission, die Ergebnisse würden nicht durch eine „unabhängige() Organisation oder Stelle“, sondern durch die Museen ausgewertet. Daher schlägt sie ebenso wie Korte vor, dass die Fördergelder „an ein unabhängiges Forschungsinstitut“ fließen sollten. Nach Ansicht des Linken-Parlamentariers bedarf es eines eindeutigen gesetzlichen Fundamentes, um die Zusammensetzung des Gremiums „demokratisch und transparent“ zu bestimmen und zu erreichen, dass dessen Entscheidungen verbindlich sind. Wie schon in früheren von der Linksfraktion in den Bundestag eingebrachten Anträgen (Drs. 19/ 8273, 19/ 9339) verlangt Korte ein „umfassendes Restitutionsgesetz, in dem die Stellung und Tätigkeit der Kommission so geregelt ist, dass sie ihrer Aufgabe auch gerecht“ und das empörende „NS-Raubkunstproblem gelöst werden“ kann. Wie das Gremium selbst sieht der Linken-Politiker es als erstrebenswert an, dieses zu einer „oberen Bundesbehörde“ weiterzuentwickeln, die - in den Worten des Fachleute-Rates - „über Restitutionsbegehren entscheidet“. Alternativ halten sie auch eine Rolle als ein obligatorisches, dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Schiedsgericht für denkbar.
Um „faire und gerechte Lösungen“ im Umgang mit NS-Raubkunst zu erreichen, seien Korte zufolge „gesetzliche Vorgaben für Rückerstattung und Entschädigung“ nötig. Dazu gehöre, wie der Linken-Abgeordnete unterstrich, dass sämtliche Entscheidungen des Gremiums zu begründen seien. Ein Gesetz müsse Verjährungsfristen für Forderungen nach Rückerstattung durch Privatpersonen bei sog. gutgläubigem Erwerb festlegen, umgekehrt ausschließen, dass staatliche Stellen ihrerseits Verjährung geltend machen können. Außerdem tritt Korte wie die Beratende Kommission in ihrem Memorandum vom September 2023 für ein Restitutionsgesetz ein, das Rückgaben von NS-Raubgut durch Private in Einklang mit dem Eigentumsparagraphen des Grundgesetzes (Art. 14, Abs. 1 bzw. 3) bringt. Die Linke erwarte, so der Kulturpolitiker, dass die „Bundesregierung ihre zögerliche Politik der halbgaren Schritte“ aufgebe und „die überfällige Aufarbeitung des Raubkunst-Unrechts zugunsten der Opfer und ihrer Nachkommen“ regele.