AMNESTY INTERNATIONAL JAHRESBERICHT : Rückschläge gegen Frauenrechte - Gleichberechtigung in Gefahr

25. April 2024 // Ulrike Günther

Rechte von Frauen und queeren Menschen stehen weltweit verstärkt auf dem Spiel. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern hat laut Amnesty International (AI) trotz einiger Fortschritte Rückschläge erlitten. Im Jahresbericht prangert AI an, dass viele Staaten sexuelle wie reproduktive Rechte schwächen, Gewalt gegen Frauen nicht effektiv bekämpfen.

Feminist:innen bei einer Demonstration für gleiche Rechte. - Bild: Wikimedia/ Narih Lee
Feminist:innen bei einer Demonstration für gleiche Rechte. - Bild: Wikimedia/ Narih Lee

zwd Berlin. Die von Frauenrechtler:innen und Zivilgesellschaft erreichten Erfolge werden laut AI zunehmend untergraben. Die Menschenrechts-Organisation beruft sich auf den Frauenverband der Vereinten Nationen UN Women, der davor warne, dass sich geschlechtsspezifische Disparitäten verschärfen. Die Generalsekretärin von AI Agnès Callamard kritisiert im Bericht 2023/ 24 sich auf der Welt verbreitende „autoritäre Praktiken“. 2023 hätten in vielen Ländern der Erde autoritäre Maßnahmen die Gleichstellung der Geschlechter angegriffen. Zahlreiche Errungenschaften der vorigen 20 Jahre sieht Callamard bedroht. Als Beispiele nennt sie Afghanistan, wo „eine Frau oder ein Mädchen zu sein, faktisch kriminalisiert worden“ sei. Die Taliban hätten Dutzende von Verordnungen erlassen, mit dem Ziel, Frauen vom öffentlichen Leben fernzuhalten. Der Iran würde Proteste der Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ weiterhin brutal unterdrücken, bemängelte Callamard die Haltung des Staates. Dieser habe „hasserfüllte Stellungnahmen“ erlassen und darin fehlende Verschleierung als „einen ´Virus´, eine ´gesellschaftliche Krankheit´ oder eine ´Störung´“ bezeichnet.

„Wir verurteilen, dass weltweit nationalistische, rassistische und frauenfeindliche Kräfte an Zuspruch gewinnen“, betonte die Geschäftsleiterin von AI Deutschland Dr. Julia Duchrow anlässlich der Veröffentlichung des Reports am 24. April. Einen Schwerpunkt der globalen Menschenrechtsanalyse, die 155 Länder einbezieht, bildet die „wachsende Gegenreaktion auf die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit“. In einigen Ländern erkennt AI zwar Fortschritte bei den sexuell-reproduktiven Rechten. Das oberste Gericht in Mexiko entschied demnach, dass die Strafbarkeit von Abtreibungen verfassungswidrig sei. Finnland habe es Frauen per Gesetz erlaubt, bis zur 12. Schwangerschaftswoche, Spanien 16- bis 17-jährigen Mädchen genehmigt, ohne elterliche Zustimmung Abtreibungen durchführen zu lassen.

AI: Bundesregierung soll Abtreibungen entkriminalisieren

„Abtreibung gehört raus aus dem Strafgesetzbuch, bei uns, aber es gehört auch international da nicht rein“, forderte die Leiterin der deutschen AI-Sektion Duchrow im Interview mit der ARD. An der Situation von ungewollt Schwangeren in der Bundesrepublik moniert AI, dass die Regierung trotz der Empfehlung des Komitees zum UN-Frauenrechts-Abkommen (CEDAW) vom Mai 2023 bisher keine Änderungen vorgeschlagen habe, „Schwangerschaftsabbrüche völlig zu entkriminalisieren, um sie mit internationalen Menschenrechtsstandards und den neuen WHO-Richtlinien in Einklang zu bringen“. In anderen Ländern seien „restriktive Regelungen“ bei Abbrüchen hingegen erhalten geblieben, heißt es in dem AI-Report. Gesundheitspersonal in Irland, Kroatien, Italien sowie Nord-Irland hätten sich häufig auf Gewissensgründe berufen, um entsprechende Eingriffe abzulehnen. In einigen Regionen Österreichs seien Abtreibungen nicht durch die staatlichen Gesundheitsdienste abgedeckt gewesen.

15 Bundesstaaten der USA hätten nach AI-Angaben Abbrüche von Schwangerschaften ganz verboten oder sie nur in äußerst beschränkten Ausnahmefällen bewilligt, wovon insbesondere Afro-Amerikaner:innen und andere rassistisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen betroffen gewesen seien. Nachdem ein Urteil des obersten US-Bundesgerichts 2022 den gesetzlichen Schutz von Abtreibungen rückgängig gemacht habe, hätten soziale Medien, wie Instagram, Facebook und TikTok, wichtige Informationen zu reproduktiven Rechten unterdrückt. Der Bericht stellt fest, dass Menschen, die für das Abtreibungsrecht eintraten, wie Aktivist:innen oder medizinische Beschäftigte, „Stigmatisierung, körperlichen und verbalen Angriffen, Einschüchterung und Bedrohungen“ ausgesetzt gewesen seien. Darüber hinaus habe man sie kriminalisiert, indem man sie strafrechtlich verfolgt, gegen sie ermittelt oder sie verhaftet habe.

Gewalt gegen Frauen weiterhin besorgniserregend

Das Engagement von Frauenrechtler:innen hat AI zufolge bewirkt, dass einige Länder Schritte zur Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt unternahmen. Dennoch sei Gewalt gegen Frauen immer noch besorgniserregend weit verbreitet. Während Staaten wie Nord-Mazedonien, Japan und die Schweiz den gesetzlichen Schutz zur Vorsorge und Bekämpfung von geschlechtsbezogener und häuslicher Gewalt gestärkt hätten, versagten Behörden auf der ganzen Welt, wie der Bericht unterstreicht, „systematisch, gegen die fest verwurzelte sexistische Gewalt“ und die Straffreiheit von Täter:innen vorzugehen. Auch hätten sie die „langfristigen Bedürfnisse von Überlebenden“ vernachlässigt. Lobend erwähnt AI, dass die Bundesregierung mit Wirkung zum 01. Oktober 2023 „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Motive (Drs. 20/ 5913) als die Tat „erschwerende Umstände“ ins Strafgesetzbuch (Paragraph 46, Absatz 2, Satz 2) aufgenommen habe. In Europa unterzeichnete Lettland gemäß AI-Report die Istanbul-Konvention, Nord-Mazedonien passte seine Gesetze an das Europa-Rats-Abkommen an. Kroatien habe in Aussicht gestellt, Femizide künftig als gesonderten Straftatbestand zu behandeln, die Schweiz Vergewaltigung nach dem „Ja heißt ja“-Prinzipdefiniert.

Viele europäische Staaten vermeldeten jedoch, wie AI ausführt, hohe Fallzahlen von Gewalt an Mädchen und Frauen, wobei staatliche Gegenmaßnahmen unzureichend geblieben seien. Bezogen auf die Bundesrepublik hebt der Report den von der Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) 2022 im 5-Jahres-Vergleich verzeichneten Anstieg bei geschlechtsspezifischer Gewalt (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) hervor. Stündlich hätten in Deutschland über 14 Frauen Gewalt durch intime Partner erlitten, fast täglich (Ex-) Partner versucht, eine Frau umzubringen. Zahlreiche Länder, wie Österreich, Italien, Griechenland,. Spanien, Serbien oder die Türkei, hätten von Dutzenden bis Hunderten von Femiziden berichtet. Die Menschenrechts-Organisation fordert die europäischen Regierungen daher auf, „dringend alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt (zu) bekämpfen“ und gegen die zugrunde liegenden Ursachen vorzugehen. Außerhalb Europas registrierte AI eine hohe Rate an Frauenmorden in Mexiko (durchschnittlich fast 60 Frauen pro Woche) und „Ehrenmorde“ in Staaten wie Tunesien und Algerien.

62 Länder stellen Homosexualität unter Strafe

„Beschränkte Fortschritte“ machten einige Länder nach Aussagen von AI beim Schutz der Rechte von queeren Menschen (LGBTI+), umgekehrt hätten in anderen Regionen Angriffe auf sie zugenommen. Man habe konstatiert, dass „in 62 Ländern weltweit gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen (…) unter Strafe gestellt werden“, beanstandete Duchrow die anhaltende Diskriminierung von Homosexuellen. AI bemerkt dazu, dass die Strafgesetze häufig auf die Kolonialherrschaft zurückzuführen seien. Homophobe, trans*- und LGBTI-feindliche Gesetze hätten u.a. Uganda, Ghana und Russland beschlossen. Die Bundesrepublik schaffte eine Regelung ab, wonach Trans*-, männliche Homo- und Bisexuelle von Blutspenden (Drs. 20/ 6014, März 2023) ausgeschlossen waren. Außerdem habe der Bundestag ein (am 12. April in 2./ 3. Lesung beschlossenes) Selbstbestimmungsgesetz (Drs. 20/ 9049, 20/ 11004) diskutiert, das es trans*-, inter-sexuellen und nicht-binären Personen einfach ermögliche, ihren Geschlechtseintrag zu korrigieren.

In Finnland und Spanien seien ähnliche Gesetze in Kraft getreten, die Trans*-Personen auf Antrag gestatten, offizielle Geschlechtsbezeichnungen in Dokumenten zu ändern bzw. ihnen Zugang zu medizinischer Versorgung und gesetzliche Anerkennung gewährleisten. Bulgarien habe eine solche Regelung zum Ändern von Geschlechtseinträgen wieder zurückgenommen, Großbritannien das Inkrafttreten eines schottischen Reformgesetzes zur Geschlechteranerkennung blockiert. Lettland habe gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften offiziell anerkannt, Rumänien und Bulgarien hätte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) andererseits dafür verurteilt, homosexuellen Paaren die rechtliche Akzeptanz zu verweigern. Obwohl gegen Ungarn ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen eines „Propagandagesetzes“ gelaufen sei, das sich gegen in Medien dargestellte Homosexualität und Geschlechtsangleichungen richtete, hätten die staatlichen Behörden das Gesetz weiterhin angewandt und u.a. Geldbußen und ein TV-Werbe-Verbot erteilt.

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