zwd Berlin. "Das Thema Vergewaltigung muss seinen Platz in dieser Richtlinie haben und wir werden dafür kämpfen, dass es auch so bleibt!", erklärte die Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Maria Noichl im Interview mit dem zwd. Das EU-Gewaltschutzpaket solle "ein umfassendes Instrument zur Harmonisierung (von Rechtsvorschriften)" werden. Als zentral habe aus Sicht von Noichl dabei: "Nur ja heißt ja" zu gelten. Der im Europarats-Übereinkommen von Istanbul (IK) festgehaltene "Mentalitätswechsel" müsse in der Richtlinie Aufnahme finden, sie dürfe an Frauen verübte Gewalt nicht "nur teilweise aufgreif(en)". Die "besondere Schwere" der Straftat zu erkennen, "würde auch ein starkes politisches Zeichen einer absoluten Null Toleranz Politik senden", so die Europa-Politikerin. Das sei "wichtig für die Gesellschaft als solche, aber auch besonders für Opfer und Täter". Mit der zur IK "komplementäre(n) Maßnahme" strebe man an, den "besten europaweiten Schutz vor Gewalt gegen Frauen zu erreichen".
Auch nach Auffassung der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Leni Breymaier sollte die EU-Richtlinie "unbedingt dazu genutzt werden, die Strafbarkeit von Vergewaltigungen im gesamten Unionsraum zu harmonisieren". In dem Vorhaben mit dem Ziel, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen, dürfe die Straftat, "eines der schwersten Verbrechen überhaupt", nicht fehlen. Deutschland komme dabei eine "wichtige Rolle" zu. Die Sozialdemokratin betonte gegenüber dem zwd, Vergewaltigung sei eine "Form von sexueller Ausbeutung". Alle Frauen, "und zwar überall", müssten davor "gleichermaßen geschützt werden".
ASF kritisiert Bundesjustizminister
Ähnlich äußerte sich Heidi Reichinnek, Frauenpolitikerin der Linksfraktion. Sie nannte den Vorschlag, den Paragraphen zur Vergewaltigung aus der geplanten Richtlinie zu streichen, einen "Skandal". Die Behauptung, die rechtliche Basis für dessen Aufnahme sei nicht ausreichend, gehe "völlig an der Realität vorbei". Die Gewalttat sei "sexuelle Ausbeutung", sagte die Linken-Abgeordnete und forderte von der Koalitionsregierung, nicht zu boykottieren, dass diese Teil des EU-Gewaltschutzpaketes werde. Unmittelbar vorher hatte die ASF in einem Kommentar Bundesjustizminister Buschmann kritisiert. Seine Entscheidung bilde die Grundlage dafür, dass die Bundesrepublik im EUCO nicht für die Regel eintrete, wonach – seit 2016 auch gemäß deutschem Recht – jede gegen den „erkennbaren Willen“ der Betroffenen ausgeübte sexuelle Handlung unter Strafe fällt. Das sei „für Millionen Frauen in Europa eine Katastrophe“, hatten die SPD-Frauen unterstrichen. ASF-Vorsitzende Noichl rief Buschmann auf, „wie ein Minister“ zu handeln. Es sei „auch in der Verantwortung Deutschlands, dass der Schutzstatus einer Frau in der EU nicht vom Wohnort abhängig ist!"
EP möchte Geltungsbereich der Richtlinie erweitern
Justizminister Buschmann beruft sich auf das Rechtsgutachten des EUCO, wonach eine entsprechende strafgesetzliche Regelung nicht innerhalb des EU-Kompetenzrahmens liege. Demgegenüber ergänzte das Europäische Parlament (EP) in seinem Konzept für eine legislative Entschließung vom Juli den Geltungsbereich des EU-Gewaltschutzpaketes noch um weitere Straftaten, wie sexuelle Übergriffe, Zwangsheirat oder Belästigung am Arbeitsplatz. Der Bundesrat hatte bereits ein Jahr vorher (Drs. 131/ 22) ausdrücklich begrüßt, dass durch den von der EK festgesetzten Rahmen der Strafbarkeit von Vergewaltigung „ein umfassender Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung innerhalb der gesamten EU gewährleistet würde“.
Mit dem Vorschlag für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ vom März 2022 strebt die EK nach eigenen Angaben an, die relevanten Rechtsinstrumente wirksamer zu gestalten, Lücken bei Schutz, Prävention, Zugang zum Justizwesen und Kooperation zu füllen sowie die EU-Vorschriften an internationale Normen anzupassen. Im Einzelnen sieht die Kommission u.a. Maßnahmen vor, welche „Vergewaltigung auf der Grundlage einer fehlenden Zustimmung“, weibliche Genitalverstümmelung (FGM) und bestimmte Arten von Cybergewalt EU-weit strafbar machen und das Recht von Opfern auf adäquaten, ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigenden Schutz stärken.
Appell der Frauenverbände: EU soll Vergewaltigung unter Strafe stellen
In einem „Offene(n) Brief zur EU-Gewaltschutzrichtlinie“ vom 30. Oktober appellierten rund 40 feministische Organisationen, angeführt vom Deutschen Frauenrat (DF) und der European Women´s Lobby (EWL), an die Koalitionsregierung, aktiv dafür einzutreten, „dass Vergewaltigung als Tatbestand in das EU-Gewaltschutzpaket aufgenommen wird“, und sich den EU-Staaten Belgien, Italien, Griechenland und Luxemburg anzuschließen. Diese hatten in einer gemeinsamen Erklärung ihr tiefes Bedauern darüber geäußert, dass es „an politischem Ehrgeiz“ mangele, „den Straftatbestand der Vergewaltigung unter Strafe zu stellen“. Sie reagierten damit auf die im Juni vom EUCO bekanntgegebene „allgemeine Ausrichtung“, worin dieser lediglich einer Kriminalisierung von FGM, Cyber-Gewalt und nicht-einvernehmlicher Verbreitung von Intimbildern zustimmte, Straftaten wie Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch und Belästigung jedoch unter die jeweils gültigen nationalen Rechtsvorschriften einordnete. Wenige Tage zuvor hatte der EUCO den EU-Beitritt zur IK gebilligt.
In dem Schreiben, das u.a. DGB, Deutscher Juristinnenbund (djb) und das Forum Menschenrechte unterzeichnet haben, hoben die Aktivist:innen hervor, die Richtlinie sei eine „einzigartige und einmalige Möglichkeit, Vergewaltigung in der gesamten EU strafrechtlich zu verfolgen und (insbesondere) Frauen zu schützen“. Die bundesdeutsche Gesetzgebung habe die Strafbarkeit „eines der schwersten Verbrechen gegen Frauen“ nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention (IK) durch die Reform von 2016 weiter gestärkt. Die Feminist:innen monierten die dennoch von der Bundesregierung geltend gemachten „unionsrechtliche(n) Bedenken“. Das Hauptargument des EUCO bezeichneten sie als „unhaltbar“, da „sexuelle Ausbeutung von Frauen“ in Artikel 83 (1) des Vertrags über die Funktionsweise der EU (AEUV) genannt sei, auf den sich der Kommissionsvorschlag als wesentliche Rechtsgrundlage stützt. Darin wird sexuelle Ausbeutung als einer der Bereiche von Kriminalität festgelegt, in denen die EU-Länder kooperieren und Mindestvorschriften erlassen können.
EK und djb: Vergewaltigung als sexuelle Ausbeutung
Unter Rückgriff auf eine Stellungnahme des djb bekräftigten die Frauenrechts-Vereine, „dass Vergewaltigung sexuelle Ausbeutung“ sei. Gleichzeitig verwiesen sie auf eine Unterschriftenaktion der EWL, bei der inzwischen fast 100.000 Unterstützer:innen verlangen, Vergewaltigung als Straftat in die EU-Richtlinie einzubeziehen. Im Entwurf der EK heißt es wörtlich: Vergewaltigung „ist mit einem Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer verbunden, das es dem Täter ermöglicht, das Opfer zum Zwecke der persönlichen Befriedigung, der Behauptung der Herrschaft, der Erlangung sozialer Anerkennung oder möglicherweise des finanziellen Gewinns sexuell auszubeuten“ (Absatz 13 EK-Entwurf). In diesem Sinne hatte auch der djb Vergewaltigung ebenso wie FGM als „genuin ausbeuterisch und Ausdruck eines strukturellen und geschlechterdiskriminierenden Machtgefälles“ bewertet.