BUNDESTAGSDEBATTE ZUM 23. BAföG-BERICHT : SPD und Grüne stellen sich hinter die Forderung nach Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze

21. Januar 2024 // Holger H. Lührig

In der BAföG-Debatte im Bundestag am späten Donnerstagabend (18.01.2024) haben sich die Sprecher:innen der Ampel-Fraktionen SPD und Grüne für eine deutliche Verbesserung der BAföG-Zahlungen an Studierende eingesetzt. Zuvor hatten DSW, GEW und fzs weitreichende Verbesserungen angemahnt. Anlass der Debatte war der 23. Regierungsbericht zur Überprüfung der BAföG-Bedarfssätze und -Freibeträge. In den Mittelpunkt der 30-minütigen Aussprache rückte aber der Referentenentwurf des Bundesbildungsministeriums zu einer 29. BAföG-Novelle. Eine Nachzeichnung der Debatte im Bundestag.

Eingeleitet hatte die Debatte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Dr. Jens Brandenburg (FDP) mit den Worten: „Der Zugang zu Studium und Ausbildung darf keine Frage des elterlichen Geldbeutels sein“. Wie sich das BAföG dabei schlage, ergebe sich jeweils aus den Berichten der Bundesregierung nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der aktuelle Bericht zeige, dass seit 2001 die Bedarfssätze langfristig stärker gestiegen seien als die Verbraucherpreise. Zu sehen sei aber auch gerade in den letzten beiden Jahren seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, dass Studierende stark unter den steigenden Energiepreisen gelitten hätten, worauf die Ampel schnell mit der Anhebung der Bedarfssätze – schon im ersten Jahr der Legislaturperiode – sowie mit zwei Heizkostenzuschüssen und der Einmalzahlung für Studierende und Fachschüler reagiert habe. Erfreulich sei aber auch, dass laut BAföG-Bericht eine Trendwende gelungen sei: Seit 2012 sei die Zahl der geförderten Studierenden immer weiter bergab gegangen, seit zwei Jahren steige die Zahl wieder. Zur 9. Novelle sagte Brandenburg, er werbe dafür sich die Zahlen noch genau anzusehen. Denn Studierende, die den Höchstsatz erhielten, bekämen zusätzlich 250 Euro Kindergeld und damit etwa 200 Euro mehr in der Tasche hätten als der durchschnittliche Student oder Studentin im Monat ausgebe. Brandenburg räumte aber ein, dass die Studierenden mit Teilförderung und diejenigen, die knapp unter den Freibeträgen lägen, die größeren Sorgen hätten. Und deshalb sei es richtig, in weiteren Reformschritten die Freibeträge weiter anzuheben. Als wichtige Vorhaben aus der 29. Novelle nannte Brandenburg die Erhöhung der Förderungshöchstdauer, speziell mit Blick auf das Abschlusssemester, die Änderung beim Studienfachwechsel und die Studienstarthilfe für Studierende aus Bedarfsgemeinschaften für Erstausstattung und den Bürokratieabbau.

Während die Sprecher:innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion scharfe Kritik an dem Referentenentwurf übten und sich dabei kritischen Äußerungen von GEW, fzs und Deutschem Studierendenwerk (DSW) zu eigen machten, begrüßten Sprecher:innen aus dem Regierungslager die Pläne des Bundesbildungsministeriums grundsätzlich, merkten aber auch Verbesserungswünsche an.

Union kritisiert die Reformpläne als „Zumutung“ für die Studierenden und lehnt studentisches Grundeinkommen ab

Die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann bezeichnete die geplante Novelle als enttäuschend und eine „Zumutung“ für die Studierenden. Der Bundesbildungsministerin, sagte Connemann in DSW-Sprech, fehle „die Kraft und der Wille“ zu der angekündigten großen Strukturreform. Leidtragende seien die Studierenden aufgrund der nicht ausreichenden Bedarfssätze und Wohngeldpauschale. Jede und jeder dritte Studierende lebe unter der Armutsgrenze und unterhalb des Grundbedarfs, während hingegen das Bürgergeld um 12 Prozent angehoben worden sei. Insofern seien die Ampel-Pläne ein Armutszeugnis. Die Ampel solle nicht darauf warten, bis das Bundesverfassungsgericht – bei dem eine Klage wegen der unzureichenden Bedarfssätze und Freibeträge anhängig ist – sie zum Handeln zwinge. Die Ampel solle dafür sorgen, dass Bildung für alle möglich bleibe. Connemanns Fraktionskollege, der CSU-Bundestagsabgeordnete Albert Rupprecht, wandte sich explizit gegen den Plan, die Freibeträge anzuheben. Der Sohn des Arztes brauche keine vom Staat finanzierte Soziallleistung: „Wir brauchen kein studentisches Grundeinkommen“. BAföG müsse eine „Sozialleistung“ bleiben, argumentierte Rupprecht, denn es gehe um „Chancengerechtigkeit“.

Seitzl: 16 Jahre Vernachlässigung des BAföG durch CDU und CSU können nicht sofort aufgeholt werden

Die hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Lina Seitzl wies die Kritik die Unionspolitiker:innen zurück. Sie räumte ein, dass die bisher getroffenen Maßnahmen nicht ausreichten. Das liege aber maßgeblich an der jahrzehntelangen Vernachlässigung des BAföG in den 16 Jahren CDU-geführten Bildungspolitik, woraus riesige strukturelle Probleme entstanden seien. Deshalb gehe die Ampel die Strukturreform jetzt an. Seitzl verwies auf die geplante Studienstarthilfe, die im Referentenentwurf vorgesehen sei („eine gute Sache“). Der SPD, fügte sie nachdrücklich hinzu, reiche der Referentenentwurf jedoch nicht, gerade mit Blick auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Zur „Chancengleichheit in der Bildung“ gehöre ein wirklich auskömmliches BAföG, mit der junge Menschen in Ausbildung ihre Lebenshaltungskosten verlässlich decken könnten. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat nach den Worten von Seitzl dafür die Grundlagen gelegt, indem er zusätzlich 150 Millionen Euro bereitgestellt habe. Es liege nun an den Fachpolitikerinnen des Bundestages, diese Mittel im Rahmen der anstehenden parlamentarischen Beratungen sinnvoll einzusetzen.

Kaczmarek: Mehr BAföG-Empfänger:innen sind mit der Großen Koalition nicht erreicht worden

Seitzls Fraktionskollege, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek, erinnerte in der Debatte daran, dass die beiden Vorgängerinnen von Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger – die Ministerinnen Johanna Wanka und Anja Karliczek (beide CDU) – die Berichterstattung zweimal ausgesetzt hätten. Insofern betrachte der 23. Bericht lediglich die Jahre 2021 und 2022, also die in der Endphase der Großen Koalition getroffenen Maßnahmen. Das zentrale Ziel, das sich CDU/CSU und SPD seinerzeit gemeinsam vorgenommen hatten, nämlich eine Trendwende, dass es am Ende der Legislaturperiode mehr BAföG-Empfänger:innen gebe sollte als zum Beginn der Wahlperiode, sei nicht erreicht worden. Deshalb habe die Ampel-Koalition bereits im ersten Jahr richtigerweise die Freibeträge um 20 Prozent erhöht, damit überhaupt mehr Studierende in die Förderung hineinkämen. Nachdrücklich plädierte Kaczmarek dafür, die Bundesausbildungsförderung deutlich an die Studienrealität – Stichworte: zusätzliche Fördersemester, Fachrichtungswechsel, Entbürokratisierung – anzupassen.

Vertrauen in die Verlässlichkeit des BAföG wieder stärken

Wenn jetzt die Studienstarthilfe komme, sei das eine Maßnahme, die in der Großen Koalition nicht möglich gewesen sei, obwohl die Vorschläge dafür aus der Zivilgesellschaft („arbeiterkind.de“) bereits vorgelegen hatten. Entscheidend ist für den SPD-Bildungssprecher ist, dass mit der BAföG-Reform das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Förderangebot wieder gestärkt wird, indem der in der Koalitionsvereinbarung verabredete Mechanismus zur Anpassung von Förder- und Freibeträgen in das Gesetz geschrieben werde und die vom Haushaltsausschuss bereitgestellten Mittel für die Anpassung der BAföG-Sätze genutzt werden.

Kraft: Mindestens Existenzminimum für Studierende wie auch beim Bürgergeld

Unterstützt wurden die SPD-Abgeordneten durch die Sprecherin des Bündnis ‚90/Die Grünen Laura Kraft, die den Sprecher:innen der Unionsopposition ein „Vermächtnis der letzten 16 Jahre“ vorhielt. Der 23. BAföG-Bericht habe dargelegt, dass die sich die Situation von Studierenden und Auszubildenden nachhaltig verschärft habe mit der Folge, dass Studierende ihr Studium abbrechen müssten, weil sie ihr Studium nicht finanzieren könnten. Die gut gedachten Reformen der 27. und 28. Novelle seien durch Inflation und Krisenentwicklung aufgefressen worden. Jetzt müsse darauf reagiert werden, weil Studierende wie alle anderen Menschen den Anspruch auf ein Existenzminimum hätten. 60 Prozent der Studierenden arbeiteten neben ihrem Studium. Es sei dringend geboten nachzusteuern und die Bedarfssätze anzuheben, nachdem sich gezeigt habe, dass die Bedarfssätze seit dem 1. Januar um 110 Euro zurück hinter dem errechneten Existenzminimum des Bürgergeldes zurückliegen. Ausdrücklich begrüßte Kraft den Vorschlag, eine Studienstarthilfe zum Beginn des Studiums auszuzahlen.

Schröder (FDP): Wir müssen uns um die Teilgeförderten kümmern

Für die FDP-Bundestagsfraktion hob deren bildungspolitische Sprecherin Ria Schröder hervor, dass im Vergleich zu den Ausgaben der Studierenden im Monat bei 850 Euro lägen, Bafög-Empfänger bekämen hingegen 934 Euro und fast 70 Prozent zusätzlich 250 Euro Kindergeld, jedoch nicht alle Empfänger:innen, denn 50 Prozent von ihnen seien lediglich teilgefördert, was bedeute, dass deren Eltern 2.415 Euro oder mehr verdienten – „das immer noch keine Reichen“ und diese bekämen im Schritt 439 Euro. Schröder resümierte: „Das sind diejenigen, um die wir uns kümmern müssten, die zu wenig im Monat haben, um über die Runden zu kommen. Und um die kümmern wir uns, indem wir die Freibeträge anheben!“

Der Bericht wurde danach zur weiteren Befassung in die Ausschüsse überwiesen.

Bilder: Livestream des Deutschen Bundestages zur Debatte vom 18.01.2024


Im Vorfeld der Bundestagsdebatte:

DSW: „Fatale Botschaft des Referentenentwurfs an Studierende“

Unmittelbar vor der Bundestagsdebatte hatte das Deutsche Studierendenwerk (DSW) dem Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vorgehalten, es lasse in seinem Referentenentwurf des für eine 29. BAföG-Novelle den politischen Willen, den vom Haushaltsausschuss fürs BAföG bereitgestellten Finanzrahmen auch wirklich ausschöpfen zu wollen.

(Bild - Foto Kai Herschelmann)Der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl (Bild; Foto: Kai Herschelmann) bezeichnete den Entwurf als eine „fatale Botschaft an die Studierenden“.

Der Bundestags-Haushaltsausschuss hat – durch die sogenannte Bereinigungssitzung bestätigt – dem Bildungsministerium für die Monate Oktober bis Dezember 2024 150 Millionen Euro zweckgebunden zur Verfügung für eine Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze zur Verfügung gestellt. Jedoch sollen davon nach DSW-Angaben gemäß Referentenentwurf nur 62 Millionen Euro genutzt werden. Anbuhl sieht in den Entwurf, trotz hoher Inflation und hoher Preise für Mieten, Energie und Lebensmittel den BAföG-Grundbedarf und die BAföG-Wohnkostenpauschale nicht zu erhöhen, den vom Haushaltsausschuss bereitgestellten Finanzrahmen nicht auszuschöpfen, „eine ganz bewusste politische Entscheidung des Ministeriums“. Das gelte auch für die BMBF-Planung, den Darlehensanteil – entgegen der Koalitionsvereinbarung – nicht abzusenken, sondern im Gegenteil den Darlehensanteil von derzeit maximal 10.010 Euro auf 11.550 Euro zu erhöhen.

GEW: Bildungsministerin sollte Referentenentwurf zurückziehen

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte die Bundesbildungsministerin auf, den Referentenentwurf ihres Hauses für die 29. BAföG-Novelle zurückzuziehen und umfassend zu überarbeiten. Das Papier sei ein Schlag ins Gesicht aller Studierenden, die nicht mehr wüssten, wie sie die explodierenden Mitpreise und Lebenshaltungskosten bezahlen sollten.

Das Ministerium wolle den Studierenden nicht einmal einen Inflationsausgleich zahlen, sondern verordne ihnen „eiskalt eine Nullrunde“. Für Andreas Keller, den stellvertretenden GEW-Vorsitzenden und Hochschulexperten fällt damit die BAföG-Strukturreform aus, die die Ampelkoalition 2021 versprochen habe: Das ist verantwortungslos“, sagte Keller an die Adresse der Bundestagsfraktionen mit Blick auf die Debatte des BAföG-Berichts der Bundesregierung am 18. Januar im Bundestag. (Foto: GEW)

fzs hält Stark-Watzinger „parteitreuen Dogmatismus“ vor, indem sie durch ihr Festhalten an der Schuldenbremse auf Investitionen im Bildungsbereich verzichte

Für den "freien Zusammenschluss der Student:innenschaften" (fzs) begrüßte dessen Vorstandsmitglied Niklas Röpke die im BMBF-Referentenentwurf geplante Studienstarthilfe, auch wenn sie im aktuellen Entwurf zu wenig Menschen helfe. Scharf kritisierte Röpke hingegen die „Scheinrechtfertigung“ des Bildungsministeriums, weil es dieses Reformvorhaben gegen die Erhöhung der Bedarfssätze und der Wohnkostenpauschale mit Verweis des BMBF auf eine enge Haushaltslage auszuspielen versuche. Der Bildungsministerin hielt die bundesweite Studierendenvertretung zudem vor, dass sie – statt die erste Vorreiterin im Bundeskabinett zu sein, die sich gegen Einsparungen am sowieso schon eng bemessenen BMBF-Haushalt stark mache – „parteitreuen Dogmatismus auf Kosten der Studierenden“ praktiziere, indem sie an der Schuldenbremse festhalte und damit auf Zukunftsinvestitionen in der Bildung verzichte.

Juso-Hochschulgruppen werfen FDP-geführten Bildungsministerium Bruch der Koalitionsvereinbarung vor

Mit scharfer Kritik rügten die Juso-Hochschulgruppen den BMBF-Referentenentwurf. Für das Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen Roman Behrends bleiben die Änderungen weit hinter den Erwartungen der über drei Millionen Studierenden in Deutschland zurück: „Mehr noch: Mit diesem Entwurf werden auch die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag gebrochen“. Bildungsministerin Stark-Watzinger plane keine Erhöhung der Förderbeträge im BAföG, von einer dringend benötigten Anpassung an die Inflation ganz zu schweigen. Behrends Vorstandskollegin Lisa Heidenreich erinnerte an die schon seit einiger Zeit laufende Klage wegen der zu geringen BAföG-Förderung vor dem Bundesverfassungsgericht. Es ist ein Skandal, dass das Bildungsministerium es hier erneut verpasst, nachzubessern. Heidenreich warnte, dass nach der Entscheidung zum Haushalt dem nächsten FDP-geführten Ministerium eine Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht bevorstehe.



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