Eine Bildungsmilliarde
Dabei hatte Ministerin Stark-Watzinger doch einen wichtigen Erfolg anzukündigen: eine (1) Bildungsmilliarde habe ihr Bundesfinanzminister Christian Lindner versprochen. Und sie wolle das Geld dort anlegen, wo es am nötigsten gebraucht werde: „Ich möchte die Bildungsmilliarde zur Startchancen-Milliarde machen“ – dauerhaft Jahr für Jahr. Gemeint ist damit das ehrgeizige Projekt der Ampel-Koalition, ein Förderprogramm für 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil an sozial Benachteiligten aufzulegen. Zugleich versicherte Stark-Watzinger, sie arbeite an der „genauen Ausgestaltung des Programms“, ohne allerdings konkreter zu werden oder einen Starttermin zu benennen. Dafür lieferte sie dem Bundestagsplenum den einen oder anderen bekannten Allerwelts-Slogan wie: „Bildung ist alles, und ohne Bildung ist alles nichts.“ Für die Ministerin hat der Nationale Bildungsbericht neben negativen Fakten („Zu viele Kinder verlassen die Grundschule, ohne richtig lesen und rechnen zu können“) auch gezeigt, dass Kinder mit schwachen Leistungen bei entsprechender Förderung noch aufholen können – ein Drittel macht große Sprünge bis zum Ende der Grundschule (Lesen und Rechnen). Das Aufstiegsversprechen solle auch Thema des Bildungsgipfels am 14. März sein, zu dem die Bundesbildungsministerin ihre Kolleg:innen aus den Ländern eingeladen hat.
Doch das Fiasko scheint vorprogrammiert. Ein Vorgeschmack auf den Bildungsgipfel, dem offenbar die Mehrzahl der Unions-Kultusminister:innen fern bleiben wollen, war den Worten des sächsischen CDU-Abgeordneten Lars Rohwer (Bild) an die Adresse von Stark-Watzinger zu entnehmen: „Ständig reden Sie über Themen, die in der Kompetenz der Länder liegen“. Die Ministerin, so wurde aus dem Debattenbeitrag des Oppositionspolitikers deutlich, solle sich auf ihre Aufgaben konzentrieren, die Forschung – beispielsweise in den Bereichen Digitalisierung, Kompetenzentwicklung, Inklusion und Sprachförderung für Vertriebene aus der Ukraine – voranzutreiben und die Länder durch wissenschaftlichen Input zu unterstützen.
Die „Wahrheit“ über die Startchancen-Milliarde
Rohwers Fraktionskollege, der Düsseldorfer CDU-Politiker mit Schwerpunkt Digitalpolitik Thomas Jarzombeck (Bild), bestritt zudem die von der Bundesbildungsministerin herausgestellte Erfolgsmeldung: „Wenn wir über Wahrheit reden, gehört auch dazu, dass nicht Christian Lindner mit einer (1) Milliarde Euro um die Ecke kam, sondern der Haushaltsausschuss (des Bundestages -Red.)“. Den Ampel-Haushälter:innen komme das Verdienst zu, auf einen Start des „Startchancen-Programms“ per 1. Januar 2023 gedrängt zu haben. Die Haushälter:innen, fügte der Abgeordnete hinzu, hätten die Ministerin per Maßgabebeschluss aufgefordert, bis zum 30. September 2022 ein Konzept vorzulegen. Doch das sei „dermaßen schlecht“ gewesen, dass dieses Jahr für das Programm keine Mittel zur Verfügung gestellt werden konnten. Jarzombeck empfahl der Ressortchefin, sich mit den Ländern an einen Tisch zu setzen und so „ein Konzept zum Fliegen zu bringen“. Doch gerade hier scheint die Kooperation mit den Ländern zu haken. Seine Fraktionskollegin, die Rosenheimer CSU-Abgeordnete Daniela Ludwig (Bild), wurde noch deutlicher: Sie bezweifelte, dass das Startchancen-Programm in der laufenden Legislaturperiode zur Umsetzung komme, weil der Ministerin ein Plan fehle, was sie eigentlich machen könne. Ludwig verlangte von Stark-Watzinger, raus aus dem „Ankündigungsmodus“ zu kommen: „Kommen Sie endlich in die Pötte beim Startchancen-Programm.“ Ähnliches gelte im Übrigen auch für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung, bei dem die Ministerin die Länder und Kommunen endlich unterstützen müsse.
Für die Linken-Politikerin Nicole Gohlke (Bild) lassen sich „mit den ganzen Programmen und Pakten die Probleme in der Bildung nicht lösen, weil strukturell ja alles beim Alten bleibe“ - das gegliederte Schulsystem, die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft, der Fachkräftemangel und die „verschlafene“ Digitalisierung: „Nirgendwo tut sich wirklich was. Beim Ganztagsausbau ist der Bedarf nicht gedeckt, das Startchancenprogramm ist vertagt.“ Gohlke rief ihre Kolleg:innen von der Ampel-Koalition auf, die Aufgaben anzupacken. Es sei doch nicht so schwer, dass die Bundesmittel nach einem Sozialindex sozial gerecht verteilt würden. Die Linken-Forderung an Stark-Watzinger: „Kommen Sie jetzt einfach mal aus dem Knick, Frau Ministerin!“ Und Gohlke beklagte zudem, anknüpfend an den Nationalen Bildungsbericht, die „fehlende Zusammenarbeit in der Bildung, das völlig dysfunktionale Nebeneinander von Bund, Ländern und Kommunen.“
Kaczmarek: Für die Koalition ist die nationale Kraftanstrengung für mehr Bildungschancen für alle ein Lackmustest
Auch in den Reihen der Ampel-Koalition ist das Unbehagen über den verzögerten Start dieses wichtigen Vorhabens unüberhörbar. „Wir wünschen uns, dass wir mit diesem Programm schnell an den Start kommen“, gab der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek (Bild) zu Protokoll und präzisierte: „Das Schuljahr 2023/2024 sollte ein Zeitpunkt sein, wo wir mit einzelnen Elementen schon beginnen können.“ Zugleich legte der SPD-Bildungspolitiker, der bereits am 14. November 2022 in einem zwd-Beitrag der die schnelle Realisierung des Startchancen-Programms eingefordert hatte (https://www.zwd.info/startchancen-programm-muss-rasch-auf-den-weg-gebracht-werden.html) die Messlatte für die Umsetzung des Programms hoch: „Wir müssen die Mittel dort konzentrieren, wo sie am meisten gebraucht werden. Wir brauchen keinen Königsteiner Schlüssel, sondern wir müssen tatsächlich dafür sorgen, dass die Mittel an den Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen ankommen.“ Dabei werde deutlich werden, wie ernst es dabei den Ländern sei, wenn es um die Mittelverteilung gehe. Kaczmarek stellte mit Blick auf den geplanten Bildungsgipfel am 14. März die rhetorische Frage, ob es in den Bund/Länder-Verhandlungen am Ende um „Länderegoismus“ gehe, „um möglichst viel Geld für das eigene Land, unabhängig davon, ob man es ausgeben kann“.
Einen Punkt, den auch Kaczmareks Fraktionskollegin Katrin Zschau (Bild) aus Greifswald mit Verweis auf den Lebensalltag von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher ansprach. Brennpunktschulen müssten mit dem Start in die erste Klasse eine Vielzahl von Kompensationsleistungen erbringen und diese durch die gesamte Schulbiografie fortführen. Gerade im Hinblick auf das Startchancen-Programm brauche es einen Paradigmenwechsel: „Wo ungleiche Verhältnisse anzutreffen sind, muss auch ungleich gehandelt und reagiert werden.“
Die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Nina Stahr (Bild) begrüßte, dass der Bildungsbericht einen Fokus auf das Bildungspersonal gelegt habe, denn bessere Arbeitsbedingungen seien geboten, gerade nach den Erfahrungen während der Corona-Zeit: „Warme Worte reichen nicht“. Wichtige Beiträge dazu eröffnen für die Berliner Abgeordnete das Kita-Qualitätsgesetz und das Vorhaben zur Schaffung eines bundeseinheitlichen Rahmens für die Erzieher:innen-Ausbildung: „Sie soll endlich überall vergütet und schulgeldfrei sein“. Ihre Fraktionskollegin, die parlamentarische Geschäftsführerin Prof.in Dr.in Anja Reinalter (Biberach; Bild) plädierte dafür, die berufliche Bildung an den Gymnasien zu stärken (u.a. mit dem Bundesprojekt zur digitalen Berufsorientierung in den siebten Klassen) und damit der Beruflichen Bildung neuen Schwung zu geben.
Unstreitig war für alle Redner:innen in der Debatte, dass der Nationale Bildungsbericht in vielen Punkten als „ein zentraler Bericht für politische Entscheidungen“ (Kaczmarek) gelten darf. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner (Regensburg, Bild) lenkte zum Schluss die bildungspolitische Debatte auf die „Gretchenfrage“: die Finanzierung.
Der dafür zuständige Bundesfinanzminister war jedoch nicht im Bundestag, und auch kein Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion ergriff in der Debatte das Wort.