Oliver Kaczmarek: Beitrag für den zwd
Zu viele Schülerinnen und Schüler, die in der vierten Klasse die Mindeststandards nicht erreichen, Zunahme der geschlechtsspezifischen Disparitäten, deutliche Auswirkungen der häuslichen Lernumgebung auf den Bildungserfolg und vor allem, eine weitere Verstärkung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Bildungserfolg – die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends zeigen nicht nur bekannte Trends der Bildungsungleichheit, sie belegen sogar eine Zunahme.
Die Corona-Pandemie war in dieser Hinsicht ein Brandbeschleuniger. Sie hat den Handlungsbedarf insbesondere bei leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern, die oft in besonderen sozialen Lagen leben, verstärkt. Mit dem Corona-Aufholprogramm von Bund und Ländern sollten Angebote zum Aufholen von Corona-bedingten Leistungsrückständen gemacht werden. Zudem sollte auch die individuelle Begleitung von Schülerinnen und Schülern durch zusätzliches Personal in den Schulen und Angebote der außerschulischen Bildung und Jugendarbeit sichergestellt werden. Das Programm war zeitlich begrenzt angelegt. Jetzt, wo die vom Bund bereitgestellten zwei Milliarden Euro aufgebraucht werden, stellt sich die Frage, wie mit den geschaffenen Strukturen weiter umgegangen werden soll.
Klar ist, der Aufholprozess ist keine temporäre Aufgabe, die nach der Pandemie irgendwann abgeschlossen werden kann, es geht um die konsequente Bekämpfung eines Strukturdefizits in unserem Bildungssystem. Es geht darum, den Anspruch der Chancengleichheit für alle politisch dauerhaft einzulösen. Deshalb ist es auch richtig, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, die die kurzfristige Programmlogik an den Schulen zugunsten der nachhaltigen Stärkung durch mehr Personal und dauerhaft gute Rahmenbedingungen überwinden. Um sich vor Krisen besser schützen zu können, ist die Stärkung der Resilienz des Bildungswesens unabdingbar.
Der Bund will dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Mit dem Startchancenprogramm hat die Ampel-Koalition ein Programm vereinbart, das 4.000 Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen erreichen soll. Diese sollen mit zusätzlicher Schulsozialarbeit sowie mit zusätzlichen Mitteln für Investitionen in Räume und in eigene Programme oder Fördermöglichkeiten durch Schulbudgets ausgestattet werden. Hinzu kommen 4.000 weitere Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen, die ebenfalls mit Schulsozialarbeit ausgestattet werden sollen. Das ist ein wichtiger Teil der richtigen Antwort auf die Herausforderungen, die der IQB-Bildungstrend uns aufzeigt. Der Aufbau und die Aufrechterhaltung langfristig wirkender Strukturen ist in jedem Fall einer weiteren Verlängerung der Programmlogik vorzuziehen.
Der Bund und die Länder verhandeln derzeit über die Ausgestaltung des Förderprogramms. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist dabei besonders wichtig, dass das Startchancenprogramm nicht mit der Gießkanne, sondern im Wesentlichen den Bedarfen folgend verteilt wird. Wichtig ist auch, dass es anschlussfähig ist an bestehende Länderprogramme, gleichwohl aber bestehende Länderprogramme nicht einfach mit Bundesmitteln weiter finanziert, sondern zusätzliche Aktivitäten auslöst. Diese Forderungen wurden unlängst auch auf einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion mit rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Schulpraxis diskutiert und bekräftigt.
Die Notwendigkeit, die der IQB-Bildungstrend aufzeigt sowie die Förderlücke, die durch das Auslaufen des Corona-Aufholprogramms entstehen kann, zeigt, dass der Programmstart so früh wie möglich, jedenfalls vor 2024, erfolgen muss. Denkbar ist, dass einzelne Schulformen etwas früher als andere in das Programm starten. Oder das Schulbudget könnte als erste Säule des Programms ausgelöst werden, denn sie ist im Gegensatz zum erheblichen Aufwuchs in der Schulsozialarbeit oder die Umsetzung von Baumaßnahmen ohne Zeitverzug umsetzbar. Nur zwei von sicher mehreren Möglichkeiten, auf die Probleme, die der IQB-Bildungstrend wieder einmal aufgezeigt hat, mit einem entschlossenen Start des Startchancenprogramms zu antworten.
Für die SPD-Bundestagsfraktion wäre das nicht nur ein möglicher Weg. Das wäre zudem ein unbedingt notwendiges Signal, dass die Ampel-Koalition die aktuellen Studien und die Lage an den Schulen ernst nimmt und sich der wachsenden Bildungsungleichheit mit aller Kraft entgegenstemmt. Es ist klar, dass dafür Geld mobilisiert werden muss, in der schwierigen Haushaltslage von Zeitenwende und Energiepreiskrise, in der Bund, Länder und Kommunen sich befinden. Dafür ist beharrliche Arbeit notwendig. Aber die ist unabdingbar. Es nicht zu versuchen, ist jedenfalls keine Alternative.