DR: ERNST DIETER ROSSMANN : Warum die Förderung von Altersbildung so wichtig ist

28. August 2024 // Dr. Ernst Dieter Rossmann

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat am 30. Mai das erste bundesweite Einsamkeitsbarometer vorgestellt. Die Analyse steht im Zusammenhang mit der Einsamkeitsstrategie, die von der Bundesregierung auf Vorlage des für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständigen Bundesministeriums (BMFSFJ) im Dezember letzten Jahres beschlossen worden ist. Dr. Ernst Dieter Rossmann, ständiger Kolumnist im zwd-POLITIKMAGAZIN und Ehrenvorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbandes, sieht einen Schlüssel der Strategie gegen Einsamkeit in der Förderung der Altersbildung.

Lachen, Laufen, Lernen

Weshalb die Förderung der Altersbildung so wichtig ist

von Dr. Ernst Dieter Rossmann

Manchmal sind es in der Politik auch kleine Veränderungen, die langfristig große Wirkungen einleiten können. So hat das Bundeskabinett am 5. Juni 2024 im Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 beschlossen, bei der Abgrenzung des Bildungsangebots zur reinen Freizeitgestaltung auf das bisher gültige Kriterium „Teilnehmerkreis“ zu verzichten. Bildungsangebote für Rentner an Einrichtungen wie z.B. den Volkshochschulen werden damit nicht mehr grundsätzlich von der staatlichen Ermäßigung bei der Mehrwertsteuer ausgeschlossen. Was hier auf den ersten Blick als kleinteilige steuerfachliche Marginalie unter vielen daherkommt, hat eine grundsätzliche Bedeutung in Bezug auf den ganzheitlichen Bildungsbegriff des lebenslangen Lernens für jeden Menschen, für jedes Alter und für jede Generation.

Wenn wir von Alter sprechen, ist damit keine Minderheit gemeint, ganz im Gegenteil. Bis zum Jahr 2030 dürfte der Anteil der über 65-jährigen auf fast 30 % der Bevölkerung anwachsen und der Anteil der über 85-jährigen auf

4 Prozent mit in den Folgejahren deutlich steigender Tendenz. Wir müssen uns also auch darauf vorbereiten, dass die Zahl der Menschen mit einer schrittweise zunehmenden Altersdemenz stark anwachsen wird. Dabei wird es bei allen alterstypischen körperlichen und geistigen Veränderungen sehr diverse Lern- und Bildungsverläufe im Alter geben vor dem Hintergrund des bisherigen „Lebenskapitals“ an Wissen und Fähigkeiten, Interessen und Emotionen, sozialen Beziehungen und Identitäten. Die Beteiligungen der Älteren in den Lern- und Bildungskontexten, ihre Weiterbildungsbereitschaft und -fähigkeit sind natürlich mitgeprägt durch die bisherigen Lern- und Bildungserfahrungen. Bildungsferne und Bildungsfrustration sind im Alter nicht automatisch überwunden. Menschen mit einer geringeren Grundqualifikation, Menschen in unteren Einkommensschichten und Menschen aus Migration sind benachteiligt, wenn es um Lernen und Bildung im Alter geht.

Nur sollte das nicht so sein und darf es nicht so bleiben. Die Bedeutung von Alterslernen und Altersbildung muss endlich als Aufgabe bei der Politik, den Sozialpartnern, den sozialen Organisationen, den Medien ankommen und als Chance für ein gutes Leben auch im Alter in der gesamten Gesellschaft angenommen werden. Als Beitrag zur Gesundheitsprävention und zur Gesundheitspflege, als ein Mittel gegen die stärker aufkommende Einsamkeit, als Brücke in die politische und gesellschaftliche Teilhabe und Gestaltung von Zukunft, als Menschenrecht auf Bildung und individuelle Bereicherung und persönliches Glück.

Franz Müntefering, der Bundesvorsitzende der BAGSO, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen und sozialdemokratische „Meister der knappen Worte“, bringt es mit seiner Theorie von den „drei L“, nämlich Lachen, Laufen, Lernen, als Essentials für ein gutes Altwerden auf den Punkt. Was von ihm als „Rezept“ für die persönliche Lebensgestaltung eingängig zugespitzt wird, ist in seiner Wirksamkeit aber entscheidend von den sozialen und emotionalen, den räumlichen wie den materiellen Gesamtbedingungen des Lebens im Alter her bestimmt. Dies ist in seiner Ganzheitlichkeit politisch zu unterstützen und zu stimulieren. Alterspolitik muss über Rentenpolitik, Gesundheits-und Pflegepolitik hinausgehen: Alterspolitik muss auch Bildungspolitik werden.

Die Frage ist noch zu beantworten, ob die Gesellschaft der Zukunft an den Lernmöglichkeiten und Bildungsbedürfnissen der Menschen im Alter vorbeigeht oder ob die Menschen im Alter Teil der Bildungsgesellschaft der Zukunft sein werden. Das Menschenrecht auf Bildung muss dabei über dem ökonomischen Kalkül der Verzinsung von Bildungsinvestitionen stehen. Und wenn schon Rendite: Auch lernbereite, neugierige, aktive und den Menschen und der Welt zugewandte ältere Menschen strahlen in die Gesellschaft zurück, in die Familie, in die Nachbarschaft, das weitere Umfeld und eine generationsübergreifende Lern- und Bildungskultur. Altersbildung hat „Rendite“ – individuell wie gesamtgesellschaftlich.

Lernen und Bildung im Alter werden damit eine große gemeinsame Gestaltungsaufgabe für Bund, Länder und Kommunen. Aktuell fehlt es dafür noch an Programmatik und Priorität für ein Gesamtkonzept „Lernen und Bildung 65 Plus“. Dabei wissen doch alle: Der demographische Wandel ist im Gange. Die Sache drängt. Es braucht jetzt zügig die Aufnahme der Altersbildung in ihren vielfältigen Formen in die Sozial- und Bildungsgesetzbücher und in die Förderung der Bildungsinfrastruktur – sächlich wie personell.

Konkrete Stichworte hierfür sind z.B. die Einrichtung von Bildungshäusern für alle Generationen, „Dritte Orte“ in Stadtteilzentren, Bibliotheken, Volkshochschulen, Lernclubs analog wie digital, Bildungsgutscheine nach freier Wahl und „Alterspässe“ zur Weiterbildung, Strukturen der aufsuchenden Bildungsarbeit und professionelle wie ehrenamtliche Altersbildner. Weshalb sollte es neben dem „Sportabzeichen“ nicht auch ein „Lernabzeichen“ geben, weshalb zum „Essen auf Rädern“ nicht auch eine „Bildungsstunde auf Rädern“, weshalb bei den Freiwilligendiensten für Kultur, Sport und Ökologie nicht auch solche für „Altersbildung und Lernpartnerschaften“, weshalb Nachbarschaftshilfe nur bei „Pflege“ und nicht auch bei Einsamkeit durch „Zeitspenden mit Bildung“. Lernen und Bildung im Alter bieten viele Chancen für mehr Lebensqualität. Sie verdienen es, aufgegriffen zu werden.

Erstveröffentlichung im zwd-POLITIKMAGAZIN 402

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