"Die Hälfte der Macht den Frauen"
Grüner Gesetzentwurf für mehr Frauen im Bayerischen Landtag
Auf einer Pressekonferenz am 17. Februar haben die Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze (rechts im Bild) und die frauenpolitische Sprecherin Eva Lettenbauer den Gesetzentwurf der bayerischen Landtagsfraktion von Bündnis'90/Die Grünen vorgestellt. Beide Politikerinnen begründeten den Gesetzentwurf mit dem Handlungsauftrag sowohl der bayerischen Landesverfassung (Art. 118, Abs. 2) als auch des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2). Sie forderten, den Gleichberechtigungssatz "Frauen und Männer sind gleichberechtigt" nicht länger zu ignorieren und den Auftrag an den Staat ernst zu nehmen, die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" zu fördern und auf die "Beseitigung bestehender Nachteile" hinzuwirken. Wörtlich heißt es dazu in dem Gesetzentwurf im Paragrafen 1: "Anders als in der Verfassung deutlich vorgegeben, verleugnet das Wahlrecht seit Jahrzehnten dem Umstand, dass Frauen in der Landespolitik drastisch unterrepräsentiert sind." Lettenbauer wies darauf hin, dass die Forderung, den Frauen die Hälfte der Macht zu geben, leicht gesagt sei. Es reiche aber nicht, einfach Ziele auszugeben. Vielmehr sei die Politik dafür verantwortlich, den über sechs Millionen Frauen in Bayern die Hälfte der Macht zuzusichern. Der in diesem Sinne auf Verfassungsänderungen sowie auf eine Novellierung des Landeswahlrechts abzielende Gesetzentwurf geht nach Angaben der Grünen-Fraktion auf ein von Ihr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Professorin Silke R. Laskowski (Universität Kassel) zurück. Sie ist auch Mitglied der Wahlrechtskommission des Deutschen Bundestages.
Wie Schulze und Lettenbauer erläuterten, orientiert sich der Gesetzentwurf zum einen an Regelungen, wie sie etwa in Frankreich gelten. Zum anderen knüpft er an den Reformvorschlag zur Begrenzung der Bundestagsmandate an, der aktuell im Zuge der Reform des Wahlrechtsreform im Bundestag beraten wird.
Die wesentlichen Eckpunkte des Grünen-Gesetzentwurfs:
1. Immer zwei Stimmkreise werden zu einem zusammengefasst (künftig gibt es 44 statt 91 Stimmkreise) und aus diesen dann deutlich größeren Stimmkreisen wird je ein Stimmkreis-Duo direkt in den Landtag gewählt. Dieses Duo besteht aus einer Frau und einem Mann. Die Wähler*innen haben daher künftig 2 Erststimmen. Es können innerhalb eines Stimmkreises auch zwei Kandidierende unterschiedlicher Parteien gewählt werden. So wird die Zahl der Direktmandate für Frauen angehoben und die Wahlfreiheit der Wähler*innen gesteigert.
2. Nach Auszählung der bei einer Landtagswahl abgegebenen Stimmen werden alle weiteren Sitze im Landtag, die einer Partei v.a. über die Zweitstimme (Listenmandate) zustehen, geschlechterparitätisch verteilt. Dazu werden die Sitze abwechselnd auf die Kandidatin mit der jeweils höchsten Stimmzahl und dann auf den Kandidaten mit der jeweils höchsten Stimmzahl verteilt. So soll sichergestellt werden, dass nicht nur über die Erststimme, sondern auch über die Wahlkreislisten ein höherer Anteil Frauen in den Landtag gewählt wird.
3. Um intergeschlechtlichen Personen Rechnung zu tragen, werden stets auch Personen, die sich als inter* identifizieren, für alle Kandidaturen zugelassen. Das heißt, Personen mit der Geschlechtsbezeichnung "divers" oder ohne Geschlechtseintrag können wählen, für welchen Teil des Stimmkreisduos sie kandidieren. Auch bei der paritätischen Mandatszuteilung der Listenmandate werden sie berücksichtigt.
4. In der Bayerischen Verfassung wird festgelegt, dass die Hälfte der Mitglieder der Staatsregierung weiblich sein muss.
Derzeit sind lediglich 27 Prozent der gewählten Abgeordneten des Bayerischen Landtags Frauen. Nach der Wahl 2013 waren es noch ca. 28 Prozent. Der Frauenanteil im Landesparlament ist damit zum zweiten Mal in Folge gesunken. Und in der Bayerischen Staatsregierung stellen Frauen 5 von 18 Kabinettsmitgliedern (27,8 Prozent).
Verfassungsänderung erforderlich
Der Gesetzentwurf sieht Änderungen an drei Artikeln der Bayerischen Verfassung vor, über die nach einem Zwei-Drittel-Beschluss des Parlaments die Bürger*innen abstimmen können. Sie umfassen die notwendige Stimmkreisreform sowie die Absicherung eines hälftigen Anteils von Frauen unter den Mitgliedern des Landtags und der Staatsregierung.
Darüber hinaus müssen "für die praxisgerechte Umsetzung" mehrere Artikel des Landeswahlgesetzes angepasst werden. So sollen in Zukunft jeder Wählerin und jedem Wähler jeweils drei Stimmen zur Verfügung stehen, mit der je eine weibliche/diverse Stimmkreiskandidatin und ein männlicher/diverser Stimmkreiskandidat (Erststimmen) sowie eine Person eines Wahlkreisvorschlags (Zweitstimme) gewählt werden können.
Laskowski: Gesetzentwurf ist "innovativ, komplett neu und verfassungskonform"
Die von der Grünen-Fraktion beauftragte Sachverständige Prof.in Laskowski bewertete den Gesetzentwurf als "mutigen Schritt". Er verfolge nicht nur verfassungsrechtlich legitimierte Zielsetzungen, sondern eröffne mit seinen Verteilungsregelungen auch innovative Wege zu einem neuen Wahlrecht. Er könne sich dabei auf entsprechende Entscheidungen des Europäischen Menschengerichtshofes stützen. Der Vorschlag, die Zahl der Stimmkreise zu halbieren und in den neu geschnittenen Wahlkreisen jeweils einen Mann und eine Frau zum Zug kommen zu lassen, ist nicht ganz neu. Ein ähnliches Modell hatte auch der frühere Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) schon 2019 zur Diskussion gestellt (vgl. zwd-Gespräch mit Oppermann am 15. Februar 2019).
Zur Historie:
Bereits im Jahr 2019 hatten SPD und Grüne im Bayerischen Landtag zwei Gesetzesentwürfe eingebracht: Die SPD-Fraktion plädierte für die Einführung eines „Reißverschlussverfahren“ (Drs. 18/51 vom 12.1.2019). Der Gesetzentwurf der Grünen (Drs. 18/206 vom 29.1.2019) zielte darauf ab, die Bayerische Verfassung (BV) so zu ändern, dass grundsätzlich mindestens die Hälfte der Mitglieder des Landtages sowie der Staatsregierung weiblich oder divers sein sollten (Art. 13 Abs. 1 und Art. 43 BV), und zwar sowohl in den Landeslisten als auch bei den Direktmandaten. Für letztere sollten Wahlkreis-Duos aufgestellt werden (Art. 28 Abs. 1 BayLWG). . Beide Gesetzentwürfe waren am 2. April 2019 im Bayerischen Landtag diskutiert und im Anschluss mit den Stimmen der CSU, der Freien Wähler, der FDP und der AfD abgelehnt worden (Protokoll des Bayerischen Landtags 18/14 vom 2.4.2019, Seiten 1195 ff.). Die CSU hatte in der Debatte ihre Ablehnung damit begründet, die Gesetzentwürfe seien verfassungswidrig und bevormundeten die Wähler:innen.
Gestützt auf das Gutachten von Prof.in Silke R. Laskowski (Universität Kassel) starteten die Grünen einen neuen Anlauf. Am 2. März 2023 wurde der Gesetzentwurf im Landtag in erster Lesung erörtert. Dabei wurde deutlich, dass nicht nur CSU, FDP und Freie Wähler den Gesetzentwurf ablehnen, sondern auch die SPD die Vorlage ablehnt. Das vorläufige Protokoll zur Landtagssitzung finden Sie hier.
LINKS
Der Link zum neuen Gesetzentwurf (2023) der grünen Landtagsfraktion. Der Link zum Rechtsgutachten ("Gesetzliche Paritätsregelungen im Bayerischen Wahlrecht") von Prof.in Laskowski.