Bereits vor der Beratung des Bundestages über den Nationalen Bildungsbericht hatte sich abgezeichnet, dass es auf die Einladung von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger aus dem politischen Raum Absagen hageln würde. Besonders die Opposition hatte die Ministerin bei den Beratungen am 18. Januar im Bundestag mit geharnischter Kritik überzogen (Bericht siehe unten). Sie sei eine bloße Ankündigungsministerin und bekäme mit ihrem Haus nicht einmal die wichtigsten Aufgabenstellungen auf die Reihe - den Start des "Startchancen-Programms" oder den 200-Euro-Zuschuss an Studierende als Ausgleich für den Energiekostenanstieg im laufenden W,intersemester 2022/23, bemängelten Oppositionssprecher:innen. Tatsächlich gibt es auch im Regierungslager Missstimmung angesichts der zögerlich-schleppenden Umsetzung der Ampel-Projekte, allerdings öffentlich verbal nur gekleidet in wohlmeinende Erwartungen: Die Vorhaben müssten jetzt aber wirklich schnell umgesetzt werden, so die bildungspolitischen Sprecher:innen der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek und der Grünen Bundestagsfraktion Nina Stahl.
Auftakt zu einem wirklichen Bildungsgipfel
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum der Bildungsgipfel, der am (morgigen) 14. und 15. März im Berliner Kongresszentrum stattfindet, trotz eines prominenten Aufgebots aus Wissenschaft und Verbänden nur eine Auftaktveranstaltung zu einem wirklichen "Bildungsgipfel" sein kann. Zu erinnern ist daran, dass frühere Bundeskanzler den seit den 60-er Jahren schwelenden "Bildungsnotstand" zur Chefsache machten – so beispielsweise Kurt Georg Kiesinger (CDU, 1966-1969), Willy Brandt (SPD, 1969-1974: "Bildung steht an der Spitze der Reformen ..."), Helmut Kohl und Angela Merkel (beide CDU). Kanzlerin Merkel stellte sich 2008 sogar an die Spitze der Einladungsliste zu einem nationalen Bildungsgipfel und rief bei dieser Gelegenheit die "Bildungsrepublik Deutschland" aus. Doch die Folgen dieser Initiative blieben überschaubar und die Bildungsministerinnen der Ära Merkel (Annette Schavan, Aberkennung ihres Doktorgrades), Prof.in Dr.in Johanna Wanka (Der Spiegel: "Keinen schlechten Job gemacht, aber glanzloser Abgang") und die Hotelkauffrau Anja Karliczek (galt allgemein als überfordert und wurde von Medien und Bundesrechnungshof vorgeführt) konnten in ihrer jeweiligen Amtszeit keine echten Glanzpunkte setzen – teils wegen fehlenden Unterstützung durch die Bundesfinanzminister, teils wegen der Abwehrhaltung der Länder, die sich eine Mitwirkung des Bundes mit Hinweis auf den geltenden Föderalismus entgegenstellten, und auch nicht zuletzt mit Rücksicht auf ihre Partei, die Union.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) anerkannte wohl die Notwendigkeit durchgreifender Reformen, überließ aber beim Koalitionsvertrag der Ampel das bildungspolitische Tagesgeschäft dem Koalitionspartner FDP, die dann das Ressort mit der fachlich unerfahrenen damaligen Bundestags-Finanzausschuss-Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger besetzte. Das rächt sich nun. Trotz vieler eloquenter Pressemeldungen gelang es der FDP-Politikerin aus Frankfurt bislang nicht, eigene nachhaltige Akzente zu setzen und Profil zu gewinnen.
Schon jetzt eine vertane Chance?
Das hätte mit dem Bildungsgipfel anders sein können. Statt eines viertelstündigen Grußworts an die Teilnehmenden der Konferenz war zu erwarten gewesen, dass Stark-Watzinger die Chance nutzt, in einer groß angelegten bildungspolitische Grundsatzrede die Leitlinien der Bundesbildungspolitik bis zum Ende des Jahrzehnts zu umreißen. Dazu gehört freilich ein Bildungsplan, um Auswege aus der von der Ministerin zutreffend beschriebenen "tiefen Krise des Bildungssystems" zu weisen. Der Plan, eine Art Bildungsgesamtplan wie zu Zeiten der sozialliberalen Koalition Anfang der 70-er Jahre, als die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher als Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium dazu die Feder führte, ist nicht in Sicht. Die Forderung nach "mehr Zusammenarbeit", so richtig sie ist, geht zunächst einmal an ihre eigene Adresse.
Die Chance wäre damit vertan. Der hessische CDU-Kultusminister Lorz hat im ZDF die Gründe veranschaulicht, warum die Unionsminister:innen und viele andere Kultusminister:innen, selbst mit dem Parteibuch der Ampel-Parteien, dem Gipfel fernbleiben: "Wenn man so etwas wirklich so groß anlegen will, dann muss man das anders aufsetzen. Dann muss es Vorabsprachen geben, über die Terminfindung sowieso. Aber eben auch über die Struktur des Prozesses, über die Themen, die zu behandeln sind". Daran fehle es an allem, resümiert Lorz seine politische Ohrfeige an die Ministerin.
Mehr Investitionen in marode Schulen und besser bezahlte Lehrkräfte
Die wiederum beklagt in der BILD-Zeitung die bürokratischen Umstände, die verhindert hätten, dass von den fünf Milliarden des sogenannten Digitalpakts bislang zu wenig an den Schulen angekommen sei. Die Schulen bräuchten nicht nur Tablets und WLAN, sondern auch Investitionen in marode Gebäude, besser bezahlte Lehrkräfte und mehr Wertschätzung für deren Arbeit. Das sind zwar wohlfeile Worte, die die Gäste aus den Lehrkräfteverbänden, Eltern- und Schüler:innen-Organisationen auf den Podien des Bildungsgipfels gern hören dürften. Doch Adressatin dieser Stark-Watzinger-Worte sind wiederum die Länder, die ihrerseits mit dem Finger auf den Bund zeigen und im Übrigen auf fehlende Finanzmittel (aus Steuern) verweisen. Anders als in der Ära des bisher einzigen FDP-Bundesbildungsministers mit Profil Jürgen W. Möllemann, der sich uneingeschränkt auf seine Parteichefs Hans Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorf verlassen konnte, hat die jetzige Bundesbildungsministerin nicht den notwendigen Rückhalt. An dieser Einschätzung ändert auch nichts, dass der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner eine Milliarde Euro für das von der Ampel auf Initiative der Liberalen geplante Startchancen-Programm bereitzustellen verkündet hat. Die Mittel erreichen gerade einmal 4.000 Schulen.
Ein Fachtagung auf hohem Niveau
Wer den "Bildungsgipfel" als Auftakt zu einem wirklichen Bildungsgipfel begreift, kann mit dem öffentlich per Livestream zugänglichen Programm durchaus zufrieden sein. Viele Wissenschaftler:innen mit Rang und Namen in der Bildungsforschung sind auf den Podien und in den Foren vertreten. Auch die Themenauswahl wird den Ansprüchen an eine Bundestagung gerecht. Doch die Frage, was unter dem Strich herauskommen soll, bleibt einstweilen unbeantwortet. Dieter Zielinski, Bundesvorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG) mahnte die Ministerin schon einmal vorweg: "Organisieren Sie einen Bildungsgipfel, der ihrem selbstgesteckten Anspruch gerecht wird".
Hier der Link zum Programm.