VERA-VERGLEICHSARBEITEN [UPDATE] : Strategie soll helfen: Erhebliche Lernrückstände bei Schüler:innen

31. Juli 2024 // Ulrike Günther

Grundschüler:innen sollen schon am Anfang Basiskompetenzen erwerben. Dafür setzt die Berliner Senatsverwaltung auf eine neue Strategie. Bei den VERA-Tests schafften über zwei Fünftel der Drittklässler:innen nicht den Mindeststandard, von Achtklässler:innen bis zu drei Viertel. In Baden-Württemberg, wo die Arbeiten besser ausfielen, stärkt das grüne Kultusministerium Grundfähigkeiten mit einer Reform.

Schon am Schulbeginn sollten Kinder Basiskompoetenzen erwerben. - Bild: Pixmio/ Angela Rucker
Schon am Schulbeginn sollten Kinder Basiskompoetenzen erwerben. - Bild: Pixmio/ Angela Rucker

zwd Berlin. In den vorigen 12 Monaten habe man "intensiv daran gearbeitet", die in Aussicht gestellte "Qualitätsstrategie" zu entwickeln, erklärte die Senatsverwaltung anlässlich der Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Bildungsqualität zu steigern und zu gewährleisten, dass Schüler:innen bei Vergleichsarbeiten Regelstandards erreichen und "bereits in den ersten Grundschuljahren" im Lesen, Schreiben, Rechnen grundlegende Fähigkeiten erwerben, bleibe das "oberste() bildungspolitische Ziel" des Landes Berlin. .

Senatorin Günther-Wünsch setzt auf geplante Qualitätsstrategie

Die Senatorin für Bildung Katharina Günther-Wünsch (CDU) nannte die VERA-Resultate „besorgniserregend“. Ein Resultate zeigten einen erneuten Rückgang bei den Leistungen, „sowohl in den Grundschulen als auch in den weiterführenden Schulen“ hätten sich diese verschlechtert, resümierte Günther-Wünsch. Berlin schneide „im Bundesvergleich weiterhin schwach“ ab, das sei „nicht akzeptabel“. Es reiche nicht, wie in vorangegangenen Jahren „immer mehr Ressourcen ins System zu geben“. Stattdessen gelte es, die geplante Qualitätsstrategie umzusetzen, "um die Herausforderungen anzugehen" und eine "Trendwende" zu vollziehen, so die Bildungssenatorin.

Über zwei Fünftel (fast 43 Prozent) der Drittklässler:innen schafften bei den bundesweit durchgeführten VERA 3-Vergleichsarbeiten im Lesen und Zuhören nicht den Mindeststandard (Kompetenzstufe II), im Fach Mathematik knapp die Hälfte (46 Prozent). Mit ihren Leistungen auf dem Regelniveau oder höher lagen demgegenüber 35 Prozent (Mathematik) bis 41 Prozent (Deutsch Zuhören) der Schüler:innen, die Punktzahlen von etwa einem Fünftel (Lesen: 17 Prozent - Zuhören: 23 Prozent) befanden sich oberhalb des Regelstandards (Kompetenzstufe VI oder V). Rund 28.000 Kinder nahmen in Berlin an den Fähigkeitstests teil. Von Mitte April bis Mitte Mai bearbeiteten Grundschüler:innen im gesamten Bundesgebiet (außer Niedersachsen) in Deutsch Aufgaben in mindestens einem der Bereiche Lesen, Zuhören, Orthographie oder Sprachgebrauch, in Mathematik in allen sog. Leitideen, z.B. Zahlen und Operationen oder Raum und Form.

Lesetrainings und Lernförderung sollen Fähigkeiten verbessern

Zu den mit der Qualitätsstrategie anvisierten Maßnahmen gehört laut Senatsverwaltung u.a. ein an Grundschulen einzuführendes "Leseband". Solche regelmäßige Leseförderung gibt es bereits in anderen Bundesländern. Brandenburg und Schleswig-Holstein (als Modellprojekt) haben im 1. bzw. 2. Schulhalbjahr 2023/ 24 15- bis 20-minütige Lesetrainings für Grundschüler.innen an bis zu 5 Tagen pro Woche gestartet, damit die Kinder, wie von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) im Dezember 2022 empfohlen, die Grundkompetenz systematisch einüben und besser lesen lernen. Darüber hinaus ist geplant, sog. Fachleitungsstellen für den Deutsch- und Mathematikunterricht einzurichten, deren Aufgaben es nach Angaben der Senatsverwaltung sei, die individuellen Lernfortschritte on Schüler:innen zu fördern und auf Daten basierte Unterrichtsentwicklung durchzuführen.

Sprachliche wie mathematische Fähigkeiten seien "zentrale Voraussetzungen für den schulischen Erfolg,", ebenso für das berufsbildende Weiterlernen und "die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben", begründete die Bildungsbehörde die Mittel zum Stärken der Schülerleistungen. Mit der „Gesamtstrategie zur Steigerung der Bildungsqualität“ strebt die Senatsverwaltung nach eigenen Aussagen „eine Trendumkehr“ an, durch die bis 2026 „mindestens der gleiche Anteil an Schülerinnen und Schülern in der Primarstufe die sprachlichen und mathematischen Mindeststandards“ erlangt wie zehn Jahre zuvor. Alle Qualitätsmaßnahmen müssten dafür einen Fokus auf diese basalen Kompetenzen legen. Ein bis Anfang 2025 einzurichtendes Landesinstitut für Aus-, Fort- und Weiterbildung soll die Umsetzung der Strategie unterstützen.

Starke Leistungsunterschiede zwischen Schularten

Von den Berliner Achtklässler:innen, die Integrierte Sekundarschulen oder Gemeinschaftsschulen besuchen, reichte ein noch höherer Anteil bei den zwei Monate vorher absolvierten VERA 8-Tests - bezogen auf die Mittlere Reife - nicht an das Mindestlevel heran, im Lesen etwas unter zwei Dritteln (62 Prozent), in Mathematik sogar ca. drei Viertel (74 Prozent). In Orthographie hingegen blieben nur 30 Prozent der Schüler:innen unterhalb des Minimalstandards (Kompetenzstufe I). Bloß 7 bis 8 Prozent der Teilnehmer:innen lösten die mathematischen Testaufgaben auf dem Regelniveau oder darüber, gut ein Fünftel (22 Prozent) bzw. über ein Drittel (36 Prozent) in Lesen und Orthographie. In Englisch als erster Fremdsprache erwiesen sie sich mit 40 Prozent (Leseverstehen) bis 56 Prozent (Hörverstehen) mindestens auf dem Regelstandard als deutlich erfolgreicher. Bundesweit widmeten sich die Jugendlichen im Februar den Aufgaben in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch.

Gymnasiast:innen erzielten in allen geprüften Kompetenzen erheblich bessere Testergebnisse. Im mathematischen Gebiet der Zahlen und Operationen erfüllten 13 Prozent nicht die Mindestanforderungen, bei Daten und Häufigkeit 21 Prozent. Im Lesen entsprachen die Leistungen von 12 Prozent der Schüler:innen nicht der Kompetenzstufe II, in Rechtschreibung nur ein Prozent. Umgekehrt ließen mit 62 Prozent (Mathematik: Zahlen) bis 92 Prozent (Deutsch: Orthographie) beträchtliche Anteile der Jugendlichen Fähigkeiten auf mindestens Regelniveau erkennen, Erfolgsquoten, die sie im Englischen (Hörverstehen: 95 Prozent) noch übertrafen. Etwa 24.000 Schüler:innen beteiligten sich an den Tests in Deutsch, 22.000 an den Vergleichsarbeiten in Mathematik und 23.000 an denen in Englisch, außerdem ca. 330 Schüler:innen an Französischtests. Nach Informationen des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das die VERA-Testaufgaben entwickelt, dienen die Vergleichsarbeiten Lehrkräften wie Schulen als Rückmeldungen über Lernfortschritte und -defizite. Auf der Grundlage der von der Ständigen Konferenz der Kultusminister:innen festgelegten Bildungsstandards prüfen die Tests, inwieweit die Schüler:innen ein Jahr im Voraus bereits über die in der nächsthöheren Klassenstufe erforderlichen Leistungen verfügen.

Ministerin Schopper: Bildungsreform soll Basiskompetenzen stärken

In Baden-Württemberg fielen die VERA 3- und VERA 8-Vergleichsarbeiten etwas günstiger aus. Dennoch verfehlte auch hier ein beträchtlicher Prozentsatz der Schüler:innen die Mindeststandards. Die am 23. Juli vom Ministerrat vereinbarte Bildungsreform nimmt angesichts der Kenntnislücken nach Aussagen der Landesregierung besonders die vorschulische Lernentwicklung in den Blick. Zentral ist dabei laut Kultusministerin Theresa Schopper (Die Grünen) die Sprachförderung, Kinder mit schlechteren Startbedingungen werden intensive Förderung erhalten. Man habe die eindeutige Priorität, dass mit Ablauf der Grundschulzeit „jede und jeder die Basiskompetenzen beherrschen muss“, hob Schopper nach der Kabinettssitzung hervor.

Aus Sicht der Kultusministerin stimmen die VERA-Testergebnisse mit den „bisherigen Analysen“ überein. Ihr Ministerium habe schon „die richtigen Schwerpunkte“ gesetzt, urteilte Schopper anlässlich der Veröffentlichung der Resultate am 10. Juli. Es sei „von großer Bedeutung“, die vorgesehene Bildungsreform „vor allem bei der Frühförderung“ konsequent umzusetzen und dabei Geduld zu beweisen. Der Bildungserfolg sei „nach wie vor stark vom sozialen Hintergrund abhängig“, wertete das Kultusministerium die Vergleichsarbeiten aus. Ebenso würden sich in beiden Klassenstufen große Leistungsunterschiede „zwischen Kindern mit deutscher und einer anderen Alltagssprache“ bemerkbar machen.

Erhebliche soziokulturelle und sprachbezogene Disparitäten

Rund ein Viertel der baden-württembergischen Drittklässler:innen scheiterten im Lesen (24 Prozent) und Zuhören (28 Prozent) am Mindestniveau, in Mathematik 29 Prozent. Über die Hälfte (Mathematik:53 Prozent, Zuhören: 56 Prozent) zeigten andererseits Fähigkeiten auf dem Regelstandard oder darüber (Kompetenzstufen III – V). Von den Achtklässler:innen unterbot im Lesen etwas mehr als ein Fünftel (22 Prozent) die Minimalanforderungen für den Mittleren Schulabschluss,, in Mathematik knapp ein Drittel (32 Prozent) – mit beachtlichen Unterschieden zwischen den Schularten. Während sich an den Haupt-/ Werkrealschulen die Leistungen von 59 Prozent (Lesen) bzw. 75 Prozent (Mathematik) der Jugendlichen Kompetenzstufe I (unter Mindeststandard) zuordnen ließen, waren es an den Gymnasien lediglich 2 Prozent (Lesen) bzw. 3 Prozent (Mathematik). Weitaus bessere Ergebnisse brachten sie in Englisch zustande, mit durchschnittlich 19 Prozent (Leseverstehen) bzw. 11 Prozent (Hörverstehen) auf unterster Stufe.

Den Daten des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) zufolge variierten bei VERA 3 die Testergebnisse unter dem Mindestlevel zwischen Schüler:innen mit deutscher und nicht deutscher Alltagssprache um bis zu 49 Prozentpunkte (Deutsch Zuhören), bei VERA 8 um bis zu 36 Prozent (Deutsch Zuhören), im Hörverstehen in Englisch jedoch nur um 8 Prozent. Erhebliche Disparitäten ergaben sich auch je nach dem in Familien vorhandenen kulturellen Kapital: Mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Schüler:innen der dritten Klassen mit 10 oder weniger Büchern daheim unterschritten im Lesen mit ihren Leistungen das Mindestniveau, gegenüber bloß 12 Prozent in Elternhäusern mit über 200 Büchern, bei den Achtklässler:innen waren es 52 Prozent (bis zu 10 Bücher) im Verhältnis zu 15 Prozent (über 200 Bücher). Insgesamt nahmen in dem Bundesland ca. 85.000 Grundschüler/innen an den VERA 3-Vergleichsarbeiten teil, etwa 78.000 Jugendliche an den VERA 8-Tests in Deutsch und Mathematik, ungefähr 76.000 Schüler:innen an den Kompetenztests in Englisch.

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