Jubel bei der AfD und nicht entkräftete Vorwürfe, Merz habe bei der AfD „abgeschrieben“
Die Strategen im Konrad Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU, und im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale der FDP konnten es ebenso wenig fassen wie Bundestagsabgeordneten der beiden Fraktionen, die bedröppelt zusehen mussten, wie sich AfD-Politiker:innen am Mittwoch nach der Abstimmung des Fünf-Punkte-Plans von Friedrich Merz in den Armen lagen und feixend im Richtung der Fraktionsspitzen von Union und Liberale blickten. Schlimmer noch die AfD-Vorwürfe gegen den Kanzlerkandidaten der Union, er habe von der AfD "abgeschrieben", was diese seit sieben Jahren gefordert habe. Größer konnte der Schaden für den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz und dessen Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei sowie für die Mitstreiter des heimlichen Koalitionspartners, der FDP um Christian Lindner, Christian Dürr und Wolfgang Kubicki nicht sein. Sie werden wohl noch alle am 23. Februar und danach einen hohen Preis zahlen müssen. (Anmerkung: Und hoffentlich nicht auch die deutsche Demokratie.)
Ausgerechnet am 31. Januar: eine Machtdemonstration eines "entschlossenen Machers"
Statt innezuhalten und den Schaden nach den Tabu-Bruch des Zusammengehens mit der AfD auf jenen Mittwoch (29.01.25) zu begrenzen, legten Merz & Co zwei Tage (31.01.25) später noch eins drauf und wollten auf Biegen und Brechen einen fragwürdigen Gesetzentwurf ("Zustrombegrenzungsgesetz") mit Hilfe der AfD durchsetzen. [Der 31. Januar 1933 war - einen Tag nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler - bekanntlich der Tag der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. An jenem Tag wurde das erste "Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" verabschiedet, wodurch die kommunale Selbstverwaltung und die Landtage aufgelöst sowie alle Regierungen von der NSDAP und DNVP übernommen wurden.] Eine Machtdemonstration des entschlossenen "Machers" sollte im Bundestag aufgeführt werden.
Warnungen gab es viele, aber Merz wollte sie nicht wahrhaben
Nicht rechts und nicht links schauend, wo doch eigene Parteifreunde - Länderregierungschefs Kai Wegner (Berlin) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein) - den CDU-Chef gewarnt hatten, die Kooperationsbereitschaft von SPD und Grünen auszuschlagen. Wegner hat unmissverständlich klargestellt, dass sein Land einem nur mit Stimmen der AfD zustande gekommenen Gesetz im Bundesrat seine Zustimmung verweigern würde. In seinem Tunnelblick hatte sich Merz bereits so verrannt, dass er den Ausweg nicht mehr sehen mochte, seinen Gesetzentwurf noch einmal in die Ausschüsse zu verweisen. Selbst die Warnung der BILD-Zeitung, der Gesetzentwurf könnte scheitern, hat der CDU-Chef nicht sehen wollen. Dabei hatte ihm ein Dutzend Fraktionsmitglieder schon signalisiert, den Weg der Inanspruchnahme der AfD als Mehrheitsbeschafferin nicht mitgehen zu wollen. Doch Merz rechnete auf die Nibelungentreue seines erwünschten Koalitionspartners FDP. Ein Fehler: Hatte nicht der Berliner CDU-Regierungschef Kai Wegner beim Neujahrsempfang des Berliner TAGESSPIEGEL schon vor einem Zusammengehen mit den Freien Demokraten gewarnt und deren Zuverlässigkeit in Zweifel gezogen? Und Lindner bescheinigt Wegner, er laufe gern vor der Verantwortung weg. Hinterher wird Lindner auch von der Union vorgehalten, er habe seine Fraktion nicht mehr "im Griff".
Von der Bundesregierung eingebrachte Sicherheitsgesetze konnten den Bundestag nicht passieren
Auch warnende Stimmen wie die von Angela Merkel wollte Merz wollte in seinem Bemühen, sich als entschlossener „Macher“ zu zeigen, nicht zur Kenntnis nehmen. Er gab ihr stattdessen eine Mitschuld an der aktuellen Migrationsproblematik, wie er sie sieht. Er wollte auch nicht anerkennen, dass in der Bekämpfung der irregulären Migration die Bundesregierung Erfolge hat verzeichnen können. Es passte ihm nicht in seine Strategie der Vergiftung des politischen Klimas, dass dem Bundestag Sicherheitsgesetze aus der Zeit der Ampel vorliegen, die nur verabschiedet werden müssten.
Vorboten einer antidemokratischen Autokratie: „So einer kann nicht Kanzler werden“
Nun ist Merz krachend gescheitert. Er muss damit leben, dass sein Vorgehen - laut Meinungsumfragen - sein Ansehen und seine Glaubwürdigkeit irreparabel beschädigt hat. „So einer kann nicht Kanzler werden“, ist eine inzwischen weit verbreitete und von Parteienforschern gestützte Überzeugung, auch wenn noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang sie das Wahlvolk erreicht. Statt noch einmal abzuwägen, hat der Unionschef sogar sein Bedauern über das Abstimmungsergebnis zum Ausdruck gebracht und zugleich die Schuldigen dieses plump gescheiterten Wahlmanövers schnell benannt: SPD und Grüne hätten sich verweigert.
Eine Unwahrheit, die kaschieren soll, dass die beiden ehemaligen Ampel-Parteien sehr wohl bereit gewesen waren, mit Merz über Verschärfungen bei der Abschiebepraxis und andere Themenkomplexe zu verhandeln - allerdings auf der Grundlage von Rechtstaatlichkeit und Einhaltung des europäischen Rechts. Gab es nicht Initiativen der Bundesregierung, die von den CDU/CSU-Ministerpräsidenten im Bundesrat abgeschmettert worden waren? Merz bestand darauf, seine Vorlage müsse zu seinen Bedingungen Gesetz werden - in einer Autokratie wohl üblich, aber in einer Demokratie, die von Kompromiss und Konsens lebt, schlicht unanständig. Europäische Länder, die sich bereits von europäischen Recht verabschiedet hätten, als Vorbild für Deutschland? Merz wollte es so.
Die 12 CDU-Parlamentarier:innen, die ihrem Parteichef nicht folgten
Glücklicherweise zeigte sich am Freitag bei der Abstimmung über die Gesetzesvorlage von Merz, dass 12 seiner Parteifreund:innen eine Mitwirkung an seinem Kurs verweigerten. Es sind über die Parteigrenzen hinaus anerkannte Politiker:innen wie unter anderen die ehemaligen Staatsminister:innen Annette Widmann-Mauz (zugleich langjährige Vorsitzende der Frauen-Union), Monika Grütters (Kultur und Medien) und Dr. Helga Braun (ehemaliger Kanzleramtschef unter Kanzlerin Angela Merkel), die Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (aus Sachsen) und die Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker sowie der sächsische Bundestagsgeordnete Marco Wanderwitz, der mit 123 Parlamentarier:innen aus CDU/CSU,SPD, Grünen und LInken einen AfD-Verbotsantrag im Bundestag eingebracht hat. Insgesamt haben 184 Mitglieder der Unionsfraktion mit Ja gestellt, 12 MdBs nahmen an der Abstimmung nicht teil.
Ein Viertel der FDP-Fraktion verweigerte sich der Strategie ihres Vorsitzenden
Auch bei der FDP war das Unbehagen eines Viertels der Fraktion offensichtlich, repräsentiert unter anderem durch eher sozialliberale Politiker:innen wie beispielsweise den Vize-Parteivorsitzenden und Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Johannes Vogel, den ehemaligen Parlamentarischen BMBF-Staatssekretär Dr. Jen Brandenburg, durch die Hamburger FDP-Spitzenkandidatin Ria Schröder (aktuell: bildungspolitische Sprecherin ihre Fraktion) und durch den Fraktionsvize und niedersächsischen FDP-Landesvorsitzenden Konstantin Kuhle. Zu denen, die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, zählen auch Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann, der sich mit Krankheit entschuldigte, die Spitzenkandidatin der FDP in Rheinland-Pfalz Carina Konrad und die kulturpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Anikó Glogowski-Merten sowie Nicole Westig, die sich unlängst als Befürworterin der Reform es Paragrafen 218 geoutet hat. Insgesamt haben 67 FDP-Abgeordnete mit Ja, 2 Abgeordnete mit Nein gestimmt, 5 Parlamentarier haben sich enthalten und 16 MdBs an der Abstimmung nicht teilgenommen.
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