zwd Berlin. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen) bezeichnete es als „unzumutbar“, wenn Schwangere, die in einer der „existenziellsten Krisensituationen ihres Lebens“ Rat bei einer Hilfseinrichtung suchen, wie bei einem „Spießrutenlauf“ mit „Vorwürfen, Anfeindungen, Hass“ von Abtreibungsgegner:innen konfrontiert sind. „Schwangere haben das Recht auf eine unvoreingenommene Beratung“, betonte Paus vor dem Parlament, das am Mittwoch den vom Bundeskabinett beschlossenen Regierungsentwurf (Drs. 20/ 10861) zu einer zweiten Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG, zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) in erster Lesung beriet. Frauen bei der Inanspruchnahme dieses Rechts, auch einer Entscheidung zugunsten eines Schwangerschaftsabbruchs wirksam zu schützen, müsse ein „gemeinsames Ziel“ sein, ebenso das vielfach (Verbal-) Angriffen ausgesetzte Personal in den Beratungsstellen und Arztpraxen vor solchen Störungen abzusichern.
Paus: Aktionen schränken Persönlichkeitsrecht der Frauen ein
Mit dem Gesetzesvorschlag engagiert sich die Koalitionsregierung aus Paus´ Sicht für die „Achtung und die Verwirklichung von sexuellen und reproduktiven Rechten“. Das Bundesfamilienministerium habe zusammen mit dem Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium das „Spannungsverhältnis zwischen den Grundrechten ratsuchender Frauen“ und der Meinungs- und Versammlungsfreiheit „ganz genau“ gegeneinander abgewogen. Ungewollt Schwangeren den „Zugang zu Beratung und medizinischer Versorgung“ zu erschweren, bedeute laut Paus, in ihr „allgemeines Persönlichkeitsrecht“ einzugreifen, Beratungsfachkräften und Ärzt:innen den „Zugang zur Arbeit“ zu verwehren, das Recht auf freie Berufsausübung unzulässig zu beschränken.
SPD: Gesetz gewährleistet reproduktive Selbstbestimmung
Wie die Familienministerin verteidigte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion Josephine Ortleb das Gesetzesvorhaben. Es biete für Schwangere „Sicherheit, Anonymität, Vertrauen in Konfliktsituationen“, bestärke Frauen in „heikle(n) Lebenslagen“, sich „selbstbestimmt und nicht fremdbestimmt“ zu entscheiden, und schaffe dafür einen bundesweit „einheitlichen Rahmen“. Den fraglichen Widerstreit der Grundrechte lotete Ortleb aus, indem sie eindrücklich verdeutlichte, dass es sich bei dem häufig aggressiven, beschämenden Verhalten der „radikalen Abtreibungsgegner“ gegenüber schwangeren Frauen, die an der verpflichtenden Beratung teilnehmen, um „keine Meinungsäußerung“, „keine politische Botschaft“ handle. „Das ist reine Belästigung“, erklärte die SPD-Politikerin.
Gleichzeitig habe das medizinische und beratende Personal, das durch seine Tätigkeit das „Recht auf Selbstbestimmung“ der Schwangeren gewährleiste, einen Anspruch auf ein „sicheres Arbeitsumfeld“. Auch die Sprecherin für Frauenpolitik der Sozialdemokrat:innen Leni Breymaier warb für den Gesetzesvorschlag. Sie berief sich sowohl auf die „Verabredung aus dem aktuellen Koalitionsvertrag“, als auch die „Leitlinie der WHO“ vom März 2022, welche die geplante Änderung des SchKG umsetze. Die Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation zu Schwangerschaftsabbrüchen empfiehlt nach Angaben von Breymaier, „unnötige Barrieren zu beseitigen, um sichere Abtreibungen zu ermöglichen“. Zu solchen Hindernissen zählt die Frauenpolitikerin die beschriebenen Gehsteigbelästigungen. Die WHO fordert u.a., dass die Beratung für alle betroffenen Individuen gleichermaßen zugänglich und verfügbar sein müsse. Im Regierungsprogramm hatten die Koalitionsparteien vereinbart, den Aktionen der Abtreibungsgegner:innen „wirksame gesetzliche Maßnahmen“ entgegenzusetzen.
FDP: Gesetzgeber:innen für Schutz Schwangerer verantwortlich
Die frauenpolitische Sprecherin der Liberalen Nicole Bauer hob mit Blick auf das „inakzeptabl(e)“ Verurteilen und Beschimpfen von Schwangeren in einer „äußerst sensiblen Situation“ durch die vorgeblichen. „Lebensschützer“ ihrerseits die Verantwortung der Gesetzgeber:innen hervor, den Schutz der Frauen bei ihrer Entscheidung zu garantieren und „sicherzustellen, dass ungehinderter Zugang zu Beratungsstellen möglich ist“. Die Vorsitzende der Frauen-Arbeitsgruppe der Unionsfraktion Silvia Breher stimmte dieser Feststellung zwar grundsätzlich zu, äußerte jedoch Zweifel, ob die beabsichtigte Gesetzesregelung das tatsächlich leisten und z.B. „die oft so subtilen Belästigungen vor Ort“ verhindern könne. Darüber hinaus ließen sich nach Brehers Auffassung nach dem Vorbild „aktuelle(r) Verwaltungsgerichtsentscheidungen" Versammlungen individuell einschränken, ohne eine Gesetzesänderung nötig zu machen. Stattdessen schlug die Unions-Sprecherin andere Maßnahmen vor, um den Protestaktionen vor den Einrichtungen entgegenzuwirken, wie Beratungsstellen zu stärken und zu bauen, Hilfsangebote für Schwangere zu fördern.
Linke: Mit Zertifizierung Fake-Beratungsstellen bekämpfen
Die linke Obfrau im Bundestags-Familienausschuss Gökay Akbulut befürwortete den Koalitionsvorschlag, der die Gehsteigbelästigungen, wie von den Linken schon über Jahre gefordert, als ordnungswidrig einstuft und mit einer Geldbuße von bis zu 5.000 Euro ahndet. Akbulut machte allerdings auf das weitere Problem „irreführender Beratungen“ bzw. von „Pseudo-Beratungsstellen“ aufmerksam, die für Schwangere, da der Zeitfaktor bei Abbrüchen eine große Rolle spiele, nicht nur psychisch belastend, sondern sogar gesundheitsgefährdend sein könnten. Daher rief die Linken-Politikerin dazu auf, „gegen Fake-Beratungsstellen vor(zu)gehen“. Nach Ansicht von Akbulut sollte man eine Zertifizierung der Einrichtungen einführen und die Vergabe von Finanzmitteln daran knüpfen, um derartige Falschinformationen effektiv zu bekämpfen.
Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf vor, innerhalb eines 100-Meter-Umkreises von Beratungsstellen und Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, jede Art von belästigendem Verhalten zu untersagen, das für die Frauen die Beanspruchung der Hilfsleistungen offenkundig beeinträchtigt. Dazu gehört u.a., ihnen durch Hindernisse den Zugang zur Einrichtung zu erschweren, gegen ihren Willen absichtlich „die eigene Meinung (…) über die Fortsetzung der Schwangerschaft aufzudrängen“, sie einzuschüchtern, zu bedrängen oder ihre Entscheidung anderweitig erheblich zu beeinflussen. Das Gesetz legt auch fest, dass man Mitarbeitende der medizinischen und Beratungseinrichtungen nicht beim Ausüben ihrer Tätigkeit behindern darf. Zusätzlich erweitert es die Vorgaben des SchKG zu Statistiken über Schwangerschaftsabbrüche. Diese sind mit Inkrafttreten der Änderung neben dem vierteljährlichen, bundesweit und nach Ländern aufbereiteten Veröffentlichen der Daten durch eine jährliche, nach Kreisen wie kreisfreien Städten geordneten Auswertung zu ergänzen.